Treuhand-Funktionär Scheunert "Der Jammer-Ossi ging mir maßlos auf die Nerven" Er war der einzige Ostdeutsche zwischen lauter West-Managern: Detlef Scheunert trieb als Treuhand-Direktor Verkauf und Schließung alter DDR-Betriebe voran - und galt seinen Bekannten deshalb bald als Kollaborateur.
Ein Interview von
Melanie Ahlemeier und
Benjamin Bidder
https://cdn1.spiegel.de/images/image...qr-1487222.jpg Patrick PIEL / Gamma-Rapho via Getty Images
Das Werkzeugmaschinenwerk Ermaga in Chemnitz im August 1990 in der DDR.
Samstag,
09.11.2019 09:33 Uhr
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Als nach der Wende aus Planwirtschaft Marktwirtschaft werden sollte, war Detlef Scheunert das Bindeglied zwischen zwei einander fremden Systemen. Als einziger Ostdeutscher rückte er auf in den Vorstand der Treuhand, ein junger Mann aus Sachsen zwischen jovialen Managern aus den Chefetagen westdeutscher Konzerne. Sie suchten Käufer für mehr als 8000 DDR-Betriebe.
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Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder wollte damit eigentlich noch 600 Milliarden D-Mark erlösen. Scheunert wusste es besser, weil er die maroden Betriebe kannte. Als junger Funktionär eines DDR-Ministeriums hatte er Ende der Achtzigerjahre Industriebetriebe abgeklappert. Je weiter entfernt sie von Berlin lagen, desto desolater waren sie.
Scheunert sagt, der Osten habe den Westen an der Nase herumgeführt mit der Legende, die DDR sei weltweit Wirtschaftsmacht Nummer zehn. Am Ende machte die Treuhand mehr als 200 Milliarden D-Mark Verlust.
https://cdn1.spiegel.de/images/image...vr-1487195.jpg Melanie Ahlemeier / DER SPIEGEL
Detlef Scheunert beim Gespräch in seinem Haus in Gütersloh
Der junge Privatisierer von damals ist heute 59. Er wohnt in einem Einfamilienhaus in Gütersloh, etwa 450 Kilometer westlich seiner sächsischen Heimat. Ab Mitte der Neunzigerjahre hat er Karriere gemacht im Umfeld des Bertelsmann-Konzerns. Ein Angebot aus Estland, die Privatisierung in der ehemaligen Sowjetrepublik zu begleiten, hat er ausgeschlagen. Es höre sich aus seinem Mund vielleicht etwas merkwürdig an, aber er habe "auch nicht weiter nach Osten, sondern immer nach Westen" gewollt.
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SPIEGEL: Herr Scheunert, die Treuhand wurde als "größtes Schlachthaus Europas" bezeichnet, Sie waren der einzige ostdeutsche Direktor unter westdeutschen Chefs. Was sind Ihre Erinnerungen an das innerdeutsche Tohuwabohu am Berliner Alexanderplatz?
Scheunert: Ich hatte die Gnade der späten Geburt, war wenig kontaminiert mit dem alten System und habe die vielen Veränderungen als Chance gesehen. In der Treuhand spielten im Herbst 1990 in der fünften Etage die alten Apparatschiks aus der DDR-Zeit noch Modrow-Treuhand. Und in der siebten und achten Etage etablierte sich langsam von oben nach unten die West-Treuhand. Ich bin immer hin- und hergegangen, habe zwischen den Genossen in der fünften Etage und den Wessis in der siebten und achten umgeschaltet.
SPIEGEL: Wie müssen wir uns dieses "Umschalten" vorstellen?
Scheunert: Ich habe versucht zu vermitteln. Und ich wollte wissen, was da unten gespielt wird. Ich habe schon in der Schule das Petzen gehasst. Aber irgendwann habe ich meinem Vorstand gesagt: Das, was da unten läuft, geht in die andere Richtung.
SPIEGEL: Was lief da?
Scheunert: Die hatten den Auftrag zu verwalten, den Betrieben zu helfen - das waren ihre Schutzbefohlenen. Privatisierung stand nicht im Fokus. Der Staat sollte weiter die Obhut haben und der Westen sollte bezahlen.
SPIEGEL: Und was machten die westdeutschen Treuhand-Mitarbeiter?