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Vollständige Version anzeigen : Der doppelte Marx



Amida Temudschin
06.11.2004, 01:20
Wurde Marx von der Arbeiterbewegung nur halb verstanden? Stellte sie nur eine Bewegung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft dar und sparte Kritik an den grundlegenden Kategorien des Kapitalismus aus?

Robert Kurz: Der doppelte Marx
aus: Folha de Sao Paulo
"Wenn Geburtstage, Todestage, Jahrestage oder Gedenktage gefeiert werden, die sich auf einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren beziehen, dann ist der Gegenstand der Erinnerung meistens schon museal geworden, in die Artefakte der toten Vergangenheit einsortiert und kein Grund zur Aufregung mehr. Die Feuilletons, die kulturellen Honoratioren und die Verwalter der Geschichte können ihre events zelebrieren und sich gemütlich über die eingeglasten Dokumente dessen beugen, was einstmals die Herzen schneller schlagen ließ. Das "Manifest der Kommunistischen Partei" aus dem Jahr 1848, verfaßt von zwei damals fast unbekannten jungen Intellektuellen, Karl Marx und Friedrich Engels, hat sich erstaunlich lange frisch gehalten. Ein Text, der auch nach mehr als einem Jahrhundert noch rasenden Haß auf sich zieht und immer wieder verboten wird, gleichzeitig verbreitet ist wie sonst nur noch die Bibel, muß wirklich geistigen Sprengstoff für ein ganzes Zeitalter enthalten.
Trotzdem kann das "Manifest" seinen 150. Geburtstag nicht mehr als leidenschaftlich umstrittene Größe mitten im gesellschaftlichen Kampfgetümmel feiern. Irgendwann in den 80er Jahren, spätestens mit der großen Wende von 1989, ist dieses so lange glühende Dokument plötzlich kalt und schal geworden, seine Botschaft über Nacht vergilbt und heute nur noch als Urkunde einer zu Ende gegangenen Geschichte "ohne Zorn und Eifer" zu studieren. Aber weder ist damit die Theorie von Karl Marx erledigt, die nur zusammen mit dem Kapitalismus sterben und historisch werden kann, noch ist der Inhalt des "Manifests" heute deshalb ungenießbar geworden, weil er von Anfang an ein "Irrtum" gewesen wäre. Wenn der Neoliberalismus eine solche Behauptung aufstellt, dann schnappt er immer noch bellend nach dem alten Gegenstand seines Zornes, der gar keine Kritik des fortentwickelten Kapitalismus mehr darstellen kann, und beweist damit nur, daß er selber in der alten Epoche sitzengeblieben ist.
Um zu begreifen, warum das "Manifest" so lange eine Wahrheit ausgesprochen hat und erst am Ende des 20. Jahrhunderts in gewisser Weise unwahr geworden ist, müssen wir den widersprüchlichen Charakter der fälschlicherweise stets als geschlossene Einheit behandelten Marxschen Theorie erkennen. Es gibt sozusagen einen "doppelten Marx": zwei Theoretiker in demselben Kopf, die ganz verschiedene Wege der Argumentation verfolgen. Der Marx Nr. 1, das ist der allgemein bekannte "exoterische" und positive Marx, der Abkömmling und Dissident des Liberalismus, der sozialistische Politiker seiner Zeit und der Mentor der Arbeiterbewegung, die nie etwas anderes wollte als staatsbürgerliche Rechte und einen "gerechten Lohn für ein gerechtes Tagewerk". Dieser Marx Nr. 1 scheint einen ontologischen Standpunkt der "Arbeit" samt der dazugehörigen protestantischen Ethik einzunehmen, den "unbezahlten Mehrwert" einzuklagen und das juristische "Privateigentum an den Produktionsmitteln" durch das Staatseigentum ersetzen zu wollen.
Und kein Zweifel: Das ist auch der Marx des "Kommunistischen Manifests", auf dessen Niveau sein Adlatus und Mitautor Engels zeitlebens verharrte. Es ist das Manifest des "Klassenkampfs", wie er die Entwicklung der modernen Welt zwischen 1848 und 1989 bestimmt hat. "Euer Recht", so schleudern Marx und Engels dem selber noch jungen kapitalistischen Bürgertum entgegen, "ist nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse". Da gibt es zwar sogenannte materielle Bedingungen; was aber die Geschichte letzten Endes bestimmt und vorantreibt, ist die ungeschmälerte Subjektivität des bewußten Willens von gegensätzlichen sozialen Interessen: "Klasse gegen Klasse", ohne daß genauer danach gefragt wird, auf welche Weise diese gesellschaftlichen Großsubjekte und ihre Interessen eigentlich konstituiert worden sind. Ganz unbefangen ist hier noch die Sprache der aufklärerischen Philosophie zu hören, in der die Gesellschaft und ihre Entwicklung sich quasi naturwissenschaftlich auf bewußte Willenshandlungen reduzieren lassen.
Dementsprechend ist das Ziel auch nur die Umstülpung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, also "die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse"; und "das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen". Der Begriff des Kapitals bezeichnet hier plötzlich kein gesellschaftliches Verhältnis mehr, sondern eine Ansammlung von dinglichem Reichtum, den die eine Klasse der anderen wegnehmen kann und dessen gesellschaftliche Form gar nicht weiter in Betracht kommt. Geld und Staat erscheinen somit als neutrale Gegenstände, die umkämpft sind und gewissermaßen als Beute der einen oder anderen Klasse zufallen, wobei das Proletariat sich in diesem Kampf als Träger der "Arbeit" gegenüber dem parasitären "arbeitslosen Einkommen" der Kapitalisten moralisch legitimiert. Folgerichtig verlangt das "Manifest" als wesentliche Maßregeln die "Zentralisation des Kredits in den Händen des Staates" und "gleichen Arbeitszwang (!) für alle" sowie die "Errichtung industrieller Armeen (!)". Adorno wußte schon, was er sagte, als er dem Marx des "Manifests" vorwarf, er habe die ganze Gesellschaft in ein einziges Arbeitszuchthaus verwandeln wollen. Die späteren sozialistischen Entwicklungsdiktaturen in der Sowjetunion und in der 3. Welt trugen ja tatsächlich alle Züge eines arbeits-utopischen Kasernenkommunismus. Aber es gibt eben noch einen ganz anderen Marx. Dieser Marx Nr. 2, das ist der bis heute dunkle und wenig bekannte "esoterische" und negative Marx, der Entdecker des gesellschaftlichen Fetischismus und radikale Kritiker der "abstrakten Arbeit" samt der dazugehörigen repressiven Ethik, wie sie das moderne warenproduzierende System kennzeichnet. Der Marx Nr. 2 richtet seine theoretische Analyse nicht auf die systemimmanenten sozialen Interessen, sondern vielmehr auf den historischen Charakter dieses Systems selbst. Das Problem ist hier nicht mehr der "unbezahlte Mehrwert" oder die juristische Verfügungsgewalt des Privateigentums, sondern die gesellschaftliche Form des Werts selber, die den kämpfenden Klassen gemeinsam ist und überhaupt erst die Gegensätzlichkeit ihrer Interessen hervorbringt. Diese Form ist deswegen "fetischistisch", weil sie eine subjektlose Struktur "hinter dem Rücken" aller Beteiligten konstituiert, in der sie gemeinsam dem unaufhörlichen kybernetischen Prozeß einer Verwandlung abstrakter menschlicher Energie in Geld unterworfen werden.
Auf der theoretischen Ebene des Marx Nr. 2 sind wesentliche Aussagen des "Kommunistischen Manifests" einfach sinnlos. Das Kapital ist hier kein Ding mehr, das man der herrschenden Klasse wegnehmen könnte, sondern das gesellschaftliche Verhältnis des totalisierten Geldes, das als Kapital auf sich selbst rückgekoppelt wurde und sich deshalb in einer gespenstischen Bewegung verselbständigt hat, also (wie Marx später im "Kapital" sagt) als "automatisches Subjekt" funktioniert. Dieses absurde Verhältnis aufzuheben und den modernen Fetischismus zu überwinden, kann demzufolge auch nicht durch eine bloße Verlängerung des systemimmanenten Interessenkampfes gelingen. Stattdessen ist letzten Endes ein bewußter Bruch mit der gemeinsamen Form der Interessen notwendig, um von der verrückten Bewegung des Werts und seiner Kategorien ("Arbeit", Ware, Geld, Markt, Staat) zu einer emanzipatorischen gemeinschaftlichen "Verwaltung von Sachen" zu gelangen und die Produktivkräfte nach Kriterien "sinnlicher Vernunft" bewußt einzusetzen, statt sie dem blinden Prozessieren einer fetischistischen "Maschine" zu überlassen.
In welcher Beziehung stehen der "exoterische" Marx Nr. 1 und der "esoterische" Marx Nr. 2? Der "doppelte Marx" läßt sich nicht in einen "frühen" und in einen "späten" Marx auseinanderdividieren, denn das Problem zieht sich als Widerspruch durch die gesamte Marxsche Theorie. Elemente der Kritik am Fetischismus der Wertform und an der "Arbeit" finden sich schon vor dem "Kommunistischen Manifest" in den Frühschriften, während umgekehrt Elemente der soziologisch verkürzten Denkweise auch noch im "Kapital" und in den Spätschriften auftauchen. Das Problem besteht darin, daß Marx zu seiner Zeit den Widerspruch in seiner Theorie gar nicht erkennen konnte, weil es sich nicht um einen Widerspruch nur der Theorie, sondern der Wirklichkeit selbst handelte. Marx entdeckte als einziger die gemeinsame Form der gegensätzlichen Klasseninteressen und ihren historisch begrenzten Charakter; aber diese Entdeckung konnte nicht praktisch wirksam werden, weil das moderne warenproduzierende System noch einen langen Weg der Entwicklung von 150 Jahren vor sich hatte. Für die Arbeiterbewegung war deshalb der Marx Nr. 2 bedeutungslos und sie konnte nur die Lesart des "Kommunistischen Manifests" aufnehmen.
In diesem Sinne läßt sich der "Klassenkampf" ganz anders als gewöhnlich verstehen: Weit davon entfernt, auf den Sturz des Kapitalismus hinzuarbeiten, war er vielmehr der innere Entwicklungsmotor für das kapitalistische System selbst. Die auf die fetischistische Form ihrer Interessen beschränkte Arbeiterbewegung repräsentierte gewissermaßen immer wieder den Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise gegen den unreflektierten Konservatismus der jeweiligen kapitalistischen Eliten. Sie setzte Lohnerhöhungen, Verkürzung der Arbeitszeit, Koalitionsfreiheit, allgemeines Wahlrecht, Staatsinterventionismus, Industrie- und Arbeitsmarkt-Politik usw. als Bedingungen für die Entwicklung und Ausbreitung des industriellen Kapitalismus durch. Und das "Kommunistische Manifest" war das leuchtende Fanal dieser historischen Bewegung innerhalb der fetischistischen Hülle.
Wenn heute diese Bewegung zum Stillstand gekommen ist, so deswegen, weil das kapitalistische System selber keinen Horizont der Entwicklung mehr vor sich hat. Der "Klassenkampf" ist zu Ende gegangen, und damit hat auch das "Kommunistische Manifest" seine Kraft verloren. Seine aufrüttelnde Sprache ist zum historischen Dokument erstarrt. Dieser Text ist unwirklich geworden, weil er seine Aufgabe erfüllt hat. Gerade deswegen aber schlägt jetzt die Stunde des "esoterischen" Marx Nr. 2: Das gemeinsame Bezugssystem des "automatischen Subjekts", das in der Zeit des historischen Klassenkampfs gar nicht als distinkte Erscheinung wahrgenommen wurde und gewissermaßen "unsichtbar" war, ist zum brennenden Problem geworden und seine globale Krise wird das neue Jahrhundert prägen. Jetzt müßte ein anderes, neues Manifest geschrieben werden, dessen Sprache noch nicht gefunden ist."
Quelle: www.exit-online.org

Amida Temudschin
06.11.2004, 21:00
Endet mal wieder einer meiner Threads als Rohrkrepierer?

Falls der lange Text abschreckt, den man übrigens weder lesen noch verstehen muß, um die Frage zu beantworten, formuliere ich es mal anders:

Der Kapitalismus zu Marxens Zeiten war noch nicht voll entwickelt, da er noch zu sehr von vorkapitalistischen Aspekten geprägt war. Die Arbeiterbewegung hat mit ihrer Emanzipation die Grundlagen für den heutigen Kapitalismus (mit-)geschaffen, da die Interaktion aller Elemente einer Gesellschaft auf gleicher Ebene einen wichtigen Bestandteil des Neoliberalismus darstellt. Dadurch erfüllte sich Marx' Rolle als Kapitalismus-Modernisierer, aber seine Rolle als Kapitalismus-Kritiker wurde weitgehend ignoriert: Es ist zwar positiv, wenn die Arbeiterschaft sich ihren Teil am Mehrwert erkämpft, aber trotzdem ist der Mehrwert grundsätzlich negativ.

Wie steht ihr dazu? Es gibt doch genügend User, die sich selbst als links bezeichnen.

moxx
06.11.2004, 21:53
wenn ich kein kommunist bin darf ich zu diesem thread nicht sagen???

naja ich tus mal trotzdem:
es wird niemals einen perfekt entwickelten kapitalismus geben... :2faces:

und wieso ist mehrwert negativ?

Amida Temudschin
06.11.2004, 22:07
wenn ich kein kommunist bin darf ich zu diesem thread nicht sagen??? Natürlich darf sich jeder äußern, nur habe ich von den Linken am ehesten Statements erwartet.


es wird niemals einen perfekt entwickelten kapitalismus geben... Vielleicht ist das richtig, es wird aber immer ein Streben hin zur Perfektion geben, wenn wir nicht aus der kapitalistischen Logik ausbrechen.


und wieso ist mehrwert negativ? Durch die Abschöpfung von Mehrwert wird eine Ware teurer verkauft, als sie eigentlich ist.

moxx
06.11.2004, 22:11
möchtest du etwa sagen, im kommunismus gibt es kein streben mehr nach perfektion?

zum mehrwert,
der ist eigenlich der wert, den der käufer zu zahlen bereit ist und somit nicht unfair.

Amida Temudschin
06.11.2004, 22:18
Mit dem Streben nach Perfektion meinte ich das Streben nach einem perfekt entwickelten Kapitalismus.


der ist eigenlich der wert, den der käufer zu zahlen bereit ist und somit nicht unfair. Natürlich erscheint uns das System von Angebot und Nachfrage logisch und fair, aber steckt wirklich mehr Wert in einer Ware, nur weil ich sie besonders gerne haben möchte?

Siran
06.11.2004, 22:22
Was verstehst du unter einem perfekt entwickelten Kapitalismus? ?(

moxx
06.11.2004, 22:22
wenn ich etwas besonders gerne haben möchte, ist es für mich mehr wert. ganz klar. wenn ich etwas nicht will, oder als unwichtig betrachte, behandle ich es nicht so gut, weil es weniger wert ist ( für mich).

@siran,

perfekt entwickelter kapitalismus, wäre ein vollkommender markt. den es aber nie geben wird, aber seine bestandteile sind:

- markträumung zu jeder zeit ( also genaues gleichgewicht von angebot und nachfrage)
- keine markteintritts/-austrittsschranken
- vollständige information aller teilnehmer
- gleichheit der produkte
- kein marktteilnehmer hat die ökonomische macht, preise zu beeinflussen.

na und des wird es nie geben.

Siran
06.11.2004, 22:29
wenn ich etwas besonders gerne haben möchte, ist es für mich mehr wert. ganz klar. wenn ich etwas nicht will, oder als unwichtig betrachte, behandle ich es nicht so gut, weil es weniger wert ist ( für mich).


Dabei wäre doch die Frage überhaupt mal, wie sich überhaupt der (objektive) Wert eine Ware bemisst. Ist ein Schuh, der von einem erfahren Schuhmacher in kürzerer Zeit gemacht wurde, mehr oder weniger Wert als ein Schuh, für den ein Laie wesentlich mehr Zeit gebraucht hat, aber der die gleiche Qualität hat?

moxx
06.11.2004, 22:32
wie ich schon sagte, der wert einer wahre ist soviel, wie der käufer dafür bezahlen will.
es ist eben nicht so, dass die arbeit den mehrwert schafft, sondern erst der verkauf der ware ( für den natürlich arbeit notwendig ist ) man kann nochsoviel arbeit in eine ware stecken, wenn sie niemand kauft, ist sie nichts wert.

Amida Temudschin
06.11.2004, 22:42
wenn ich etwas besonders gerne haben möchte, ist es für mich mehr wert. ganz klar. wenn ich etwas nicht will, oder als unwichtig betrachte, behandle ich es nicht so gut, weil es weniger wert ist ( für mich).
Aber steckt dadurch mehr Arbeit in dem Produkt, das du haben möchtest?


Dabei wäre doch die Frage überhaupt mal, wie sich überhaupt der (objektive) Wert eine Ware bemisst. Ist ein Schuh, der von einem erfahren Schuhmacher in kürzerer Zeit gemacht wurde, mehr oder weniger Wert als ein Schuh, für den ein Laie wesentlich mehr Zeit gebraucht hat, aber der die gleiche Qualität hat? Da in beiden das gleiche Maß abstrakte Arbeit steckt, besitzen sie den gleichen Wert.

Siran
06.11.2004, 22:43
Dass würde aber bedeuten, dass die Zeit der einen Person mehr Wert ist als die Zeit der anderen Person...

Amida Temudschin
06.11.2004, 22:45
wie ich schon sagte, der wert einer wahre ist soviel, wie der käufer dafür bezahlen will.
es ist eben nicht so, dass die arbeit den mehrwert schafft, sondern erst der verkauf der ware ( für den natürlich arbeit notwendig ist ) man kann nochsoviel arbeit in eine ware stecken, wenn sie niemand kauft, ist sie nichts wert. Ja, der Handel schafft Mehrwert, aber die Arbeit schafft Wert. Du verwechselst hier Preis und Wert. Sind die Lebensmittel, die ein Bauer in einer Subsistenzwirtschaft produziert, wertlos?

Amida Temudschin
06.11.2004, 22:47
Dass würde aber bedeuten, dass die Zeit der einen Person mehr Wert ist als die Zeit der anderen Person... Ja, der Meister kann seine Zeit effektiver nutzen.

Siran
06.11.2004, 22:50
Ja, der Handel schafft Mehrwert, aber die Arbeit schafft Wert. Du verwechselst hier Preis und Wert. Sind die Lebensmittel, die ein Bauer in einer Subsistenzwirtschaft produziert, wertlos?

Die, die er selbst benötigt nicht, schließlich benötigt er diese. Lebensmittel, die er selbst nicht benötigt, bzw. brauchen kann und nicht gegen etwas anderes, benötigtes, einhandeln kann, sind aber an sich wertlos.

Amida Temudschin
06.11.2004, 22:58
Sie sind für ihn wertlos, da er ihren Wert nicht nutzt bzw. nutzen kann. Trotzdem steckt seine Arbeit in beiden Lebensmitteln.

Siran
06.11.2004, 22:59
Sie sind für ihn wertlos, da er ihren Wert nicht nutzt bzw. nutzen kann. Trotzdem steckt seine Arbeit in beiden Lebensmitteln.

Schon richtig, aber da er sie nicht nutzen kann, ist die Arbeit, die er da reingesteckt hat, vertane Arbeit. Es wäre für ihn besser, wenn er die Arbeit nicht getan hätte.

Amida Temudschin
06.11.2004, 23:10
Ja, deshalb produziert der Schustermeister auch Schuhe und keine Kartoffeln, die der Bauer effektiver produzieren kann. Anschließend tauschen die beiden und haben so ihre Zeit am effektivsten genutzt.

Siran
06.11.2004, 23:13
Das funktioniert doch aber wieder nur, weil der Schuhmacher Kartoffeln braucht und der Bauer hin und wieder Schuhe. Wenn es keinen gegenseitigen Bedarf gäbe, dann könnte jeder so effektiv produzieren wie er will, die Arbeit für alles, was er nicht selbst benötigt, wäre vollkommen umsonst.
Und nach welchem System willst du Schuhe gegen Kartoffeln tauschen?

Amida Temudschin
06.11.2004, 23:30
Wert schaffen sie auf jeden Fall mit ihrer Arbeit, aber um den Wert in Tauschwert zu verwandeln ist wirklich Nachfrage eine Bedingung.

Zum Tauschsystem: Man mißt das Maß an durchschnittlicher Arbeit in der Gesellschaft, das für ein Produkt nötig ist.
Beispiel 1: Die Gesellschaft besteht aus einem Schuster und einem Bauern. Der Schuster braucht 1 Stunde, um einen Schuh herzustellen, und 3 Stunden, um einen Sack Kartoffeln zu ernten. Der Bauer braucht für den Schuh 3 Stunden und für den Sack Kartoffeln 1 Stunde. Durchschnittlich brauchen sie also für beide Produkte 2 Stunden und können sie deshalb 1-zu-1 tauschen.
Beispiel 2: Die Gesellschaft besteht aus einem Schuster und 4 anderen Leuten, die für einen Schuh 6 Stunden aufwenden müssen. Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 5 Stunden, weshalb alle ihre Schuhe vom Schuster herstellen lassen und dieser einen Vorteil hat, der aber auf anderen Gebieten wieder ausgeglichen wird.

Siran
06.11.2004, 23:38
Wie misst du denn aber Arbeit? Wir hatten doch vorhin schon festgestellt, dass ein Schuh von gleicher Qualität nicht wertvoller wird, weil jemand an dem einen länger gearbeitet hat als an dem anderen.
Außerdem hängt ja z.B. die Produktivität eines Bauern nicht nur von seiner Arbeitsleistung, sondern auch von der Menge seiner Felder, Qualität des Bodens, Wetter, etc. ab. Jemand, mit gutem Boden wird mehr Kartoffeln herstellen können, als jemand mit schlechterem Boden. Trotzdem wäre auch da der Wert einer Kartoffel nicht größer als vorher.

Amida Temudschin
06.11.2004, 23:47
Wie gesagt, Arbeit mißt man an der durchschnittlich benötigten Zeit innerhalb einer Gesellschaft. Benötigt jemand weniger oder mehr Zeit dafür, schafft er zwar denselben Wert, spart bzw. verschwendet aber seine eigene Zeit.

Siran
06.11.2004, 23:56
Damit wäre doch aber der Tauschwert der einzig reale und messbare Wert, denn der Wert für den einzelnen wäre ja abhängig von seiner eigenen Effizienz und auch nicht festgelegt?

Amida Temudschin
07.11.2004, 00:14
Absolut meßbar ist die durchschnittliche Arbeit und damit der Wert nicht, der Tauschwert sollte ihn aber ungefähr widerspiegeln. Konjunktiv deshalb, weil die Nachfrage zwar eine Bedingung für den Tauschwert darstellt, ihn aber nicht bestimmen sollte.

moxx
07.11.2004, 17:10
Ja, der Handel schafft Mehrwert, aber die Arbeit schafft Wert. Du verwechselst hier Preis und Wert. Sind die Lebensmittel, die ein Bauer in einer Subsistenzwirtschaft produziert, wertlos?
nein sie sind nicht wertlos, in wirtschaftstheorien bezeichnet man den eigenverbrauch von waren als, opportunitätskoste. d.h. die kosten ( in diesem fall nicht erwitschafteter umsatz, für die selbstverzehrten waren). subsistenzwirtschaft schafft auch wert, er wird nur nicht monetär gemessen.

moxx
07.11.2004, 17:18
Absolut meßbar ist die durchschnittliche Arbeit und damit der Wert nicht, der Tauschwert sollte ihn aber ungefähr widerspiegeln. Konjunktiv deshalb, weil die Nachfrage zwar eine Bedingung für den Tauschwert darstellt, ihn aber nicht bestimmen sollte.


du stellst dir es also ungefäh so vor:

wert einer ware= stunden an arbeit x geldeinheiten/geleistete arbeitsstunde im durchschnitt der volkswirtschaft.

dies wird in folgendem sceario problematisch:

einige arbeitsstunden sind extrem produktiv, andere weniger. so produziert eine maschine viel mehr schuhe als ein schuster. sagen wir mal: die maschine 20 schuhe pro stunde der schuster nur einen.
damit würde die arbeit des schusters, vollkommen übeflüssig, obwohl er viel schönere und bessere schuhe macht. es müsten alle schuhe per maschine hergestellt werden, weil sich nur das lohnt ( der schuster bekommt für seinen einen schuh nicht viel/ weil im durchschnittlichen tauschwert gewechselt wird).
wenn nun aber nach nachfrage bezahlt wird, lohnt sich die arbeit des schusters plötzlich wieder, weil leute bereit sind mehr für schöne handgefertigte schuhe zu bezahlen.

frage: möchtest du das handwerk vernichten???

Amida Temudschin
08.11.2004, 00:48
du stellst dir es also ungefäh so vor:

wert einer ware= stunden an arbeit x geldeinheiten/geleistete arbeitsstunde im durchschnitt der volkswirtschaft.

dies wird in folgendem sceario problematisch:

einige arbeitsstunden sind extrem produktiv, andere weniger. so produziert eine maschine viel mehr schuhe als ein schuster. sagen wir mal: die maschine 20 schuhe pro stunde der schuster nur einen.
damit würde die arbeit des schusters, vollkommen übeflüssig, obwohl er viel schönere und bessere schuhe macht. es müsten alle schuhe per maschine hergestellt werden, weil sich nur das lohnt ( der schuster bekommt für seinen einen schuh nicht viel/ weil im durchschnittlichen tauschwert gewechselt wird).
wenn nun aber nach nachfrage bezahlt wird, lohnt sich die arbeit des schusters plötzlich wieder, weil leute bereit sind mehr für schöne handgefertigte schuhe zu bezahlen.

frage: möchtest du das handwerk vernichten??? Du bringst hier einen weiteren Faktor ins Spiel, die Qualität. Wenn die Maschine es wirklich schafft, bei gleicher Qualität effektiver zu produzieren, dann bedeutet das wirklich das Ende des Handwerks. Außerdem darf man nicht den Fehler machen, eine Stunde Laufzeit der Maschine mit einer Stunde Arbeitszeit des Schusters gleichzusetzen, da in der Maschine wiederum Arbeit steckt, sie Energie verbraucht und jemand sie bedienen muß.

Aber schauen wir uns mal die Realität an: Kaufst du einen Hammer beim Schmied oder von einer Firma, die ihn maschinell hergestellt hat?

moxx
08.11.2004, 12:17
naja ehrlich gesagt kaufe ich einen hammer im baumarkt und nicht beim schmied (gibt ja auch nurnoch hufschmiede).
aber wie gesagt, die qualität macht viel aus, da sind wir uns wohl einig.

jetzt hast du aber in der volkswirtschaft diesen weiteren faktor einzurechnen, um den korrekten tauschwert zu ermitteln und es gibt noch viel mehr faktoren die du einrechnen könntest ( z.b. umweltverträglichkeit, design, regionales handwerk usw. ).
jetzt wird es eben problematisch, denn wer ist in der lage dies alles fair zu berechen. du könntest dafür wohl mathematiker einsetzen, die haben aber in aller regel, keine ahnung vom schusterhandwerk und v.a keine vom schmieden. das problem hierbei wird sein, dass durch die komplexität ein vollkommen unfaires bürokratisches system herausspringt.
es ist deshalb m.e fairer wenn sich der preis auf dem markt bildet, weil immernoch kunde und verkäufer am besten über den wert bescheid wissen.

Amida Temudschin
08.11.2004, 15:43
Ich hab' noch mal genauer darüber nachgedacht: Qualität ist eigentlich gar kein Faktor. Stattdessen stellen zwei qualitativ unterschiedliche Produkte genau genommen zwei verschiedene Produkte dar, bei denen für eines der beiden mehr Arbeit notwendig ist. Umweltverträglichkeit und Design spielen da auch mit rein, was du mit regionalem Handwerk sagen willst, weiß ich nicht.

p.s.: Es gibt in Deutschland, wenn auch wenige, immer noch Messer-, Schwert-, Kunst- und Grobschmiede. Irgendwer davon kriegt wohl auch einen Hammer hin, der dann aber verhältnismässig teuer wäre.

moxx
08.11.2004, 17:32
das hieße ja dann, dass für das qualitativ hochwertigere produkt ein neuer tauschwert errechnet werden muss. also dann wird es wirklich kompliziert, denn wer stellt den qualität fest, ist ja nicht gesagt das ein schustermeister unbedingt gute schuhe macht.
und wie das alles umrechnen, also das system must du mir genauer erklären.

mit regionalem handwerk meinte ich, güter die nur in einer region hergestellt werden und deshalb gar keinen direkten vergleich auf dem gesamtmarkt haben.
in hessen bspw. der äppelwoi.

Amida Temudschin
08.11.2004, 20:50
das hieße ja dann, dass für das qualitativ hochwertigere produkt ein neuer tauschwert errechnet werden muss. also dann wird es wirklich kompliziert, denn wer stellt den qualität fest, ist ja nicht gesagt das ein schustermeister unbedingt gute schuhe macht.
und wie das alles umrechnen, also das system must du mir genauer erklären.
Die Qualität könnte man z.B. wie bei Eiern in Güteklassen einteilen, sodaß nicht jede einzelne Ware ein eigenes Produkt darstellen würde. Und ob man nun Leute damit beschäftigt, Güter einzuteilen und so den Preis festzulegen, oder Marktforschung betreibt, um zu sehen, wieviel die Kunden bereit sind, zu zahlen, dürfte vom Aufwand her keinen großen Unterschied machen.


mit regionalem handwerk meinte ich, güter die nur in einer region hergestellt werden und deshalb gar keinen direkten vergleich auf dem gesamtmarkt haben.
in hessen bspw. der äppelwoi. Wenn nur wenige Handwerker ein Produkt herstellen, wird die gesellschaftlich notwendige Arbeit auch nur aus diesem kleinen Personenkreis berechnet.

moxx
09.11.2004, 14:10
Die Qualität könnte man z.B. wie bei Eiern in Güteklassen einteilen, sodaß nicht jede einzelne Ware ein eigenes Produkt darstellen würde. Und ob man nun Leute damit beschäftigt, Güter einzuteilen und so den Preis festzulegen, oder Marktforschung betreibt, um zu sehen, wieviel die Kunden bereit sind, zu zahlen, dürfte vom Aufwand her keinen großen Unterschied machen.



würdest du mir bei der aussage zustimmen, dass in einem solchen system (übrigens eine horrende bürokratie ) die willkür leichtest spiel hätte?
man müste ja auch ständig neue güteklassen entwickeln, da auch ständig neue produkte entwickelt werden usw.

Manfred_g
09.11.2004, 14:46
es wird niemals einen perfekt entwickelten kapitalismus geben...



Vielleicht ist das richtig, es wird aber immer ein Streben hin zur Perfektion geben, wenn wir nicht aus der kapitalistischen Logik ausbrechen.



Der perfekte Marxismus, was ist das?
Man könnte auch vom perfekten Gefängnis sprechen. Beduetet das, daß kein Gefangener mehr ausbrechen kann, oder daß es gar keiner mehr WILL ?

Letzteres halte ich sowohl beim Gefängnis, als auch beim Marxismus für mehr als abwegig.
Schließlich machen diese Staatstheorien alle den selben Fehler:
Sie hinterfragen nie, was das einzelne Individuum eigntlich will, wie es leben möchte, welche Lebensplanung es hat, welche Ziele und welche Regierungsform am geeignetsten erscheint, um kurz- UND langfristig diese Ziele zu unterstützen, bzw. wenigsten das Erreichen dieser Ziele aus Eigenkraft des Individuums zuzulassen.

Stattdessen wird eine Schein-Institution die man mal "Staat", mal "Gesellschaft" oder sonstiwe nennt über alle Individuen gestellt. Dies halte ich aber in diesem Zusammenhang für absolut unzulässig (und darin sehe ich nicht nur den verbrecherischen Fehler der Kommunisten, sondern auch der Rot-Grün Regime)
Der grund ist: es gibt kein "Glück" des Staates. Es gibt kein "Allgemeinwohl", das man vom Wohl des Einzelnen ablösen könnte.
Das Allgemeinwohl ist der Mittelwert der Glücksempfindungen der Einzelindividuen. Aber zu glauben, das Allgemeinwohl durch dadurch isolierte Betrachtungen fördern zu können, ist eine Irreführung.
Jeder einzelne weiß am besten, was für ihn gut ist.

Um ein überspitztes Beispiel zu bringen:
Zwei Individuen möchten ein Auto: der eine ein schwarzes, der andere ein weißes.
Die freie Marktwirtschaft stellt genau dieses bereit.
Die kommunistische Planwirtschaft gibt jedem ein graues Auto.
Was würde wohl die Menschen mehr erfreuen?

Ich wollte nur stark vereinfacht verdeutlichen, daß der Staat als zentrales "GEsamthirn" niemals für jedes einzelne individuum denken und handeln kann. Daher ist er gezwungen, das "Allgemeinwohl" überzustrapazieren, daß -wie ich meine- so nicht existiert.

Amida Temudschin
09.11.2004, 18:44
@moxx: Das soll ja auch nur eine Übergangslösung sein. Im echten Marxismus soll es sowas wie Handel gar nicht mehr geben.

@Manfred_g: Im Kapitalismus hat man genau das gegensätzliche Problem: die eigene Freiheit steht über der allgemeinen. Man kann sich natürlich fragen, was erstrebenswerter ist.

moxx
10.11.2004, 10:18
zur übergangslösung:
wenn diese schon ineffizent ist, wie soll dann erst das ziel aussehen?

wenn es keinen handel mehr gibt, wie sollen dann güter an die nachfrager gebracht werden? oder wie überhauot soll herausgefunden werden welche nachfrage überhaupt besteht?
man kann natürlich sagen, grundbedürfnisse sind zu befriedigen und es ist ziemlich einfach, deren nachfrage zu ermittel (wobei dies ja auch nicht immer funktioniert). aber auch dieses problem, die nachfrage zu ermitteln ohne den handel (also das angebot ) ist nur durch eine bürokratie möglich. außer man schafft überall ein überangebot an waren, was total ineffizient wäre und das system innerhalb kürzester zeit zum kollabieren bringen würde.

Amida Temudschin
11.11.2004, 02:46
Kurz gefaßt: Wenn jeder soviel leistet, wie er kann, und nur soviel nimmt, wie er braucht (was deutlich über Grundbedürfnisse hinausgeht), entsteht zwangsläufig Überfluß, auch deshalb, weil im Marxismus stetiger technischer Fortschritt beinhaltet ist. Natürlich ist das utopisch (und deshalb auch etwas unscharf), aber ich sehe den voll entwickelten Marxismus auch als Utopie, die ich selbst vielleicht nie erreiche, aber allein durch das Streben nach ihr wird die Welt verbessert.

moxx
11.11.2004, 13:23
na dass hast du aber schön gesagt!!! :D

es muss aber nicht unbedingt heißen, dass das streben nach einer utopie die die welt verbessert.
denn gerade wenn systeme so hohen selbstzwang einbauen (jeder nimmt nur soviel wie er wirklich braucht), sind sie sehr anfällig wenn nur eine kleine gruppe sich nicht daran hält.

hbss
11.11.2004, 14:42
Wurde Marx von der Arbeiterbewegung nur halb verstanden? Stellte sie nur eine Bewegung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft dar und sparte Kritik an den grundlegenden Kategorien des Kapitalismus aus?

Robert Kurz: Der doppelte Marx
aus: Folha de Sao Paulo
"Wenn Geburtstage, Todestage, Jahrestage oder Gedenktage gefeiert werden, die sich auf einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren beziehen, dann ist der Gegenstand der Erinnerung meistens schon museal geworden, in die Artefakte der toten Vergangenheit einsortiert und kein Grund zur Aufregung mehr. Die Feuilletons, die kulturellen Honoratioren und die Verwalter der Geschichte können ihre events zelebrieren und sich gemütlich über die eingeglasten Dokumente dessen beugen, was einstmals die Herzen schneller schlagen ließ. Das "Manifest der Kommunistischen Partei" aus dem Jahr 1848, verfaßt von zwei damals fast unbekannten jungen Intellektuellen, Karl Marx und Friedrich Engels, hat sich erstaunlich lange frisch gehalten. Ein Text, der auch nach mehr als einem Jahrhundert noch rasenden Haß auf sich zieht und immer wieder verboten wird, gleichzeitig verbreitet ist wie sonst nur noch die Bibel, muß wirklich geistigen Sprengstoff für ein ganzes Zeitalter enthalten.
Trotzdem kann das "Manifest" seinen 150. Geburtstag nicht mehr als leidenschaftlich umstrittene Größe mitten im gesellschaftlichen Kampfgetümmel feiern. Irgendwann in den 80er Jahren, spätestens mit der großen Wende von 1989, ist dieses so lange glühende Dokument plötzlich kalt und schal geworden, seine Botschaft über Nacht vergilbt und heute nur noch als Urkunde einer zu Ende gegangenen Geschichte "ohne Zorn und Eifer" zu studieren. Aber weder ist damit die Theorie von Karl Marx erledigt, die nur zusammen mit dem Kapitalismus sterben und historisch werden kann, noch ist der Inhalt des "Manifests" heute deshalb ungenießbar geworden, weil er von Anfang an ein "Irrtum" gewesen wäre. Wenn der Neoliberalismus eine solche Behauptung aufstellt, dann schnappt er immer noch bellend nach dem alten Gegenstand seines Zornes, der gar keine Kritik des fortentwickelten Kapitalismus mehr darstellen kann, und beweist damit nur, daß er selber in der alten Epoche sitzengeblieben ist.
Um zu begreifen, warum das "Manifest" so lange eine Wahrheit ausgesprochen hat und erst am Ende des 20. Jahrhunderts in gewisser Weise unwahr geworden ist, müssen wir den widersprüchlichen Charakter der fälschlicherweise stets als geschlossene Einheit behandelten Marxschen Theorie erkennen. Es gibt sozusagen einen "doppelten Marx": zwei Theoretiker in demselben Kopf, die ganz verschiedene Wege der Argumentation verfolgen. Der Marx Nr. 1, das ist der allgemein bekannte "exoterische" und positive Marx, der Abkömmling und Dissident des Liberalismus, der sozialistische Politiker seiner Zeit und der Mentor der Arbeiterbewegung, die nie etwas anderes wollte als staatsbürgerliche Rechte und einen "gerechten Lohn für ein gerechtes Tagewerk". Dieser Marx Nr. 1 scheint einen ontologischen Standpunkt der "Arbeit" samt der dazugehörigen protestantischen Ethik einzunehmen, den "unbezahlten Mehrwert" einzuklagen und das juristische "Privateigentum an den Produktionsmitteln" durch das Staatseigentum ersetzen zu wollen.
Und kein Zweifel: Das ist auch der Marx des "Kommunistischen Manifests", auf dessen Niveau sein Adlatus und Mitautor Engels zeitlebens verharrte. Es ist das Manifest des "Klassenkampfs", wie er die Entwicklung der modernen Welt zwischen 1848 und 1989 bestimmt hat. "Euer Recht", so schleudern Marx und Engels dem selber noch jungen kapitalistischen Bürgertum entgegen, "ist nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse". Da gibt es zwar sogenannte materielle Bedingungen; was aber die Geschichte letzten Endes bestimmt und vorantreibt, ist die ungeschmälerte Subjektivität des bewußten Willens von gegensätzlichen sozialen Interessen: "Klasse gegen Klasse", ohne daß genauer danach gefragt wird, auf welche Weise diese gesellschaftlichen Großsubjekte und ihre Interessen eigentlich konstituiert worden sind. Ganz unbefangen ist hier noch die Sprache der aufklärerischen Philosophie zu hören, in der die Gesellschaft und ihre Entwicklung sich quasi naturwissenschaftlich auf bewußte Willenshandlungen reduzieren lassen.
Dementsprechend ist das Ziel auch nur die Umstülpung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, also "die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse"; und "das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen". Der Begriff des Kapitals bezeichnet hier plötzlich kein gesellschaftliches Verhältnis mehr, sondern eine Ansammlung von dinglichem Reichtum, den die eine Klasse der anderen wegnehmen kann und dessen gesellschaftliche Form gar nicht weiter in Betracht kommt. Geld und Staat erscheinen somit als neutrale Gegenstände, die umkämpft sind und gewissermaßen als Beute der einen oder anderen Klasse zufallen, wobei das Proletariat sich in diesem Kampf als Träger der "Arbeit" gegenüber dem parasitären "arbeitslosen Einkommen" der Kapitalisten moralisch legitimiert. Folgerichtig verlangt das "Manifest" als wesentliche Maßregeln die "Zentralisation des Kredits in den Händen des Staates" und "gleichen Arbeitszwang (!) für alle" sowie die "Errichtung industrieller Armeen (!)". Adorno wußte schon, was er sagte, als er dem Marx des "Manifests" vorwarf, er habe die ganze Gesellschaft in ein einziges Arbeitszuchthaus verwandeln wollen. Die späteren sozialistischen Entwicklungsdiktaturen in der Sowjetunion und in der 3. Welt trugen ja tatsächlich alle Züge eines arbeits-utopischen Kasernenkommunismus. Aber es gibt eben noch einen ganz anderen Marx. Dieser Marx Nr. 2, das ist der bis heute dunkle und wenig bekannte "esoterische" und negative Marx, der Entdecker des gesellschaftlichen Fetischismus und radikale Kritiker der "abstrakten Arbeit" samt der dazugehörigen repressiven Ethik, wie sie das moderne warenproduzierende System kennzeichnet. Der Marx Nr. 2 richtet seine theoretische Analyse nicht auf die systemimmanenten sozialen Interessen, sondern vielmehr auf den historischen Charakter dieses Systems selbst. Das Problem ist hier nicht mehr der "unbezahlte Mehrwert" oder die juristische Verfügungsgewalt des Privateigentums, sondern die gesellschaftliche Form des Werts selber, die den kämpfenden Klassen gemeinsam ist und überhaupt erst die Gegensätzlichkeit ihrer Interessen hervorbringt. Diese Form ist deswegen "fetischistisch", weil sie eine subjektlose Struktur "hinter dem Rücken" aller Beteiligten konstituiert, in der sie gemeinsam dem unaufhörlichen kybernetischen Prozeß einer Verwandlung abstrakter menschlicher Energie in Geld unterworfen werden.
Auf der theoretischen Ebene des Marx Nr. 2 sind wesentliche Aussagen des "Kommunistischen Manifests" einfach sinnlos. Das Kapital ist hier kein Ding mehr, das man der herrschenden Klasse wegnehmen könnte, sondern das gesellschaftliche Verhältnis des totalisierten Geldes, das als Kapital auf sich selbst rückgekoppelt wurde und sich deshalb in einer gespenstischen Bewegung verselbständigt hat, also (wie Marx später im "Kapital" sagt) als "automatisches Subjekt" funktioniert. Dieses absurde Verhältnis aufzuheben und den modernen Fetischismus zu überwinden, kann demzufolge auch nicht durch eine bloße Verlängerung des systemimmanenten Interessenkampfes gelingen. Stattdessen ist letzten Endes ein bewußter Bruch mit der gemeinsamen Form der Interessen notwendig, um von der verrückten Bewegung des Werts und seiner Kategorien ("Arbeit", Ware, Geld, Markt, Staat) zu einer emanzipatorischen gemeinschaftlichen "Verwaltung von Sachen" zu gelangen und die Produktivkräfte nach Kriterien "sinnlicher Vernunft" bewußt einzusetzen, statt sie dem blinden Prozessieren einer fetischistischen "Maschine" zu überlassen.
In welcher Beziehung stehen der "exoterische" Marx Nr. 1 und der "esoterische" Marx Nr. 2? Der "doppelte Marx" läßt sich nicht in einen "frühen" und in einen "späten" Marx auseinanderdividieren, denn das Problem zieht sich als Widerspruch durch die gesamte Marxsche Theorie. Elemente der Kritik am Fetischismus der Wertform und an der "Arbeit" finden sich schon vor dem "Kommunistischen Manifest" in den Frühschriften, während umgekehrt Elemente der soziologisch verkürzten Denkweise auch noch im "Kapital" und in den Spätschriften auftauchen. Das Problem besteht darin, daß Marx zu seiner Zeit den Widerspruch in seiner Theorie gar nicht erkennen konnte, weil es sich nicht um einen Widerspruch nur der Theorie, sondern der Wirklichkeit selbst handelte. Marx entdeckte als einziger die gemeinsame Form der gegensätzlichen Klasseninteressen und ihren historisch begrenzten Charakter; aber diese Entdeckung konnte nicht praktisch wirksam werden, weil das moderne warenproduzierende System noch einen langen Weg der Entwicklung von 150 Jahren vor sich hatte. Für die Arbeiterbewegung war deshalb der Marx Nr. 2 bedeutungslos und sie konnte nur die Lesart des "Kommunistischen Manifests" aufnehmen.
In diesem Sinne läßt sich der "Klassenkampf" ganz anders als gewöhnlich verstehen: Weit davon entfernt, auf den Sturz des Kapitalismus hinzuarbeiten, war er vielmehr der innere Entwicklungsmotor für das kapitalistische System selbst. Die auf die fetischistische Form ihrer Interessen beschränkte Arbeiterbewegung repräsentierte gewissermaßen immer wieder den Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise gegen den unreflektierten Konservatismus der jeweiligen kapitalistischen Eliten. Sie setzte Lohnerhöhungen, Verkürzung der Arbeitszeit, Koalitionsfreiheit, allgemeines Wahlrecht, Staatsinterventionismus, Industrie- und Arbeitsmarkt-Politik usw. als Bedingungen für die Entwicklung und Ausbreitung des industriellen Kapitalismus durch. Und das "Kommunistische Manifest" war das leuchtende Fanal dieser historischen Bewegung innerhalb der fetischistischen Hülle.
Wenn heute diese Bewegung zum Stillstand gekommen ist, so deswegen, weil das kapitalistische System selber keinen Horizont der Entwicklung mehr vor sich hat. Der "Klassenkampf" ist zu Ende gegangen, und damit hat auch das "Kommunistische Manifest" seine Kraft verloren. Seine aufrüttelnde Sprache ist zum historischen Dokument erstarrt. Dieser Text ist unwirklich geworden, weil er seine Aufgabe erfüllt hat. Gerade deswegen aber schlägt jetzt die Stunde des "esoterischen" Marx Nr. 2: Das gemeinsame Bezugssystem des "automatischen Subjekts", das in der Zeit des historischen Klassenkampfs gar nicht als distinkte Erscheinung wahrgenommen wurde und gewissermaßen "unsichtbar" war, ist zum brennenden Problem geworden und seine globale Krise wird das neue Jahrhundert prägen. Jetzt müßte ein anderes, neues Manifest geschrieben werden, dessen Sprache noch nicht gefunden ist."
Quelle: www.exit-online.org


das ist richtig sonst waere die ddr nicht abgesoffen.als kapital ist der mensch negativ einzubuchen,da hat marx recht.

hbss
11.11.2004, 14:43
Kurz gefaßt: Wenn jeder soviel leistet, wie er kann, und nur soviel nimmt, wie er braucht (was deutlich über Grundbedürfnisse hinausgeht), entsteht zwangsläufig Überfluß, auch deshalb, weil im Marxismus stetiger technischer Fortschritt beinhaltet ist. Natürlich ist das utopisch (und deshalb auch etwas unscharf), aber ich sehe den voll entwickelten Marxismus auch als Utopie, die ich selbst vielleicht nie erreiche, aber allein durch das Streben nach ihr wird die Welt verbessert. das waere aber ein unsinniges paradoxon fern jeder realitaet.

Amida Temudschin
11.11.2004, 16:31
na dass hast du aber schön gesagt!!!
Jaja, ich weiß, daß das was von Totschlagargument hat, wenn ich sage: "Alles wird gut."


denn gerade wenn systeme so hohen selbstzwang einbauen (jeder nimmt nur soviel wie er wirklich braucht), sind sie sehr anfällig wenn nur eine kleine gruppe sich nicht daran hält. Jedes System hat solche Zwänge, z.B. die starre Hierarchie im Feudalismus oder der Egoismus im Kapitalismus. Für den Kommunismus bringe ich dann mal das nächste Totschlagargument an: Irgendwann wird der Mensch gelernt haben, daß es ihm langfristig mehr Vorteile bringt, wenn er nicht versucht, jeden kurzfristigen Vorteil abzugreifen.

moxx
12.11.2004, 12:05
der unterschied liegt aber darin, dass system wie der kapitalismus auch funktionieren, wenn eine gruppe sich von ihm abwendet. das ist ja der vorteil, er ist extrem integrationsfähig.

zum totschlagargument:
hast du recht, nur muss dass nicht unbedingt zum kommunismus führen. :D

Amida Temudschin
13.11.2004, 10:24
Funktioniert der Kapitalismus denn? Als angehender Gesellschaftswissenschaftler stelle ich mir nicht nur die Frage, ob ein System funktioniert, sondern auch, ob es der Gesellschaft nützt. Wenn ich dann die soziale Marktwirtschaft betrachte, komme ich zu dem Ergebnis, daß sie zwar eine nette Idee ist, die die persönliche Freiheit nicht über alles stellt, aber an dem Anspruch, daß die Wirtschaft dem Menschen dient und nicht andersherum, scheitert.

Ich möchte aber nochmal auf die Eingangsfrage zurückkommen: Haben die bisherigen Bewegungen, die sich an Marx orientiert haben (Arbeiterbewegung im 19. Jh., Sowietunion, Emanzipationsbewegungen der 3. Welt), nur innerhalb des kapitalistischen Systems etwas erreicht und damit den Kapitalismus selbst weiterentwickelt, aber die grundlegende Kapitalismuskritik Marx' ignoriert?

moxx
15.11.2004, 17:26
ein system funktioniert m.e. immer dann, wenn sich die meisten seiner teilnehmer damit arangieren können. keine gruppe darf dabei zu zufreiden sein, dass ist dann meistens gerecht. der kapitalismus erfüllt dieses m.e. recht gut.
ein system nützt einem menschen wenn es ihm die möglichkeiten gibt soweit wie möglich (also ohne jemanden anderen einzuschrenken) glücklich zu sein.

zu dem eigentlichen topic kann ich nur sagen:
ja,

es hängt eben mit der starken integrationskraft des kapitalismus zusammen, keine der beiden gruppen ( ich mache nur ungern jetzt mal die marxistische klassenanalyse: kapitalisten und arbeiter ) haben ihr ziel voll erreicht. daraus folgt: ist gerecht.
marx hatte einen wichtigen einfluss auf die geschichte genommen, dass er nicht ganz durchgesetzt wurde ist m.e. ein glück. :]

Amida Temudschin
16.11.2004, 03:14
Also ist dir sicheres Mittelmaß lieber als die Möglichkeit, an einem besseren System zu scheitern?

moxx
16.11.2004, 11:50
das schlichte mittelmaß läst ja immer ausschläge nach oben und unten zu, die marktwirtschaft beinhaltet für beides die möglichkeit. das ist gut so, der kommunismus hält mir nur eine perspektive vor: MITTELMASS.

außerdem bin ich keinesfalls davon überzeugt, das der kommunismus das bessere system ist.

und auf deine frage geantwortet:
ja.
und das bin nicht nur ich, die meisten menschen sind risikoavers, darauf baut unser staat ja auf.

moxx
16.11.2004, 12:39
entschuzldige amida, dass ich nicht sofort auf deine frage eingegangen bin, ich wollte nur nicht das dein thema im rohr krepiert... :D

John Donne
16.11.2004, 15:36
Funktioniert der Kapitalismus denn? Als angehender Gesellschaftswissenschaftler stelle ich mir nicht nur die Frage, ob ein System funktioniert, sondern auch, ob es der Gesellschaft nützt. Wenn ich dann die soziale Marktwirtschaft betrachte, komme ich zu dem Ergebnis, daß sie zwar eine nette Idee ist, die die persönliche Freiheit nicht über alles stellt, aber an dem Anspruch, daß die Wirtschaft dem Menschen dient und nicht andersherum, scheitert.

Ich möchte aber nochmal auf die Eingangsfrage zurückkommen: Haben die bisherigen Bewegungen, die sich an Marx orientiert haben (Arbeiterbewegung im 19. Jh., Sowietunion, Emanzipationsbewegungen der 3. Welt), nur innerhalb des kapitalistischen Systems etwas erreicht und damit den Kapitalismus selbst weiterentwickelt, aber die grundlegende Kapitalismuskritik Marx' ignoriert?

Ich weiß, das hatten wir schon häufiger, aber primär ist der "Kapitalismus" ja kein Gesellschafts, sondern ein Wirtschaftssystem. Da es sich in einer offenen Gesellschaft am besten entfalten kann - und hier die marktimmanente Selbstregualtion am besten greift - setzt es gewisse Freiheiten voraus und orientiert sich tendentiell - wie richtig von Dir dargestellt - an der Freiheit des Individuums. Damit hat er gewissermaßen auch Einfluß auf die Gesellschaftsform.
Auf einer gewissen Eben nützt aber doch jede Gesellschaftsform der Gesellschaft:
- ordnend und völlige Willkür verhindernd (unterste Ebene)
- Rechtssicherheit und physischen Schutz bietend
- Den Gesellschaftsmitgliedern Wohlfahrt bietend
Gerade das weitgehende Fehlen des letzten Punktes wird doch von den Kritikern des "Kapitalismus" besonders bemängelt.
Ich sehe da aber einen unüberbrückbaren Widerspruch zu dem "Die Freiheit des Individuums über alles"-Stellen.

Zur Eingangsfrage:
Sehr kurz: Ja.
Ich bin allerdings, der Überzeugung, daß das, was dort als "Kapitalismuskritik" bezeichnet wird, also die Gedanken des zweiten Marx, den "Wert" abzuschaffen, völlig realitätsfremd ist. Ich gebe zu, geschichtsphilosophischen Interpretationen generell ablehnend gegenüberzustehen, da ich der Meinung bin, daß sie den Charakter der Geschichte verfehlen und der Glaube an sie eine der Ursachen für den deutschen Sonderweg in der Geschichte war (und möglicherweise noch immer ist). Ich halte die Kategorien des Werts in einer Welt, in der nicht alle Güter (inklusive der immateriellen) frei sind, für aus praktischen Erfordernissen lebensnotwendig.
M.E.muß sich ein Gesellschaftsentwurf immer an realistischen Zielen orientieren. Phantasie ist gut, aber das Ziel muß auch erreichbar sein.

Grüße
John

Amida Temudschin
17.11.2004, 01:46
das schlichte mittelmaß läst ja immer ausschläge nach oben und unten zu, die marktwirtschaft beinhaltet für beides die möglichkeit. das ist gut so, der kommunismus hält mir nur eine perspektive vor: MITTELMASS.
Ich hatte Mittelmaß eigentlich auf die Qualität eines Systems bezogen, aber bei der Lebensqualität hast du durchaus recht, nur daß das Mittelmaß im (zugegebenermaßen utopischen) Kommunismus höher ist.


und auf deine frage geantwortet:
ja.
und das bin nicht nur ich, die meisten menschen sind risikoavers, darauf baut unser staat ja auf. Die Frage war auch nicht wertend gemeint (auch wenn ich versucht bin, ein bestimmtes Brecht-Zitat zu bringen). Beides sind persönliche Lebenseinstellungen, aber seltsamerweise wird von der Wirtschaft immer nur innerhalb des Systems mehr Flexibilität und Risikobereitschaft gefordert und nicht auf höheren Ebenen.


- Rechtssicherheit und physischen Schutz bietend
Was ja im Kapitalismus (da wir die Diskussion wirklich schon mehrmals hatten, erinnerst du dich vielleicht, daß ich das als Abkürzung für das Dreigestirn Kapitalismus, Liberalismus und parlamentarische Demokratie benutze) erst (mit) durch die Arbeiterbewegung erreicht wurde und somit eventuell gar kein Teil der kapitalistischen Ordnung ist.


Ich sehe da aber einen unüberbrückbaren Widerspruch zu dem "Die Freiheit des Individuums über alles"-Stellen.
Sicher, in der heutigen Form ist die Freiheit (noch) begrenzt, aber im Grundgedanken der drei Teilsysteme ist absolute Freiheit für einige wenige nicht ausgeschlossen. Auch die römischen Patrizier und die athenischen Sklavenhändler waren Demokraten.


Ich bin allerdings, der Überzeugung, daß das, was dort als "Kapitalismuskritik" bezeichnet wird, also die Gedanken des zweiten Marx, den "Wert" abzuschaffen, völlig realitätsfremd ist. Ich gebe zu, geschichtsphilosophischen Interpretationen generell ablehnend gegenüberzustehen, da ich der Meinung bin, daß sie den Charakter der Geschichte verfehlen und der Glaube an sie eine der Ursachen für den deutschen Sonderweg in der Geschichte war (und möglicherweise noch immer ist). Ich halte die Kategorien des Werts in einer Welt, in der nicht alle Güter (inklusive der immateriellen) frei sind, für aus praktischen Erfordernissen lebensnotwendig.
M.E.muß sich ein Gesellschaftsentwurf immer an realistischen Zielen orientieren. Phantasie ist gut, aber das Ziel muß auch erreichbar sein.
Von der historischen Dialektik mit ihrer eingebauten Zwangsläufigkeit halte ich auch nicht viel.
Solange sich die Produktionsweise unserer Gesellschaft nicht verändert, wäre die Abschaffung von Kategorien wie Wert natürlich auch falsch, bis dahin stimme ich zu.
Aber das Dogma des Realismus lehne ich ab, da es zu häufig benutzt wird, um uns in den Möglichkeiten des Denkens und Handelns einzuschränken. Wirklich realistisch wäre es, von allen denkbaren Möglichkeiten die beste zu wählen und auf sie hinzuarbeiten.

John Donne
17.11.2004, 14:43
Was ja im Kapitalismus (da wir die Diskussion wirklich schon mehrmals hatten, erinnerst du dich vielleicht, daß ich das als Abkürzung für das Dreigestirn Kapitalismus, Liberalismus und parlamentarische Demokratie benutze) erst (mit) durch die Arbeiterbewegung erreicht wurde und somit eventuell gar kein Teil der kapitalistischen Ordnung ist.


Wir unterliegen hier m.E. einem Mißverständnis:
Ich behaupte lediglich, daß jede Gesellschaftsordnung ein gewisses Maß an Rechtssicherheit und physischen Schutz bietet, auch wenn in gewissen Fällen die Sicherheit darin besteht, daß man keinen Rechte hat, und der physische Schutz sich darauf beschränkt, daß die Gesellschaftsordnung einschränkt, wer wem physisches Leid zufügen darf und wer nicht und ansonsten seine Mitglieder weitgehend sich selbst bzw. ihrem Schicksal überläßt.
Rechtssicherheit ist ja etwas anderes als Gleichheit vor dem Recht, und obwohl auf viel elementarerer Ebene stehend dennoch eine Errungenschaft.

Generell glaube ich, daß es sehr schwer meß-und faßbar ist, inwieweit ein Gesellschaftssystem der Gesellschaft nützt.

Grüße
John

Amida Temudschin
17.11.2004, 22:54
Nach der Definition ist die Rechtssicherheit aber nur die Ordnung und das Fehlen der Willkür in deinem ersten Punkt, weswegen ich angenommen habe, du meintest etwas anderes. So beschränkt sich der Nutzen jeder Gesellschaft auf "Man weiß, was einen erwartet.".

hbss
18.11.2004, 08:29
ein system funktioniert m.e. immer dann, wenn sich die meisten seiner teilnehmer damit arangieren können. keine gruppe darf dabei zu zufreiden sein, dass ist dann meistens gerecht. der kapitalismus erfüllt dieses m.e. recht gut.
ein system nützt einem menschen wenn es ihm die möglichkeiten gibt soweit wie möglich (also ohne jemanden anderen einzuschrenken) glücklich zu sein.

zu dem eigentlichen topic kann ich nur sagen:
ja,

es hängt eben mit der starken integrationskraft des kapitalismus zusammen, keine der beiden gruppen ( ich mache nur ungern jetzt mal die marxistische klassenanalyse: kapitalisten und arbeiter ) haben ihr ziel voll erreicht. daraus folgt: ist gerecht.
marx hatte einen wichtigen einfluss auf die geschichte genommen, dass er nicht ganz durchgesetzt wurde ist m.e. ein glück. :]
eben nicht.siehe demokratie in athen.auch diese scheiterte und wurde von tyrannen zerstoert.

John Donne
18.11.2004, 08:42
Nach der Definition ist die Rechtssicherheit aber nur die Ordnung und das Fehlen der Willkür in deinem ersten Punkt, weswegen ich angenommen habe, du meintest etwas anderes. So beschränkt sich der Nutzen jeder Gesellschaft auf "Man weiß, was einen erwartet.".

Das stimmt so nicht ganz: Dieses "Man weiß, was einen erwartet." ist der Nutzen, den jede Gesellschaftsordnung mindestens mit sich bringt (im Gegensatz zur Anarchie). Das ist zugegebenermaßen herzlich wenig. Der Rest hängt eben von der konkreten Gesellschaftordung ab.

Grüße
John

hbss
18.11.2004, 09:32
Das stimmt so nicht ganz: Dieses "Man weiß, was einen erwartet." ist der Nutzen, den jede Gesellschaftsordnung mindestens mit sich bringt (im Gegensatz zur Anarchie). Das ist zugegebenermaßen herzlich wenig. Der Rest hängt eben von der konkreten Gesellschaftordung ab.

Grüße
John
das gibt es nur.die gesellschaft hat nur pflichten und regeln,keine vorteile.

moxx
18.11.2004, 16:54
eben nicht.siehe demokratie in athen.auch diese scheiterte und wurde von tyrannen zerstoert.

verstehe nicht was du mit diesem beitrag sagen möchtest???
könntest du dich bitte endlich einmal klar verständlich ausdrücken, dass ist echt furchtbar, wo lebst du denn???

moxx
18.11.2004, 16:54
das gibt es nur.die gesellschaft hat nur pflichten und regeln,keine vorteile.

planungssicherheit ist ein vorteil!

Amida Temudschin
19.11.2004, 17:01
Das stimmt so nicht ganz: Dieses "Man weiß, was einen erwartet." ist der Nutzen, den jede Gesellschaftsordnung mindestens mit sich bringt (im Gegensatz zur Anarchie). Das ist zugegebenermaßen herzlich wenig. Der Rest hängt eben von der konkreten Gesellschaftordung ab.
Äh, ich meinte in etwa das Gleiche, hab's nur falsch formuliert.
Welchen Nutzen hat den der Kapitalismus für alle?
Eine effiziente Verteilung der Güter fällt schonmal weg, genauso eine möglichst freie Lebensgestaltung.

John Donne
22.11.2004, 13:33
Äh, ich meinte in etwa das Gleiche, hab's nur falsch formuliert.
Welchen Nutzen hat den der Kapitalismus für alle?
Eine effiziente Verteilung der Güter fällt schonmal weg, genauso eine möglichst freie Lebensgestaltung.

Naja, daß der Kapitalismus nicht die Umverteilung von Reichtum anstrebt, ist klar. Im logistischen Sinne verteilt er allerdings extrem effizient.
Warum fällt die frei Lebensgestaltung weg? Oder andersrum, welches Wirtschaftssystem bietet den mehr Möglichkeiten?
Abgesehen davon war ich nie ein Verfechter der reinen Kapitalismus, sondern der sozialen Marktwirtschaft. Mir ist das soziale Element durchaus wichtig. Nur sehe ich dessen Sinn nicht in der Umverteilung, sondern im Sicherstellen einer Chance für jeden. Gleich werden die Chancen niemals sein. Das ist m.E. auch nicht anzustreben. Gerade bei der Betrachtung des Erziehungs- und Bildungssystems kann man meiner Meinung nach sehen, daß es hier noch viel zu tun gibt.
Verteilungsgerechtigkeit, auf die Spitze getrieben mit Enteignungen, ist aber m.E. eine sehr kurzfristige Form von Gerechtigkeit: Ich bin der Meinung, nach relativ kurzer Zeit wären wieder dielben Leute arm und reich wie vorher. Ich halte es für besser (für alle!), den Bürgern die eine gute Bildung mit auf den Weg zu geben und sie generell zu befähigen, ihr Geld selbst zu verdienen.

Grüße
John

Amida Temudschin
23.11.2004, 01:23
Naja, daß der Kapitalismus nicht die Umverteilung von Reichtum anstrebt, ist klar. Im logistischen Sinne verteilt er allerdings extrem effizient.
Die eine Hälfte der Menschheit hat Übergewicht, die andere hungert (um mal zu übertreiben), sehr effizient scheint das nicht zu sein. Damit meine ich nicht die Umverteilung von Reichtum, sondern schlicht die Verteilung von Gütern, um der gesamten Menschheit das Leben zu ermöglichen, denn allein das ist die gesellschaftliche Rolle der Wirtschaft und daran ist der Kapitalismus klar gescheitert.


Warum fällt die frei Lebensgestaltung weg? Oder andersrum, welches Wirtschaftssystem bietet den mehr Möglichkeiten?
Der Mensch muß zwangsläufig seine Arbeitskraft veräußern (um es mit Marx' Worten zu sagen). Eine Änderung dieses Zustandes mag unmöglich erscheinen, aber nur deshalb, weil es uns seit Ewigkeiten als Naturgesetz präsentiert wird, daß die Gesellschaft so aufgebaut wird. Das ist in jedem Wirtschaftssystem so, deshalb kann die Alternative nur sein, die Wirtschaft selbst abzuschaffen.


Nur sehe ich dessen Sinn nicht in der Umverteilung, sondern im Sicherstellen einer Chance für jeden. Gleich werden die Chancen niemals sein. Das ist m.E. auch nicht anzustreben. Gerade bei der Betrachtung des Erziehungs- und Bildungssystems kann man meiner Meinung nach sehen, daß es hier noch viel zu tun gibt.
Gleich können die Chancen auch nie sein, da jeder Mensch andere Fähigkeiten hat (auch unabhängig von Erziehung und Bildung). Daher müssen nicht die Fähigkeiten auf ein Mittelmaß gestutzt werden, sondern die Konsequenz aus diesen Fähigkeiten gestrichen werden: Nur weil jemand z.B. ein talentierter Physiker ist, heißt das nicht, daß, wenn er sein Talent im gleichen Maß wie ein Bergmann das seinige nutzt, er einen höheren Lebensstandard haben sollte.


Ich bin der Meinung, nach relativ kurzer Zeit wären wieder dielben Leute arm und reich wie vorher. Wobei gerade ein guter Teil der heutigen oberen Zehntausend ihr Vermögen eher durch Geburt oder Glück erworben hat als durch eigene Fähigkeiten verdient.

John Donne
23.11.2004, 09:33
Die eine Hälfte der Menschheit hat Übergewicht, die andere hungert (um mal zu übertreiben), sehr effizient scheint das nicht zu sein. Damit meine ich nicht die Umverteilung von Reichtum, sondern schlicht die Verteilung von Gütern, um der gesamten Menschheit das Leben zu ermöglichen, denn allein das ist die gesellschaftliche Rolle der Wirtschaft und daran ist der Kapitalismus klar gescheitert.

Naja, erstens setzt Dein Ansatz voraus, daß Gesellschaften und der Kapitalismus nicht in Volkswirtschaften, sondern auf eine Weise global "denkt", die jeden Globalisierungsbefürworter in den Schatten stellt. Eine "Weltgesellschaft" haben wir jedoch in dem Sinne nicht.
Zweitens funktioniert diese Logistik nur für Waren, die aufgrund von Marktnachfragen bewegt werden. "Markt" setzt voraus, daß diese Güter als Handelsgut bezahlt werden.
Ich bin übrigens im Normalfall nicht dafür, dem "armen Süden" quasi unsere Überproduktion zu überlassen, weder geschenkt noch bezahlt. Das zerstört m.E. nur die dortige Wirtschaft. Besser wäre es, ihm einfach Geld zu überlassen, damit die Menschen ihre Nahrungsmittel schlicht dort kaufen können. Das würde in sehr vielen Fällen den Hunger lindern. Meistens ist auch dort nämlich genug Nahrung vorhanden, die Menschen sind jedoch z.B. durch Massenarbeitslosigkeit zu arm, sich diese zu leisten.



Der Mensch muß zwangsläufig seine Arbeitskraft veräußern (um es mit Marx' Worten zu sagen). Eine Änderung dieses Zustandes mag unmöglich erscheinen, aber nur deshalb, weil es uns seit Ewigkeiten als Naturgesetz präsentiert wird, daß die Gesellschaft so aufgebaut wird. Das ist in jedem Wirtschaftssystem so, deshalb kann die Alternative nur sein, die Wirtschaft selbst abzuschaffen.

Vielleicht bin ich zu phantasielos, aber ich kann mir das nicht als funktionierend vorstellen:
Wie wohl die meisten anderen Menschen in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft bin ich nicht autark, sondern auf die Möglichkeit angewiesen, die Früchte meiner Arbeitsleistung gegen die Leistung anderer Menschen eintauschen zu können. Ein solcher Tausch ist schon Wirtschaft.
Das bedeutet: je mehr ich arbeite desto mehr habe ich zum Eintauschen und dest mehr bekomme ich insgesamt von den anderen. Ich darf doch kaum erwarten, nicht mehr arbeiten zu müssen? Und bedeutet das nicht, daß ich meine Arbeitskraft zur Verfügung stelle? Wenn der Erlös nicht mehr proportional zur Arbeitsleistung ist, warum sollte ich mich dann anstrengen? Wenn ich meine Arbeitsleistung nicht auf eigene Rechnung veräußere, sondern sie an die Gesellschaft leiste, die mich im Gegenzug mit dem, was ich benötige , versorgt: Woher weiß die Gesellschaft, was ich benötige? Und woher hat sie das, was sie verteilt? Lauert da am Ende nicht doch ein Arbeitszwang? Was passiert, wenn ich mehr haben will? Oder einfach nicht mehr arbeite, weil ich weiß, daß ich ja sowieso versorgt werde?



Gleich können die Chancen auch nie sein, da jeder Mensch andere Fähigkeiten hat (auch unabhängig von Erziehung und Bildung).

Völlig richtig.



Daher müssen nicht die Fähigkeiten auf ein Mittelmaß gestutzt werden, sondern die Konsequenz aus diesen Fähigkeiten gestrichen werden: Nur weil jemand z.B. ein talentierter Physiker ist, heißt das nicht, daß, wenn er sein Talent im gleichen Maß wie ein Bergmann das seinige nutzt, er einen höheren Lebensstandard haben sollte.

Natürlich müssen, die Fähigkeiten aller möglichst gut entwickelt werden.
Dem Rest stimme ich nicht zu: Wenn jemand ein seltenes Talent hat und dieses Talent für die Gesellschaft wichtig ist, dann leistet er, wenn er sein Talent nutzt, besonders wichtige Arbeit. Warum sollte er diese zum gleichen Preis der Gesellschaft zur Verfügung stellen wie eine Arbeit, die leicht ersetzbar ist?



Wobei gerade ein guter Teil der heutigen oberen Zehntausend ihr Vermögen eher durch Geburt oder Glück erworben hat als durch eigene Fähigkeiten verdient.
Das ist durchaus richtig. Dennoch finde ich, daß das Erbrecht eine kulturell wichtige Sache ist. Und warum sollte es jemandem verwehrt werden, sein rechtmäßig erworbenes und schon versteuertes Geld zu verschenken oder zu vererben?

Grüße
John

Amida Temudschin
23.11.2004, 19:21
Naja, erstens setzt Dein Ansatz voraus, daß Gesellschaften und der Kapitalismus nicht in Volkswirtschaften, sondern auf eine Weise global "denkt", die jeden Globalisierungsbefürworter in den Schatten stellt. Eine "Weltgesellschaft" haben wir jedoch in dem Sinne nicht.
Vielleicht erscheint die Übertragung von gesellschaftlichen Mechanismen auf die gesamte Menschheit auf den ersten Blick problematisch, aber allein die Existenz einer Weltwirtschaft zeigt ja das Gegenteil. Der Fehler der Weltwirtschaft liegt aber darin, daß aufgrund des Profitstrebens Angebot und Nachfrage verzerrt werden: Es werden mehr Lebensmittel produziert, als benötigt werden, was zu sinkenden Preisen führen müßte. Stattdessen wird aber in den Industriegesellschaften künstlich eine Nachfrage erzeugt, wodurch der scheinbare Mangel entsteht.
Um nochmal auf die Weltgesellschaft zurückzukommen: Wieso läßt sich in unserer heutigen Welt die Produktion weltweit steuern, die Konsumtion aber nicht? Marx' Antwort: Die Befriedigung von Bedürfnissen, also die Konsumtion, ist im Kapitalismus nur ein Abfallprodukt des Selbstzweckes der Produktion und somit irrelevant. Erst, wenn wieder die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen, kann die Weltwirtschaft fehlerfrei funktionieren.


Vielleicht bin ich zu phantasielos, aber ich kann mir das nicht als funktionierend vorstellen:
Wie wohl die meisten anderen Menschen in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft bin ich nicht autark, sondern auf die Möglichkeit angewiesen, die Früchte meiner Arbeitsleistung gegen die Leistung anderer Menschen eintauschen zu können. Ein solcher Tausch ist schon Wirtschaft.
Das bedeutet: je mehr ich arbeite desto mehr habe ich zum Eintauschen und dest mehr bekomme ich insgesamt von den anderen. Ich darf doch kaum erwarten, nicht mehr arbeiten zu müssen? Und bedeutet das nicht, daß ich meine Arbeitskraft zur Verfügung stelle? Wenn der Erlös nicht mehr proportional zur Arbeitsleistung ist, warum sollte ich mich dann anstrengen? Wenn ich meine Arbeitsleistung nicht auf eigene Rechnung veräußere, sondern sie an die Gesellschaft leiste, die mich im Gegenzug mit dem, was ich benötige , versorgt: Woher weiß die Gesellschaft, was ich benötige? Und woher hat sie das, was sie verteilt? Lauert da am Ende nicht doch ein Arbeitszwang? Was passiert, wenn ich mehr haben will? Oder einfach nicht mehr arbeite, weil ich weiß, daß ich ja sowieso versorgt werde?
Sowohl Arbeitsteilung als auch der Wille zur Arbeit ist für das Funktionieren des Kommunismus nötig, der Tausch aber nicht. Tausch meint hier den Austausch von etwa gleichen Werten. Stattdessen leiste ich eben das, was ich kann, und bekomme dafür das, was ich brauche, ohne darauf zu schauen, ob ich Gewinn oder Verlust mache. So eine Gewinn/Verlust-Rechnung könnte ich auch gar nicht mehr machen, da es ohne den Tausch auch keinen Wert gibt. Was hielte nun die Leute davon ab, nicht mehr zu arbeiten? Erstens würde jeder durch die Personifizierung mit seiner Arbeit gar nicht auf den Gedanken kommen, nicht arbeiten zu wollen. Zweitens wäre jedem klar, daß durch Arbeitsverweigerung das System zusammenbräche. Da aber das System alle seine Bedürfnisse befriedigt, hätte er auch keinen Grund, das System abschaffen zu wollen.


Dem Rest stimme ich nicht zu: Wenn jemand ein seltenes Talent hat und dieses Talent für die Gesellschaft wichtig ist, dann leistet er, wenn er sein Talent nutzt, besonders wichtige Arbeit. Warum sollte er diese zum gleichen Preis der Gesellschaft zur Verfügung stellen wie eine Arbeit, die leicht ersetzbar ist?
Weil er gerne arbeitet und somit für den Arzt der gleiche persönliche Nutzen aus seiner Arbeit entsteht wie für den Straßenkehrer. Abgesehen vom Spaß gäbe es ja keinen Nutzen für ihn, da seine sonstigen Bedürfnisse sowieso befriedigt werden.


Das ist durchaus richtig. Dennoch finde ich, daß das Erbrecht eine kulturell wichtige Sache ist. Und warum sollte es jemandem verwehrt werden, sein rechtmäßig erworbenes und schon versteuertes Geld zu verschenken oder zu vererben?
Zum Sinn von Erbschaften habe ich mich gar nicht geäußert, sondern nur deine These falsifiziert, daß die heutigen Millionäre nach einer Enteignung wieder reich würden. Oder glaubst du, Paris Hilton könnte aus eigener Kraft ein Hotelimperium aufbauen?

John Donne
24.11.2004, 17:25
Der Fehler der Weltwirtschaft liegt aber darin, daß aufgrund des Profitstrebens Angebot und Nachfrage verzerrt werden: Es werden mehr Lebensmittel produziert, als benötigt werden, was zu sinkenden Preisen führen müßte. Stattdessen wird aber in den Industriegesellschaften künstlich eine Nachfrage erzeugt, wodurch der scheinbare Mangel entsteht.

Gerade was die Nahrungsmittelproduktion angeht, stimmt das m.E. nicht:
Der Preis der überproduzierten Nahrungsmitteln sinkt nicht deshalb nicht, weil eine künstliche Nachfrage erzeugt wird. Diese könnte gar nicht so groß sein, als daß sie unsere Fleisch-, Milch-, Butter- und Tomatenberge abtrüge. Vielmehr werden die Preise durch Subvention, nämlich Garantiepreise, die diejenigen, die viel produzieren, dafür belohnen, künstlich sohoch gehalten. Wobei sie absolut gesehen teilweise lächerlich billig sind.



Um nochmal auf die Weltgesellschaft zurückzukommen: Wieso läßt sich in unserer heutigen Welt die Produktion weltweit steuern, die Konsumtion aber nicht? Marx' Antwort: Die Befriedigung von Bedürfnissen, also die Konsumtion, ist im Kapitalismus nur ein Abfallprodukt des Selbstzweckes der Produktion und somit irrelevant. Erst, wenn wieder die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen, kann die Weltwirtschaft fehlerfrei funktionieren.

Nun, philosophisch gesehen, hast Du m.E. völlig recht. Aber viele echten Bedürfnisse der Menschen (Aufmerksamkeit, Anerkennung, Geborgenheit, Liebe) kann keine Wirtschaft bedienen. Richtig ist, daß gewisse materielle Grundbedürfnisse erfüllt werden müssen. Viele andere müssen dagegen geschaffen werden. Dabei bedient man sich, weil es emprisch erfolgreich ist, der Ansprache an nichtmaterielle Bedürfnisse: z.B. "Kauf Dir dieses Deo und die Frauen werden Dir zu Füßen liegen!". (Naja, das Beispiel ist schlecht. Irgendein Deo sollte man m.E. ja doch in jedem Fall haben...).
Kurz: Viele echte Bedürfnisse des Menschen können m.E. wirtschaftlich nicht im Vordergrund stehen. Andersrum sind die heutigen Marktstragen echte Meister darin, neue Bedürfnisse, die keiner von uns vorher jemanls verspürt hat, zu schaffen. Und damit läßt sich m.E. die Konsumption sehr erfolgreich steuern. Um ehrlich zu sein: Wenn ich Werbung sehe, zweifle ich manchmal an der Demokratiefähigkeit der Menschen. Dann besinne ich mich darauf, daß Demokratie im politischen Sinne etwas sehr Optimistisches ist.



Sowohl Arbeitsteilung als auch der Wille zur Arbeit ist für das Funktionieren des Kommunismus nötig, der Tausch aber nicht. Tausch meint hier den Austausch von etwa gleichen Werten. Stattdessen leiste ich eben das, was ich kann, und bekomme dafür das, was ich brauche, ohne darauf zu schauen, ob ich Gewinn oder Verlust mache. So eine Gewinn/Verlust-Rechnung könnte ich auch gar nicht mehr machen, da es ohne den Tausch auch keinen Wert gibt. Was hielte nun die Leute davon ab, nicht mehr zu arbeiten? Erstens würde jeder durch die Personifizierung mit seiner Arbeit gar nicht auf den Gedanken kommen, nicht arbeiten zu wollen. Zweitens wäre jedem klar, daß durch Arbeitsverweigerung das System zusammenbräche. Da aber das System alle seine Bedürfnisse befriedigt, hätte er auch keinen Grund, das System abschaffen zu wollen.

Aber eins ist doch klar: Auch wenn den einzelnen Waren und Dienstleistungen kein Wert mehr zugewiesen wird, kann die Summen der ausgegebenen (d.h. verteilten) Waren und Dienstleistungennicht größer sein als die Summe der vorher von den Gemeinschaftsmitgliedern erbrachten. Und kann man realistisch erwarten, daß die Summe dessen, was die Leute meinen zu brauchen kleiner/gleich der Summe der von ihnen erbrachten Leistungen ist. Ich finde, das ist noch ein gutes Stück optimistischer als das demokratische Prinzip an sich!



Zum Sinn von Erbschaften habe ich mich gar nicht geäußert, sondern nur deine These falsifiziert, daß die heutigen Millionäre nach einer Enteignung wieder reich würden. Oder glaubst du, Paris Hilton könnte aus eigener Kraft ein Hotelimperium aufbauen?
Ich sprach ja, von einer gewissen Zeit. Paris Hilton würde m.E. höchstwahrscheinlich selbst kein Vermögen in diesem Umfang aufbauen können. Aber nach einer Gründergeneration gäbe es auch wieder die ersten Erbinnen und Erben.

Grüße
John

Amida Temudschin
25.11.2004, 03:20
Gerade was die Nahrungsmittelproduktion angeht, stimmt das m.E. nicht:
Der Preis der überproduzierten Nahrungsmitteln sinkt nicht deshalb nicht, weil eine künstliche Nachfrage erzeugt wird. Diese könnte gar nicht so groß sein, als daß sie unsere Fleisch-, Milch-, Butter- und Tomatenberge abtrüge. Vielmehr werden die Preise durch Subvention, nämlich Garantiepreise, die diejenigen, die viel produzieren, dafür belohnen, künstlich sohoch gehalten. Wobei sie absolut gesehen teilweise lächerlich billig sind.
Gut, bei in den Industrienationen produzierter Nahrung mag das so sein, aber unter Lebensmitteln verstehe ich auch Kleidung, Haushaltsgeräte, etc.


Nun, philosophisch gesehen, hast Du m.E. völlig recht. Aber viele echten Bedürfnisse der Menschen (Aufmerksamkeit, Anerkennung, Geborgenheit, Liebe) kann keine Wirtschaft bedienen. Richtig ist, daß gewisse materielle Grundbedürfnisse erfüllt werden müssen. Viele andere müssen dagegen geschaffen werden. Dabei bedient man sich, weil es emprisch erfolgreich ist, der Ansprache an nichtmaterielle Bedürfnisse: z.B. "Kauf Dir dieses Deo und die Frauen werden Dir zu Füßen liegen!". (Naja, das Beispiel ist schlecht. Irgendein Deo sollte man m.E. ja doch in jedem Fall haben...).
Kurz: Viele echte Bedürfnisse des Menschen können m.E. wirtschaftlich nicht im Vordergrund stehen. Andersrum sind die heutigen Marktstragen echte Meister darin, neue Bedürfnisse, die keiner von uns vorher jemanls verspürt hat, zu schaffen. Und damit läßt sich m.E. die Konsumption sehr erfolgreich steuern. Um ehrlich zu sein: Wenn ich Werbung sehe, zweifle ich manchmal an der Demokratiefähigkeit der Menschen. Dann besinne ich mich darauf, daß Demokratie im politischen Sinne etwas sehr Optimistisches ist.
Ja, was zum Teil aber daran liegt, daß man denkt, der Markt könne jedes Problem lösen, also die Wirtschaft das absolute Zentrum unseres Denkens darstellt und nicht als ein nützliches, jedoch nicht allgegenwärtiges Werkzeug angesehen wird. Bedürfnisse jedweder Art sind in unserer heutigen Gesellschaft nur unter dem Aspekt ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit und nicht aus sich selbst heraus interessant.


Aber eins ist doch klar: Auch wenn den einzelnen Waren und Dienstleistungen kein Wert mehr zugewiesen wird, kann die Summen der ausgegebenen (d.h. verteilten) Waren und Dienstleistungennicht größer sein als die Summe der vorher von den Gemeinschaftsmitgliedern erbrachten. Und kann man realistisch erwarten, daß die Summe dessen, was die Leute meinen zu brauchen kleiner/gleich der Summe der von ihnen erbrachten Leistungen ist. Ich finde, das ist noch ein gutes Stück optimistischer als das demokratische Prinzip an sich!
In Anbetracht der Tatsache, daß wir schon heute Überschüße produzieren und durch den Wegfall der von der Wirtschaft erzeugten Bedürfnisse noch mehr produktive Energie frei würde, halte ich das selbst bei gleichbleibender Produktivität der Gesellschaft für durchaus realistisch.


Ich sprach ja, von einer gewissen Zeit. Paris Hilton würde m.E. höchstwahrscheinlich selbst kein Vermögen in diesem Umfang aufbauen können. Aber nach einer Gründergeneration gäbe es auch wieder die ersten Erbinnen und Erben.
Wenn Paris Hilton aber aufgrund ihrer offensichtlichen Fähigkeiten nicht ihr Leben lang am Aufbau eines Hotelimperiums arbeiten würde, sondern in irgendeinem Hafen- oder Bahnhofsviertel stehen würde, gäbe es für die Erben nicht viel zu holen.

John Donne
25.11.2004, 14:52
Ja, was zum Teil aber daran liegt, daß man denkt, der Markt könne jedes Problem lösen, also die Wirtschaft das absolute Zentrum unseres Denkens darstellt und nicht als ein nützliches, jedoch nicht allgegenwärtiges Werkzeug angesehen wird. Bedürfnisse jedweder Art sind in unserer heutigen Gesellschaft nur unter dem Aspekt ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit und nicht aus sich selbst heraus interessant.

Das ist ein Problem. Zustimmung.



In Anbetracht der Tatsache, daß wir schon heute Überschüße produzieren und durch den Wegfall der von der Wirtschaft erzeugten Bedürfnisse noch mehr produktive Energie frei würde, halte ich das selbst bei gleichbleibender Produktivität der Gesellschaft für durchaus realistisch.

Wir produzieren aber doch Überschüsse bezogen auf das, was die Konsumenten bezählen können bzw. zu zahlen bereit sind. Was sie selbst haben wollen - und das wird sich immer als Bedarf verkaufen lassen - ist doch ein vielfaches davon. Das siehst Du daran, der der "kleine Mann", der im Lotto gewonnen hat, kein Problem hat, das gewonnene Geld sehr zügig auszugeben. Für Sachen, die er alle gerne hätte!



Wenn Paris Hilton aber aufgrund ihrer offensichtlichen Fähigkeiten nicht ihr Leben lang am Aufbau eines Hotelimperiums arbeiten würde, sondern in irgendeinem Hafen- oder Bahnhofsviertel stehen würde, gäbe es für die Erben nicht viel zu holen.
Nicht für die Erben von Paris Hilton! Aber für die Erben von irgendjemand anderem schon. Und das wäre dann wieder "Paris Hiltons"...

Grüße
John

Amida Temudschin
25.11.2004, 16:34
Wir produzieren aber doch Überschüsse bezogen auf das, was die Konsumenten bezählen können bzw. zu zahlen bereit sind. Was sie selbst haben wollen - und das wird sich immer als Bedarf verkaufen lassen - ist doch ein vielfaches davon. Das siehst Du daran, der der "kleine Mann", der im Lotto gewonnen hat, kein Problem hat, das gewonnene Geld sehr zügig auszugeben. Für Sachen, die er alle gerne hätte!
Ein Lottogewinner kauft aber, weil er kaufen kann und nicht weil er braucht.


Nicht für die Erben von Paris Hilton! Aber für die Erben von irgendjemand anderem schon. Und das wäre dann wieder "Paris Hiltons"...
Wenn man diesem Gedankengang folgt, wäre eine Enteignung also auch im Kapitalismus sinnvoll. Einerseits bleibt der Kapitalismus erhalten, da sich die Fähigen ja wieder durchsetzen, andererseits wird man die Horden der unfähigen Schmarotzer los, die nur das Glück hatten, daß ihre Urgroßeltern eine Fabrik aufgebaut haben.

John Donne
25.11.2004, 16:53
Ein Lottogewinner kauft aber, weil er kaufen kann und nicht weil er braucht.

Meinst Du nicht, die Ansprüche, die sich schnell als Bedürfnisse ausgeben lassen, steigen mit den Möglichkeiten?



Wenn man diesem Gedankengang folgt, wäre eine Enteignung also auch im Kapitalismus sinnvoll. Einerseits bleibt der Kapitalismus erhalten, da sich die Fähigen ja wieder durchsetzen, andererseits wird man die Horden der unfähigen Schmarotzer los, die nur das Glück hatten, daß ihre Urgroßeltern eine Fabrik aufgebaut haben.
Also vielleicht ist es eine Frage, in welcher Frequenz diese Enteignungen stattfinden... Oder anders gesagt: Wenn man weiß, daß eine bevorsteht und ist vermögend, wird man versuchen, "seine Schäfchen ins Trockene zu bringen". Das löst in der Wirtschaft vermutlich einen Kollaps aus, wenn das alle vermögenden tun...
Rechtssicherheit ist hier also sehr produktiv. Und natürlich ist die Testierfreiheit sehr optimistisch: Sie geht davon aus, daß derjenige, dem durch solche ein Erbe ganz ungeahnte Möglichkeiten zur verfügung stehen, diese auch vielleicht nutzt und nicht nur prasst. Etliche Philosophen, die Privatiers waren, zeugen davon, das man auch mit diesem "Los" einen Nutzen für die Gemeinschaft darstellen kann. Letzten Endes ist es aber eine Freiheit und kann als solche mißbraucht werden. Nur, wer stellt das objektiv fest?

Grüße
John

Amida Temudschin
25.11.2004, 17:17
Meinst Du nicht, die Ansprüche, die sich schnell als Bedürfnisse ausgeben lassen, steigen mit den Möglichkeiten?
Bis zu einem gewissen Grad natürlich schon, sonst würde der Besitz eines Faustkeiles und eines Bärenfelles immer noch als Erreichung des Existenzminimums gelten, aber das Bedürfnis, viel zu kaufen, wenn man viel kaufen kann, ensteht ja teilweise auch daraus, daß es Andere gibt, die nicht kaufen können.


Also vielleicht ist es eine Frage, in welcher Frequenz diese Enteignungen stattfinden... Oder anders gesagt: Wenn man weiß, daß eine bevorsteht und ist vermögend, wird man versuchen, "seine Schäfchen ins Trockene zu bringen". Das löst in der Wirtschaft vermutlich einen Kollaps aus, wenn das alle vermögenden tun...
Rechtssicherheit ist hier also sehr produktiv. Und natürlich ist die Testierfreiheit sehr optimistisch: Sie geht davon aus, daß derjenige, dem durch solche ein Erbe ganz ungeahnte Möglichkeiten zur verfügung stehen, diese auch vielleicht nutzt und nicht nur prasst. Etliche Philosophen, die Privatiers waren, zeugen davon, das man auch mit diesem "Los" einen Nutzen für die Gemeinschaft darstellen kann. Letzten Endes ist es aber eine Freiheit und kann als solche mißbraucht werden. Nur, wer stellt das objektiv fest?
Stimmt auch wieder, wobei man natürlich auch sehen muß, daß bei Erbschaften eventuell ein kleiner Teil des Geldes der Gemeinschaft zu Gute kommt, bei einer Enteignung aber definitiv alles.

John Donne
25.11.2004, 17:32
Bis zu einem gewissen Grad natürlich schon, sonst würde der Besitz eines Faustkeiles und eines Bärenfelles immer noch als Erreichung des Existenzminimums gelten, aber das Bedürfnis, viel zu kaufen, wenn man viel kaufen kann, ensteht ja teilweise auch daraus, daß es Andere gibt, die nicht kaufen können.

Das ist sogar nochmal ein neuer Punkt: Konsum um des Status willen, á la "Beschämt eure Nachbarn! Kauft teuere Sachen!" oder "Ich kann mir Sylt leisten!". Das funktioniert. Erschreckend, aber wahr. Und Anthropologen zeigen uns, daß sich das quer durch alle Zeiten und Kulturen zieht, wobei die meisten mit Verboten, nicht mit Preisen gearbeitet haben.
Was ich eher meinte und aus dem Bekanntenkreis von Berichten kenne, ist z.B. das Gefühl, wieder "arm" zu sein, wenn man nach dem Einstieg ins Berufsleben z.B. ein Studium beginnt. Die meisten stöhnen, das sie sich so daran gewöhnt haben, den Betrag x pro Monat verkonsumieren zu können, das als normal empfinden und sich auch innerlich total umstellen müssen. Sie hatten sich vorher eben schnell an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt.



Stimmt auch wieder, wobei man natürlich auch sehen muß, daß bei Erbschaften eventuell ein kleiner Teil des Geldes der Gemeinschaft zu Gute kommt, bei einer Enteignung aber definitiv alles.
Stimmt. Aber andersrum: Wenn man schon versteuertes Geld vererbt, hat die Gemeinschaft ihr Scherflein ja schon bekommen. Man hätte das Geld ja auch verprassen können! Warum sollte man es dann nicht vererben können?
Mit dem Zusatznutzen, das einigen die Muße und die Mittel gegeben werden, vielleicht etwas besonderes zu erreichen.
Zugegebenermaßen mit dem Nachteil, daß etliche Erben sich auf die faulen Haut legen und ein Wahnsinnsvermögen haben, ohne jemals einen Finger gekrümmt zu haben.

Grüße
John

Amida Temudschin
26.11.2004, 00:23
Was ich eher meinte und aus dem Bekanntenkreis von Berichten kenne, ist z.B. das Gefühl, wieder "arm" zu sein, wenn man nach dem Einstieg ins Berufsleben z.B. ein Studium beginnt. Die meisten stöhnen, das sie sich so daran gewöhnt haben, den Betrag x pro Monat verkonsumieren zu können, das als normal empfinden und sich auch innerlich total umstellen müssen. Sie hatten sich vorher eben schnell an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt.
Ja, wobei man sich diesen niedrigeren Standard auch wieder angewöhnen kann, was meiner Meinung nach sogar recht heilsam ist, weil man dann lernt, was wirklich wichtig ist.

John Donne
26.11.2004, 20:51
Ja, wobei man sich diesen niedrigeren Standard auch wieder angewöhnen kann, was meiner Meinung nach sogar recht heilsam ist, weil man dann lernt, was wirklich wichtig ist.

Das stimmt. Wobei ich nichts dagegen habe, sich auch mal was zu gönnen, wenn man es sich leisten kann. Man sollte nur nicht vergessen, daß das dann eben für einen selbst normal ist. Aber die Macht der Gewohnheit ist auch hier sehr stark.

Grüße
John

Amida Temudschin
26.11.2004, 21:31
Auch wenn man es sich eigentlich nicht leisten kann, gönnt man sich ja ab und an etwas, nur muß man dann eben sparen und genau deshalb überlegt man zweimal, ob man z.B. dieses Buch wirklich haben will.

LuckyLuke
26.11.2004, 22:55
Warum denken die meisten Deutschen eigentlich immer wenn das Geld knapp wird daran, wie und wo sich welches sparen und nicht daran, wie sie mehr verdienen könnten ?

Irgendwie ein Mentalitätsproblem.

Scotty
26.11.2004, 23:13
Warum denken die meisten Deutschen eigentlich immer wenn das Geld knapp wird daran, wie und wo sich welches sparen und nicht daran, wie sie mehr verdienen könnten ?

Irgendwie ein Mentalitätsproblem.

Sollte denn der Trend zum Zweitjob gehen???
Selbst wenn man bzw. einen Realschulabschluß hat, einen Beruf hat und jetzt Abi nachmachen und studieren will. die Zeit will auch überbrückt werden. Und das geht nun mal mit nur mit sparen. Oder weißt Du eine Lösung?

Gruß

Scotty

LuckyLuke
26.11.2004, 23:20
Der Trend geht zum Drittjob, einen Zweitjob in Schwarzarbeit hat doch jeder, dem an seinem bisschen Wohlstand gelegen ist..

Amida Temudschin
27.11.2004, 00:54
Ich habe jetzt schon Probleme, Erstjob (Studium) und Zweitjob zu koordinieren.

LuckyLuke
27.11.2004, 10:11
Lehrjahre sind eben keine Herrenjahre und ein Studium ist auch immer als Investition in die Zukunft sehen, welches eine gute Perspektive bildet sollte.

Amida Temudschin
28.11.2004, 03:12
Also soll ich, entgegen deiner vorherigen Aussage, doch eher darauf achten, wo ich sparen kann, und nicht, wie ich mehr verdiene?

Scotty
28.11.2004, 09:31
Der Trend geht zum Drittjob, einen Zweitjob in Schwarzarbeit hat doch jeder, dem an seinem bisschen Wohlstand gelegen ist..

Ich gehöre wahrlich nicht zu den Superreichen. Ich möchte es eher eine finanzielle Unabhängigkeit nennen.
Das mit dem Zweitjob ist ja fast schon "üble Nachrede"..... :2faces:
Insofern fasse ich Dein Post als Joke auf, nicht als sachdienlichen Hinweis.
Ich bleibe dabei, manchen Menschen bleibt nichts anderes übrig als Sparen.

Gruß

Scotty