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Bakunin
08.05.2004, 21:34
sehr interessant!

Zum Malen verdammt


http://zeus.zeit.de/bilder/2004/20/feuilleton/dali_200.jpg

quelle: http://www.zeit.de/2004/20/Dali

War Salvador Dalí wirklich wahnsinnig? Und was ist heute von seiner Kunst zu halten? Eine überraschende Nachforschung zum 100. Geburtstag

Von Peter Bürger



Foto: Philippe Halsmann/Magnum Photos/Agentur Focus
Die erste Documenta, die 1955 einen Kanon moderner Kunst aufstellen wollte, zeigte von den surrealistischen Malern André Masson, Joan Miró und Max Ernst, nicht Salvador Dalí. Die Gründe für die Geringschätzung Dalís durch Kritiker und Kunsthistoriker sind vielfältig. Nachdem er 1940 in die USA gegangen ist, wendet er sich mehr und mehr dem Design zu. Er macht Werbezeichnungen für Haute-Couture-Modelle, entwirft Titelblätter für die Zeitschrift Vogue, Muster für Krawatten und Schmuck und porträtiert mit hyperrealistischer Präzision Angehörige der High Society. Auch stoßen seine Hitler-Obsession und seine Polemik gegen die Ästhetik der Moderne auf Kritik. Scheut er doch nicht davor zurück, den Jugendstil gegen die funktionalistische Baugesinnung der Moderne, die „Architektur der Selbstbestrafung“, auszuspielen.

Seit der Durchsetzung der Moderne in den fünfziger und frühen sechziger Jahren ist vieles geschehen. Die Pop Art hat die Grenzen zwischen hoher und trivialer Kunst eingerissen, in Italien hat Achille Bonito Oliva die Transavantgarde ausgerufen, die durch ihre Rückkehr zu traditionellen Malweisen die Ästhetik der Moderne provozierte. Dalís Rückgriff auf den Akademismus und die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts erhielt mit einem Mal eine ungeahnte Aktualität. Es besteht also seit geraumer Zeit Anlass, das über ihn verhängte Verdikt nochmals zu überdenken. Einen Anstoß dazu gab vor zwei Jahren die Surrealismus-Retrospektive in Paris und Düsseldorf, wo einige wichtige Bilder aus der surrealistischen Phase Dalís zu sehen waren. Jetzt feiert ihn die Frankfurter Allgemeine als „ein malerisches Großereignis des 20. Jahrhunderts, einen Alchemisten der Farben und einen Lichtregisseur ohnegleichen“. Aber vielleicht wird durch diese späte Anerkennung als Maler die Gestalt Dalís nur abermals verdeckt.

Noch immer ist es schwierig, über Dalí zu sprechen, nicht weil sein Werk uns Rätsel aufgibt, sondern weil sich vor das Werk und dessen Autor die Dalí-Legende schiebt. Auch um andere Künstler haben sich Legenden gebildet; Dalí aber bringt seine selbst hervor. Fast könnte man vermuten, er benutzt sie als Schutzschild, um sich dahinter auf immer unkenntlich zu machen. Ein Leben lang spielt er der Welt den Exzentriker vor, der an der Grenze des Wahnsinns lebt, den großen Provokateur und Tabubrecher. Er liefert den Medien die lebende Karikatur des genialen Künstlers, zwirbelt seinen Schnurrbart hoch und reißt die Augen auf.

Perfekte Beherrschung altmeisterlicher Maltechniken

Wie steht dazu die Arbeit dieses Malers und Zeichner, der die akademischen Techniken perfekt beherrscht? Auf vertrackte Weise bestimmt diese Doppelgesichtigkeit Dalís den Umgang der Kritik mit seinem Werk. Ob sie nun die Legende annimmt und wie der Kunsthistoriker Wieland Schmied behauptet: „Dalís Leben ist Teil seines Werks, vielleicht sein wichtigstes Werk“; oder ob sie die Legende beiseite lässt und wie der Museumsdirektor Uwe M. Schneede fragt: „Was wird bleiben von Salvador Dalís Werk?“ – in beiden Fällen reproduziert sie jeweils eine Ansicht des janusköpfigen Gesichts, das Dalí dem Betrachter zeigt. Offenbar ist es ihm tatsächlich gelungen, sich hinter der lärmenden Veröffentlichung von Enthüllungen und Scheinenthüllungen unsichtbar zu machen.

Wie schwer sich die Kritik mit Dalí tut, zeigt der eigenartige Vorschlag von Günter Metken, „Dalí von dem Etikett ‚Surrealismus‘ zu lösen“. Der Gewaltstreich des Kritikers, der das Werk befreien möchte von dem, was ihm als Theorieballast erscheint, legt den Gedanken nahe, gerade hier könnte der Zugang zum Fall Dalí liegen. Schließlich malt Dalí seine bedeutendsten Bilder in den Jahren seiner Zusammenarbeit mit den Surrealisten.

Als Sohn eines angesehenen Notars in Figueras (Katalonien) am 11. Mai 1904 geboren, erhält Dalí auf der Kunstakademie in Madrid eine solide akademische Ausbildung, wendet sich früh dem Kubismus zu, erarbeitet sich aber gleichzeitig die Beherrschung altmeisterlicher Techniken (Der Brotkorb, 1926). Es gibt aus dieser Frühzeit einige vorzügliche Arbeiten. Das Junge Mädchen von hinten, vor einer kargen Küstenlandschaft sitzend, beeindruckt Picasso, der es in Dalís Atelier in Barcelona sieht. Doch bald wendet sich Dalí, angeregt durch de Chirico, Miró und Tanguy, einer surrealistisch inspirierten Malerei zu, siedelt 1929 nach Paris über, wo er schnell Kontakt zu den Surrealisten findet. Durch die Hinwendung zum Kommunismus hatte die Gruppe um André Breton prominente, wegen ihrer provokativen Aktivitäten wichtige Mitglieder wie Antonin Artaud verloren. Dalí vermochte die vakante Position einzunehmen und wurde zur treibenden Kraft der Bewegung.

Wie kein anderer surrealistischer Maler hat er mit seinen oftmals polemischen Schriften der dreißiger Jahre die programmatische Entwicklung und das Leben der Bewegung geprägt. Mehr noch als in den Texten Bretons aus derselben Zeit schwingt bei Dalí etwas von der Krise der Epoche mit. Seine Skizze einer Theorie der Verantwortungslosigkeit und die fröhliche Bejahung des „Klimas ideologischer und moralischer Verwirrung, in dem gegenwärtig zu leben wir die Ehre und die Freude haben“, schließlich der provokatorisch eingesetzte Akademismus – das alles wirkt wie eine halluzinatorische Vorwegnahme dessen, was wir mit dem hilflosen Begriff der Postmoderne bezeichnen.

Fasziniert von Freud, von Lacan und, natürlich, von Hitler

Früh macht Dalí im Surrealismus ein grundsätzliches Dilemma aus. Die Umwälzung aller Lebensverhältnisse soll durch Verfahren erreicht werden – automatisches Schreiben, Traumprotokolle –, die das Ich auf Passivität verpflichten. Zwischen den Intentionen und den Verfahren, die das Eintreten des Wunderbaren dem objektiven Zufall überlassen, besteht eine Kluft, die Dalí mit seiner „paranoisch-kritischen Methode“ glaubt schließen zu können. Sie beruht auf der menschlichen Fähigkeit, gegebene Formen mit Bedeutung zu belehnen. Der junge Dalí erprobt sie früh an den Felsen des Kap Creus, unweit von Cadaqués, wo die Dalís alljährlich ihre Ferien verbringen. „Alle Bilder, die beim Anblick der Felsen in der Vorstellung aufscheinen, transformieren sich in dem Maße, wie man näher herantritt oder weiter zurückgeht.“ Dieses schon von Leonardo da Vinci als Inspirationsquelle empfohlene Phänomen bringt Dalí auf den Gedanken, alle Interpretation sei letztlich Projektion von Bedeutung und als solche der Paranoia verwandt.

Besonders fasziniert ihn der systematische, konstruktive Aspekt der Paranoia: dass sie tendenziell alle Bereiche der Wirklichkeit ihrem wahnhaften Deutungssystem zu unterwerfen vermag. Ein an ihr ausgerichtetes Verfahren müsste daher geeignet sein, „zum Ruin der Wirklichkeit beizutragen“, schreibt er 1930 in seiner ersten surrealistischen Programmschrift Der Eselskadaver. Der rational geordneten, mit technischen Geräten ausgestatteten Welt der Moderne, die dem Realitätsprinzip gehorcht, setzt Dalí eine andere entgegen, eine pflanzlich wuchernde, in der das Lustprinzip gilt und selbst Uhren weiche Gebilde sind. Daher tritt er für den Jugendstil und die „paranoische“ Architektur Gaudís ein.

Eine Bestätigung für seine Methode konnte Dalí in der frühen Paranoia-Studie des Psychoanalytikers Jacques Lacan finden, die er bald nach ihrer Veröffentlichung im Jahre 1932 gelesen hatte. Für Lacan ist die Paranoia eine Verkennung (méconnaissance), setzt also Erkenntnis voraus. Er spricht daher von „paranoischer Erkenntnis“ und von den „fruchtbaren Augenblicken des Wahns“ – Begriffe, die Dalís Vorstellungen nahe stehen. Wenn die Wirklichkeit eine „erbärmliche geistige Ausflucht“ ist, wie Breton und Eluard formulieren, ein Konstrukt aus Diskursen, dann ist die Annahme plausibel, dass eine systematische Verwirrung der Diskurse revolutionäre Folgen haben kann. Anknüpfend an den Systematisierungswahn der Paranoia und ihre Produktion von Bedeutungen, so der Gedanke Dalís, müsste es möglich sein, den herkömmlichen Wirklichkeitsbegriff zu erschüttern und damit jene allgemeine Bewusstseinskrise heraufzuführen, von der das zweite surrealistische Manifest spricht.

Von hier lässt sich auch Dalís berüchtigte Faszination durch Hitler verstehen, der ihm zufolge ein tiefes, quasireligiöses Bedürfnis nach dem Irrationalen stillte. Die „kannibalische Raserei der moralischen und irrationalen Hungersnöte“, die einst der Katholizismus mit der „totemistischen Hostie“ befriedigt habe, suche frenetisch nach Befriedigung und finde sie – im Hitlerismus. Oder mit den Worten Dalís: in dem Wunsch, „in den fleischigen, atavistischen, zarten, militaristischen und territorialen Nacken einer beliebigen hitlerischen Amme zu beißen“. Mit dem Gestus des „Kritischen Paranoikers“ kann Dalí als Alternative dazu anbieten: „Man möge doch versuchen, auch Surrealitäten zu essen.“ Denn, so fährt er fort, den Gedanken ins Kannibalische wendend, genau genommen seien die Surrealisten weder Künstler noch Wissenschaftler, sondern „Kaviar, die Extravaganz und Intelligenz des Geschmacks“.

Die Metaphorik des Fressens und Gefressenwerdens durchzieht Dalís Texte auf eine derart aufdringliche Weise, dass sie in ein Beschreibungsverfahren geistiger wie ökonomisch-sozialer Zusammenhänge umschlägt. Während Breton Hegel und Engels zitiert, Autoren, die die Geschichte als vernünftige begreifen, stellt sie für Dalí ein gastrisches Geschehen dar, das einem einzigen Prinzip folgt: der Unersättlichkeit. Diese werde durch die rationalistische Kultur, „die Fastenzeit der Imagination“, ins Krankhafte getrieben.

Der Konflikt mit Breton war unvermeidlich, nachdem Dalí in einem Brief vorgeschlagen hatte, „Hitler aus surrealistischer Sicht einzuordnen“. Als Breton dann 1934 im Salon des Indépendants Dalís Bild Das Rätsel des Wilhelm Tell sieht, bekommt er einen Wutanfall. Dalí hatte Lenin mit riesenhaft verlängertem Hintern und weichem Mützenschirm als kannibalischen Vater dargestellt (auf dem Kopf des Kindes, das Lenin im Arm hält, ist ein Kotelett platziert, das Dalí im Sinne seiner Kannibalismusthese auslegt). Lenin als Menschenfresser Oger, das war eine ziemlich direkte Wiedergabe des bekannten Diktums „Die Revolution frisst ihre Kinder“. Breton betreibt daraufhin Dalís Ausschluss aus der Gruppe. In der entscheidenden Sitzung soll Dalí eine Szene gemacht haben. Socken und Unterhosen verlierend, kniet er vor Breton nieder wie vor dem Heiligen Sakrament und provoziert ein allgemeines Gelächter mit der Drohung: „Nun, Breton, wenn ich heute Nacht träume, dass ich Sie geliebt habe, werde ich morgen früh mit der größten Detailtreue unsere besten Liebesstellungen malen.“ Zum Ausschluss kommt es vorerst nicht.

Wiederholt charakterisiert sich Dalí als total unpolitischen Menschen, das hindert ihn aber nicht daran, das politische Geschehen der Zwischenkriegszeit mit wachen Sinnen zu verfolgen und kommende Katastrophen wie den spanischen Bürgerkrieg vorauszusehen. Seine Kannibalismusthese erweist sich dabei als äußerst produktiv, auch in künstlerischer Hinsicht. 1935 zeichnet er ein Studienblatt Vorahnung des Bürgerkriegs, das er 1936 als Bild ausführt: zwei einander tretende und würgende fragmentarische Menschenkörper mit nur einem schmerzverzerrten Kopf. Hinter einer riesigen, am Boden liegenden Hand sieht man winzig die Figur des suchenden Wissenschaftlers, der, den Blick zu Boden gesenkt, das scheußliche Geschehen nicht wahrzunehmen scheint.

Flucht in die Verausgabung, Tabubruch um jeden Preis

Die Paranoia ist ein Interpretationswahn, und so verwundert es nicht, dass Dalí die bildkünstlerische Realisierung seiner „paranoisch-kritischen Methode“ im Doppelbild sucht: in der „Darstellung eines Gegenstandes, die ohne die mindeste figürliche oder anatomische Veränderung gleichzeitig die Darstellung eines anderen, völlig verschiedenen Gegenstandes ist“. Ein einfaches Beispiel für dieses Verfahren ist die Zeichnung Paranoisch-kritisches Gesicht aus dem Jahre 1933, bei der die Nase aus einem Knochen, die Augen aus Löffeln, die Wange aus einem Kohlkopf, die Lippen aus zwei Koteletts und das Kinn aus einer ovalen Frucht gebildet sind. Ein Blatt wie dieses erinnert an die Köpfe des Mailänder Manieristen Giuseppe Arcimboldi. Doch während Arcimboldi eine geschlossene menschliche Kopfform wiedergibt, betont Dalí das bloße Nebeneinander der Elemente, indem er Lippen und Kinn mit einem Nagel verbindet. Das paranoische Subjekt, wie es hier in Erscheinung tritt, ist in jedem Augenblick vom Zerfall in seine Teile bedroht, zusammengehalten wird es einzig durch den Wahn, ein einheitliches zu sein. In dieser Auffassung des Subjekts steht Dalí derjenigen Lacans nahe, der gleichfalls von einer ursprünglichen Zerstückelungserfahrung ausgeht und das Einheitserlebnis des Menschenkindes als Ergebnis einer imaginären Spiegelung ansieht.

Dalí hat das Doppelbild zur höchsten Bedeutungskomplexität entwickelt. So wichtig ist ihm dieser Bildtypus, dass er seine Metamorphose des Narziß 1937 zu seinem Besuch bei Freud nach London mitnimmt, bei dem es ihm offensichtlich gelingt, Freuds ablehnende Haltung gegenüber dem Surrealismus zu erschüttern. Freilich sieht dieser auch, dass Dalí weniger aus dem Unbewussten schöpft, als vielmehr bewusst Motive der Psychoanalyse aufgreift.

In den zwanziger Jahren setzen die Surrealisten auf den objektiven Zufall und preisen die Langeweile als Zugang zum Wunderbaren. Dalí will sich damit nicht zufrieden geben. Er ist überzeugt, dass wir jederzeit die Bedeutungen, mit denen wir die Erscheinungsformen der Wirklichkeit belehnen, verändern können. Und dass diese Kunst der Metamorphose eine Metamorphose der Kunst heraufführen wird, die eines Tages, wer weiß, einen allgemeinen Taumel bewirken kann, ein Leben, nicht nach dem Gesetz der rationalistischen „Selbstbestrafung“, sondern nach dem Gesetz des Herzens. „Das Gesetz des Herzens und der Wahnsinn des Eigendünkels“ ist in Hegels Phänomenologie des Geistes jenes Kapitel überschrieben, das Lacan sehr genau gelesen und dem er seine Bestimmung des Wahnsinns entnommen hat. In nichts anderem bestehe der Wahnsinn als darin, dass das Ich sich urteilend der Welt als ganzer, an der es doch teilhat, meint entgegenstellen zu können. Dalí ist nicht wahnsinnig, vielmehr spielt er mit dem „Wahnsinn des Eigendünkels“. Die Beunruhigung, die noch heute von einigen seiner Texte und vielen seiner Zeichnungen und Bilder ausgeht, beruht darauf, dass unter bestimmten Bedingungen das gefährliche Spiel mit dem Wahnsinn ansteckend sein könnte.

Dalí, der 1989 starb, hat bisher noch keinen Ort in der Kunst des 20. Jahrhunderts gefunden. Immer wieder hat er verkündet, er sei das größte malerische Genie des Jahrhunderts – ein interpretationsbedürftiger Satz. Bedenkt man, dass Dalí Mitte der zwanziger Jahre mit eigenen Bildern auftritt, also zu einem Zeitpunkt, als alle wesentlichen Neuerungen der modernen Malerei bereits stattgefunden haben – Fauvismus, Expressionismus, Kubismus und Abstraktion –, dann liegt es nahe, den Satz ironisch zu verstehen. Er würde dann etwa sagen: Es gibt keine notwendige Malerei mehr und auch kein Genie in der Kunst; heute kann sich daher jeder als Genie bezeichnen. Versteht man den Satz in diesem Sinne, dann rückt Dalí in die Nähe Duchamps. Dem leisen Provokateur, der auf die Nachhaltigkeit seiner Wirkung bedacht ist, stünde der lärmende gegenüber, dem Schachspieler der Schauspieler. In Amerika ist Dalí einmal Duchamp begegnet. Dessen Produktionsverweigerung habe sogleich seine manische Produktionswut angestachelt, berichtet er. Die unglaubliche Produktivität Dalís wäre also als Reaktion zu begreifen, als Flucht in die Verausgabung, die den Zweifel an der Möglichkeit einer notwendigen Kunst zum Schweigen bringen soll.

Verausgabung ist einer der zentralen Begriffe des surrealistischen Dissidenten Georges Bataille. Von allen Künstlern, Literaten und Intellektuellen, die für kurze oder längere Zeit vom Surrealismus angezogen sind, dürfte keiner Dalí näher gewesen sein als Bataille, obwohl es zur engeren Beziehung nicht gekommen ist. Mit ihm verbindet Dalí der Wille zur Transgression, zum Tabubruch um jeden Preis. Beide wollen den Bretonschen Surrealismus überbieten. Beide setzen der rationalen ökonomischen Gesellschaftsanalyse ihre Begriffe entgegen, die individuelles und kollektives Handeln aus irrationalen Impulsen verstehen. Und beide lassen sich mimetisch auf das Phänomen Hitler ein. Erst zu Beginn des Zweiten Weltkriegs schlagen sie entgegengesetzte Wege ein. Während Bataille sich der mystischen „inneren Erfahrung“ zuwendet, wählt Dalí die totale Veräußerlichung, was man ihm bis heute nicht verziehen hat. Aber selbst im hemmungslosen Griff nach den Mitteln des Kitschs meint man noch die Verzweiflung eines Künstlers zu spüren, für den große Malerei Vergangenheit ist und der dennoch malen muss.


Der Romanist und Kunsthistoriker Peter Bürger lehrt an der Universität Bremen. Zuletzt erschien „Das Altern der Moderne“ (Suhrkamp Verlag)

Tiger
08.05.2004, 21:37
Dali ist einer der vielen Künstler die besonders wiederliche Formen von "Kunst" gemacht haben. Wenn man Affen malen lässt unterscheiden sich ihre Bilder kaum von den Bildern solcher Leute. Der Mensch ist tief gefallen.

Bakunin
08.05.2004, 21:38
Dali ist einer der vielen Künstler die besonders wiederliche Formen von "Kunst" gemacht haben. Wenn man Affen malen lässt unterscheiden sich ihre Bilder kaum von den Bildern solcher Leute. Der Mensch ist tief gefallen.

eine affe kann malen wie dali?

den möchte ich mal sehen.... :))

Frank Sinatra
08.05.2004, 21:50
Ich weiß nicht, ob es im Startpost schon drin stand, aber:

Wußtet Ihr, daß Salvador Dali (so wie fast ausnahmslos alle spanischen Künstler) schwul gewesen sein soll? Es war allerdings nicht eindeutig.

Bakunin
08.05.2004, 21:52
kann sein, muss aber nicht.

nietzsche soll auch schwul gewesen sein, hitler auch....

im grunde ist es doch egal, denn alle werke dieser menschen bleiben bestehen.

Siran
08.05.2004, 21:55
Dali ist einer der vielen Künstler die besonders wiederliche Formen von "Kunst" gemacht haben. Wenn man Affen malen lässt unterscheiden sich ihre Bilder kaum von den Bildern solcher Leute. Der Mensch ist tief gefallen.

Also Dalis Bilder müssen einem sicherlich nicht unbedingt gefallen, die tauchen ja doch sehr in surrealistische ab, aber mit den Bildern von Affen lassen sie sich sicherlich nicht vergleichen, ich glaube, du verwechselst da was, Tiger.

http://www.psikolog.org.tr/card/dali-persistence-2.jpg

http://www2.arnes.si/~oskrfrpr2/dali.gif

http://www.public.iastate.edu/~cfarver/stuff/dali.jpg

Bakunin
08.05.2004, 23:35
ähm, ich wollte den beitrag eigentlich im geschichts/hintergrund forum posten.

es wäre nett, wenn jemand den thread verschieben würde.

danke!

Siran
08.05.2004, 23:43
Was hat denn Dali mit Geschichte zu tun?

Bakunin
09.05.2004, 01:13
Was hat denn Dali mit Geschichte zu tun?

dali war ein bedeutender künstler und ist somit ein gewaltiger teil der geschichte. ausserdem gibt dieser bericht hintergründe über sein leben.

Siran
09.05.2004, 21:19
Also, Bakunin, Maler und so weiter gehören zum Gebiet der Kunst und nicht zum Gebiet der Geschichte. Hintergründe über das Leben eines Künstlers gehören genauso zu Kunst, wie seine Werke. Geschichte ist was anderes.

Tiger
09.05.2004, 21:24
@Siran: Danke, dass du mich auf meinen Irrtum aufmerksam gemacht hast.
Es sieht zwar nicht aus wie von nem Affen lässt sich aber trotzdem nicht als Kunst bezeichen. Es spotet jedem Sinn von Kunst.

Nofretete
09.05.2004, 22:26
@Siran: Danke, dass du mich auf meinen Irrtum aufmerksam gemacht hast.
Es sieht zwar nicht aus wie von nem Affen lässt sich aber trotzdem nicht als Kunst bezeichen. Es spotet jedem Sinn von Kunst.


Dali kann man mögen oder nicht und seine Kunst ebenfalls...

es gibt auf jeden Fall wirkliche Anti-Künstler z.B.
ein Hermann Nitsch

http://www.lavnapoli.org/Avvenimenti/Diario2002/Nitsch/Nitsch03.jpg

hier ein kurzer Auszug (mehr ist nicht auszuhalten) aus dem Stück

Die Eroberung von Jerusalem

„Christus wird in ein Schlachthaus geführt. Er schlachtet mit Hilfe von Metzgern 20 Rinder. Die Tiere werden ausgeblutet u. abgehäutet. Hat
Christus einen Stier getötet, legt er sich auf das am Rücken liegende, abgehäutete noch zuckende Tier, saugt am Geschlechtsteil des Stieres, saugt Urin heraus und beißt in das Geschlechtsteil des Stieres. Er küsst die Hoden des Stieres´, schleckt die Hoden ab, beißt in die Hoden und zerfleischt und zerschneidet sie schreiend mit einem Skalpell.

………

…wenn Christus ausrutscht, springt Nr. 38 auf ihn, steckt seinen erigierten Penis in die Afteröffnung von Christus und begattet ihn. Andere Akteure spritzen aus Schläuchen Wasser auf die blutbeschütteten Gedärme und auf das blutige rohe Fleisch. Auf den unter den Ochsen stehenden weißüberzogenen Betten liegen Männer und Weiber und begatten sich.

.....

ich möchte darauf hinweisen, daß das von unserem hochverehrten Staatskünstler Hermann Nitsch stammt, der von der ganzen linken Kulturschickeria einschließlich SPÖ-Politikern, den Grünen und dem ehemaligen Liberalen Forum ( Heide Schmidt) hofiert wird.

hier noch ein kleiner Ausschnitt, ober aus dem selben "Kunstwerk" stammt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.

Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 139. Sitzung / 72
(wie Ihr sehen könnt, war das sogar eine parlamentarische Anfrage der FPÖ im Parlament)

Meine Damen und Herren! Ich zitiere Hermann Nitsch, "Die Eroberung von Jerusalem", Seite 160 (Abg. Dr. Schmidt: Was ist Ihre Alternative? Ist es die Bücherverbrennung, die Sie wollen?):

"Die nackte Leiche eines neunjährigen Mädchens wird auf eine Kirchenbank gelegt; das Geschlechtsteil des Mädchens wird aufgeklafft; mit einer Silbersonde wird mehrmals tief hineingestochen; das Geschlechtsteil wird mit einem Skalpell zerfleischt; Zuckerwasser wird auf die blutige Wunde geschüttet; Nummer O saugt und schleckt das gezuckerte Blut von dem zerfleischten Geschlechtsteil." – So geht das seitenlang weiter. (Abg. Dr. Stippel: Diese Rede ist ein Trauerspiel!)


...was Hermann Nitsch zu seinme Werk zu sagen hat:

Nitsch: "Die Eroberung von Jerusalem" ist eine meiner wichtigsten Arbeiten, auf die ich sehr stolz bin. Da bin ich abgestiegen in die Tiefen des Unbewußten. Da ist es mir niemals um Blasphemie gegangen, sondern um zu zeigen, welche Abgründe unsere Natur kennt. Ich habe diese Darstellungen auf mich genommen und schäme mich nicht dafür.

Frank Sinatra
09.05.2004, 22:44
im grunde ist es doch egal, denn alle werke dieser menschen bleiben bestehen.
Ich wollte ihn damit nicht diskriminieren, sondern lediglich mit meinem Halbwissen protzen :D
Meine Spanisch-Dozentin hat das gesagt, daß es sehr wahrscheinlich gewesen wäre, daß er schwul war.(Weil in unserem Spanisch-Buch dauernd nur über spanische & lateinamerikanische Künstler geschrieben wurde, die [mit Ausnahme von Frida Kahlo] allesamt andersrum waren :)) )

Klar, das Ding mit den Uhren kennt ja jeder (auch wenn er so unterkulturell ist wie ich und den Namen nicht weiß :D ) und mit solchen bekannten Dingern wird man unsterblich, keine Frage.

Siran
09.05.2004, 22:45
Über diese Person wurde bereits diskutiert und der Beitrag hat absolut nichts mit Dali zu tun.

Bakunin
09.05.2004, 22:47
Ich wollte ihn damit nicht diskriminieren, sondern lediglich mit meinem Halbwissen protzen :D
Meine Spanisch-Dozentin hat das gesagt, daß es sehr wahrscheinlich gewesen wäre, daß er schwul war.(Weil in unserem Spanisch-Buch dauernd nur über spanische & lateinamerikanische Künstler geschrieben wurde, die [mit Ausnahme von Frida Kahlo] allesamt andersrum waren :)) )

Klar, das Ding mit den Uhren kennt ja jeder (auch wenn er so unterkulturell ist wie ich und den Namen nicht weiß :D ) und mit solchen bekannten Dingern wird man unsterblich, keine Frage.

ja ok :D ...

Nofretete
09.05.2004, 23:10
Über diese Person wurde bereits diskutiert und der Beitrag hat absolut nichts mit Dali zu tun.


ich habe damit Tiger nur sagen wollen, daß es im Gegensatz zu Dali, tatsächliche Anti-Künstler gibt...

Mithrandir
11.05.2004, 16:51
Dali ist einer der vielen Künstler die besonders wiederliche Formen von "Kunst" gemacht haben. [...] Es spotet jedem Sinn von Kunst.

Ich schätze Dalis Werke sehr. Was soll daran bitte widerlich sein, bzw. was verstehst Du unter Kunst?

http://www.dali.art.pl/galer/570.jpg
Dieses nicht?


---
Übrigens: Du solltest Software zur Prüfung Deiner Rechtschreibung einsetzen. Es ist doch so einfach. Und Du zeigst damit, dass zumindest Du Deine Beiträge für sinnvoll genug hältst, sie zumindest ordentlich zu schreiben.

Bakunin
11.05.2004, 20:26
kommt nun der von der taz!

Das essbare Genie
Salvador Dalís massenhaft reproduziertes Werk gilt vielen als überschätzt. Dabei war Dalí mehr als nur Maler, Bildhauer, Schriftsteller und Designer: Er war der erste Popstar des 20. Jahrhunderts - und hat sich seinem Publikum zum Fraß vorgeworfen. Heute wäre der Surrealist hundert Jahre alt geworden
VON SEBASTIAN HANDKE
Wenn in ferner Zukunft die Medienarchäologen das zwanzigste Jahrhundert aufarbeiten, werden sie wohl einem Mann Aufmerksamkeit schenken müssen, den heute, an seinem hundertsten Geburtstag, noch kaum jemand auf der Rechnung hat. Er nahm die Selbststilisierungskampagne der Dandys, überführte sie in die Kulturindustrie und machte sich so zum ersten Popstar des zwanzigsten Jahrhunderts. Er malte die wahrscheinlich erste Cola-Flasche der Kunstgeschichte. John Lennon bestellte bei ihm ein Geburtstagsgeschenk für Ringo. Und lange vor Ozzy Osbourne biss er einer Taube in den Kopf. Salvador Dalí ist der wahre Prince of Darkness.

Was ihn noch interessanter machen dürfte, ist die erstaunliche Tatsache, dass er den Weg zum Pop fand über jene andere große ästhetische Errungenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts: dem Avantgardismus. Man muss wissen: Der Surrealist, wie Dalí ihn verstand, ist nicht Künstler, sondern Kaviar - jene "dialektische Traube", die geschluckt sein will, bevor die Menschen sich an fettigen und verstopfenden Speisen versuchen. Darin, so schreibt Dalí 1935 in "Die Eroberung des Irrationalen", liege die "kolossale nahrhafte und kulturelle Verantwortung des Surrealismus": die Masse abzuhalten vom Biss ins hochrot blutende Kotelett - und sich selbst zum Verzehr anzubieten.

Dalí verabscheute die "selbst bestrafende" Architektur der Moderne und hegte die vermutlich durchaus ernst gemeinte Absicht, sie mit seiner Formensprache und seiner surrealistischen Methode des kritischen Paranoismus zu infiltrieren - kurz: dem imaginativen Fasten seiner Zeitgenossen ein Ende zu setzen. Mit den Mitteln der Kunst ein neues Publikum zu schaffen, mit neuen Augen - das war auch das Ziel der Avantgarden. Dass Dalí dabei so hemmungslos auf die Massenkultur setzte, haben ihm seine Freunde vom Pariser Kreis der Surrealisten nicht verziehen.

Für sie ist Dalí so etwas wie ein Kriegsopfer. Denn 1940, gerade als er vor den Kriegen des alten Kontinents in die Vereinigten Staaten geflohen war, begann dort der Siegeszug der Kulturindustrie und der Massenmedien. Dalí erlag ihren Reizen und ging darin auf wie die Eiswürfel, die er in seinem Lieblingsrestaurant "Duran" gelegentlich in die Nudelsuppe fallen ließ (das Restaurant in Dalís Geburtsort Figueres bietet übrigens zum Dalí-Jubiläum "Entenfuß, sodomisiert von anthropomorphen Birnen". In Figueres befindet sich auch das Dalí-Museum).

Dalí bereitete sich einen angemessenen Empfang in den Vereinigten Staaten. Bereits vor seiner Ankunft ließ er Flugblätter mit dem Titel "New York empfängt Dalí" von einem Flugzeug auf die Stadt regnen. Für den folgenreichen ersten Kontakt mit der amerikanischen Presse sorgte die Schriftstellerin und Verlegerin Caresse Crosby noch im Hafen von New York - jene Frau, die später unter anderem als Erfinderin des Büstenhalters in die Geschichte einging. Das Ergebnis war, dass in den Morgenausgaben des nächsten Tages das Porträt von Dalís Muse und Gattin Gala mit Lammkoteletts auf ihren Schultern den Platz eingenommen hatte, der sonst den täglichen Pin-up-Girls vorbehalten blieb.

Das war ein guter Anfang. Noch aber fehlte die gültige Weihe zum Popstar. Heute wissen wir, dass es günstig ist, wenn dabei etwas kaputt gemacht wird, sei es auf der Bühne oder im Hotelzimmer. In den Dreißigerjahren aber betrat Salvador Dalí in dieser Hinsicht noch Neuland, und zwar auf Manhattans Fifth Avenue. Wie schon drei Jahre zuvor, so war er auch 1939 beauftragt worden, ein Schaufenster des Kaufhauses "Bonwit Teller" zu dekorieren. Als er am nächsten Tag sah, dass man heimlich und gegen seinen Willen die Dekoration verändert hatte, weil man sie vielleicht doch als ein wenig zu herausfordernd empfand, eilte er aufgebracht ins Fenster und brachte das Glas vor der staunenden Menge zu Bruch. Dalí musste für einige Stunden ins Gefängnis, bis ein Richter dem Künstler das Recht beschied, sein Werk "bis zum Äußersten" zu verteidigen.

Was tuts, dass die Badewanne, die zur Installation gehörte, nur versehentlich ins Fenster geglitten war? Ein Weltstar war geboren. Und eine taugliche Methode, mit der dieser ein solcherart erschlossenes Publikum zukünftig bedienen konnte - ein Publikum, das noch nie etwas vom Surrealismus gehört hatte und das ihm nun zu Füßen lag - gierig nach all den "kritisch-paranoischen" Leckereien schnappend, die ihnen der Meister zum Angebot machte. Dalí flutete fortan die visuelle Sphäre mit seinem ikonischen Repertoire - weiche Uhren, faltige Spiegeleier und schmelzende Camemberts ergossen sich in alle zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle, bis uns irgendwann der Dalí wieder hochkam.

Es war nur natürlich, dass Dalí zunächst den Versuch unternahm, in Hollywood Fuß zu fassen. Dem Kino hatte er in Buñuels "Un chien andalone" mit dem berühmten, von einem Rasiermesser aufgeschlitzten Auge bereits ein unvergessliches Urbild beschert. Doch Dalí dachte nicht daran, sich zum Vater des Arthouse-Kinos zu machen. Im Gegenteil: Ein Film, so Dalí, habe zu sein wie ein Auto, ein Flugzeug oder ein Grammofon. Die Werke der Marx Brothers - reinster Surrealismus! Harpo Marx schickte er eine mit Stacheldraht bezogene Harfe (deren Empfang Harpo mit einer Aufnahme seiner bandagierten Hände bestätigte) und schlug ihm einen Film vor - eines jener vielen Filmprojekte, die nie umgesetzt wurden.

Seinen Umtrieben in Hollywood ist es allerdings zu verdanken, dass wir es uns bequem machen können auf den Lippen jener Frau, deren "runde Muskeln" von Dalí als "drohende Gefahr" identifiziert wurden für die verhasste Ästhetik der Moderne. Zu Ehren der voluminösen B-Movie-Ikone schuf er sein erstes anthropomorphes Möbelstück - das Mae-West-Lippensofa.

Bis dahin hatte Salvador Dalí nur wenige Skulpturen geschaffen, unter Anwendung der surrealistischen Methode des schöpferischen Automatismus. Fortan machte er sich einen ganz anderen Automatismus zu Eigen: die Herstellung kommerziellen Designs in Serie. Die Dalínisierung der Welt nahm ihren Ausgang: Cognacflaschen und Plattencover, Krawatten und Aschenbecher, Parfümflakons und Schminkschatullen, Kommoden und Fernsprechapparate - jede Bedarfs- oder Luxusware eignete sich zum Träger Dalíscher Antimoderne.

Dalí machte Mode. Mit Elsa Schiaparelli, die ohnehin eine gewisse Nähe zu den Surrealisten pflegte, verband ihn eine enge Zusammenarbeit, mit Coco Chanel sogar Freundschaft. Dalí machte Druck. Er gestaltete für Vogue, Life Magazine und American Weekly; er illustrierte Casanova, Dante und die Bibel; schließlich brachte er die Dalí News heraus, in denen er all das publizierte, was er endlich einmal über sich selbst lesen wollte. Dalí machte Reklame. Zehn Millionen Dollar war der Satz "Ich bin verrückt nach Lanvin Schokolade" wert, wenn er aus seinem Munde kam. Sein zweites "Brotkorb"-Gemälde wurde zum Symbol des Marshall-Plans. Doch vor allem war Salvador Dalí eines: Fleisch gewordene Werbung für sich selbst. "Ich glaube, dass mir die Werbung um ihrer selbst willen nicht gefällt", sagt er 1965. "Was mir gefällt, ist, mir symbolisch zu beweisen, dass ich existiere."

Das zerbrochene Fenster auf der Fifth Avenue hatte ihm den Weg gewiesen: der Meister des Surrealismus wurde zum Revolutionär des Marketing- und Publicitywesens. Er schuf Skandale und Kontroversen mit spektakulären Konferenzen und Happenings, tanzte Journalisten auf der Nase herum und machte sich zum Hampelmann für die Hippies ebenso wie für jene Schar amerikanischer Neureicher, die ihm jedes seiner Werke freudig abkaufte. Der Künstler war nun ganz Kaviar geworden.

Diese auf nichts als einer sich selbst reproduzierenden Zirkulation von Zeichen aufgebaute Aufmerksamkeitsökonomie, in der sich beide Seiten symbiotisch ergänzen - sie prägt die Sphäre des Öffentlichen heute mehr denn je. Salvador Dalí, das Genie unter den Surrealisten, hat sie erfunden. Er verwandelte sich in Dalí Enterprises, den Urtypus des Franchising, und schreckte auch nicht davor zurück, zehntausende Blankobögen mit seiner Unterschrift zu versehen, als er selbst mit der Produktion nicht mehr nachkam. Am Ende seines Lebens war vom strahlenden Trotz seines widersprüchlichen Wollens nur noch Leerlauf geblieben. Dalí wurde zur ausgelaugten, bemitleidenswerten Karikatur, einer im engen Wortsinn tragischen Gestalt.

Was hier nicht verschwiegen werden soll: Salvador Dalí stellte auch Gemälde her. Einige davon sollen ausgesprochen gut sein. Besonders beliebt waren seinerzeit die so genannten Doppelbilder aus seiner kritisch-paranoischen Phase. Wer jemals den Versuch unternahm, die Figuren, die in optischen Täuschungen dieser Art angeboten werden, gleichzeitig zu sehen, wird enttäuscht feststellen, dass das beim besten Willen nicht möglich ist - sie schließen sich gegenseitig aus.

Auf ebendiese Weise hat wohl auch der selbstherrliche Angeber die anderen Dalís zum Schweigen gebracht: jenen Dalí, den selbst viele seiner Kritiker als den Maler des 20. Jahrhunderts mit dem wohl größten technischen Vermögen bezeichnen; den universalgebildeten, blitzgescheiten und fleißigen Dalí; den Dalí, der auch im hohen Alter noch zärtlich von seiner herrschsüchtigen Frau sprach; den im Grunde seines Herzens äußerst schamvollen Dalí, der darum bat, man möge ihm nach seinem Tod das Gesicht mit einem Tuch bedecken - sie alle verschwanden hinter dem Medienmonster.

Salvador Dalí hatte sich zum Fraß angeboten. Er wurde mit Haut und Haaren verschlungen.