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Vollständige Version anzeigen : Die Gefälligkeitsdiktatur



LuckyLuke
05.05.2005, 11:28
«Hitlers Volksstaat» - Götz Aly über die Nazi-«Gefälligkeitsdiktatur»

Frankfurt/Main (dpa) - Verführte Hitler die Deutschen, oder - kaufte er sie? Nutznießer von Krieg und Völkermord im besetzten Europa des Zweiten Weltkriegs waren nach Einschätzung des Historikers Götz Aly vor allem einfache Leute in Deutschland. Aly nennt in seinem Buch «Hitlers Volksstaat» den NS-Staat eine «Gefälligkeitsdiktatur», Hitler und seine Umgebung «klassische Stimmungspolitiker», die um jeden Preis die Masse der Bevölkerung bei Laune halten wollten.

Auch um den Preis einer «kontinuierlichen sozialpolitischen Bestechung». Ein originelles und provokatives Buch - Aly setzt damit neue Akzente für die Erforschung des «Dritten Reiches». «Im allgemeinen verfügte die übergroße, damals noch ziemlich knapp bemittelte Mehrheit der Deutschen im Krieg über mehr Geld als in den letzten Friedensjahren», urteilt Aly. Hitler habe das Risiko gescheut, die Deutschen über die Kosten des Krieges aufzuklären. «Anders als Churchill konnte Hitler zu keinem Zeitpunkt eine Blut- Schweiß-und-Tränen-Rede riskieren.» Niemals habe der bejubelte, scheinbar omnipotente Diktator von seinem Volk offen fordern können, ihm das Ersparte «als Anleihe für eine angeblich glänzende Zukunft anzuvertrauen». Die Zustimmung habe sich Hitler durch Bestechung mittels sozialer Wohltaten immer neu erkauft.Zu Hilfe kam ihm eine routinierte Bürokratie - personifiziert im damaligen Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk -, die eine praktikable Umsetzung unausgegorener Forderungen der politischen Führung garantierte. Vielfältige Vergünstigungen besonders für die «kleinen Leute» waren während des Krieges die Folge: tariflicher Urlaub und Kindergeld, besserer Mieter- und Vollstreckungsschutz, Steuerfreiheit für Zuschläge auf Sonntags- und Nachtarbeit und vor allem die Verschonung kleiner Einkommen von Steuererhöhungen im Kriege.

Das Programm des «nationalen Sozialismus» bestand nicht nur auf dem Papier. Hitler belastete nur die höheren Einkommen, forderte vor allem, die besetzten Gebiete Europas zur Aufbringung der Kosten für die gewaltige Kriegsmaschinerie zu versklaven. Dazu kam die lautlose Verschuldung des Reiches durch Zugriff auf Sparguthaben, ergaben Alys Recherchen in Akten des Reichsfinanzministeriums und ähnlicher Einrichtungen in besetzten Staaten - soweit sie zur Verfügung standen. Die Experten förderten die Ausplünderung des Auslands - so genannte «Besatzungskosten» und Güter und Lebensmittel aller Art, die Soldaten nach Hause schickten -, um den Kaufkraftüberhang im Inland zu verringern und die Gefahr einer Inflation abzuwälzen. Extreme Korruption nahmen sie in Kauf.

Und mehr als das: «Der Holocaust bleibt unverstanden, sofern er nicht als der konsequenteste Massenraubmord der modernen Geschichte analysiert wird», behauptet Aly. Auch, wenn er möglicherweise die Ideologie und den Judenhass der Nazis unterschätzt: Ein wichtiger neuer Aspekt des beispiellosen Massenverbrechens ist die Sichtweise des Historikers jedenfalls. Die «Sühneleistung», die den Juden 1938 abverlangt wurde, hing mit dem extremen Defizit des vor dem Bankrott stehenden Reiches zusammen - und es bestand auch ein Zusammenhang mit der Enteignung, Deportation und Ermordung der Juden Europas. «Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen», schreibt Aly.

Es ist bemerkenswert, was der gründliche Historiker alles herausfand - etwa, dass die deutsche Enteignungspolitik in Belgien rasch an Grenzen stieß, weil dort Mitarbeiter der Banken ihre Hilfe bei der Identifizierung jüdischer Konteninhaber verweigerten. In der Mehrzahl der Deutschen sieht er Mitläufer, die sich des neuen Reichtums erfreuten. Der Fanatismus der «Führer»-Gläubigen kommt in dem Buch zu kurz. Dennoch: Wohl zum ersten Mal ist der Zusammenhang zwischen Verbrechen und «Volksstaat» so deutlich geworden.

Götz Aly

Hitlers Volksstaat

Raub, Massenkrieg und nationaler Sozialismus

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main

445 S., Euro 22,90

ISBN 3-10-000420-5


http://www.news.de/57/02z_Aly_ueber_die_Nazi_Gefaelligkeitsdiktatur.php



Verführte Hitler die Deutschen, oder - kaufte er sie?

Was meint ihr ?

Hannibal
05.05.2005, 11:30
Verführte Hitler die Deutschen, oder - kaufte er sie?

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