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Tag für Tag verschlimmert sich nun das, was Lawrence beim Treck durch die Wüste seine "Bürde" nannte, zu zermarternder Seelenpein. Wieder und wieder, so Lawrence in den Sieben Säulen, wird er an den britischen "Verrat" durch das Sykes-Picot-Abkommen erinnert: Von den Türken hätten die Beduinen Gerüchte gehört; ein Mann nach dem anderen habe ihn gefragt, ob die britische Regierung Wort halten und "die Araber" nach der Revolte in die Freiheit entlassen werde. Lawrence schreibt in sein Tagebuch, dass er sich bitter schämt, die Beduinen in den Kampf um eine Freiheit zu hetzen, die Großbritannien schon verschachert hat: "Wäre ich ein ehrlicher Ratgeber gewesen, so hätte ich den Leuten sagen müssen, nach Hause zu gehen und nicht länger ihr Leben für eine solche Gaukelei aufs Spiel zu setzen."
Einige Historiker halten diese Schilderung für ein nachträgliches Konstrukt. Wüstenkämpfern wie Auda Abu Tayi ging es bei ihren Unternehmungen vor allem darum, Beute zu machen. So auch bei Faisals Revolte. Die große Politik, die in Konstantinopel oder London gestaltet wurde, interessierte sie nicht. Weit bis ins Jahr 1916 hielt Auda es noch mit den Osmanen; nun hat er eben die Seiten gewechselt. Seine Streitmacht ist keine Truppe, die ihr Leben für eine politische Überzeugung einsetzen will – eher sind es Wüstenpiraten, deren räuberisches Handwerk Lawrence im Sinne der Briten nutzbar machen soll. Es ist wahrscheinlich, dass der "Verrat", von dem er schreibt, für ihn selbst ein größeres Problem darstellt als für die Beduinen der Howeitat.
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Ein osmanischer General zögert nach diesen Neuigkeiten nicht lange und bietet den Haschemiten einen Waffenstillstand an – was Scherif Hussein umgehend an die Briten meldet. Im Hauptquartier in Kairo fürchtet man, dass nun die gesamte Strategie im Nahen Osten scheitern könnte. Lawrence sieht die Indiskretion pragmatisch: Er rät Faisal, zumindest zum Schein auf das türkische Angebot einzugehen, um so ein gutes Argument in den Verhandlungen mit Briten und Franzosen zu haben. Die "Bürde" des Verrats scheint von Lawrence abgefallen zu sein – er kämpfe nicht mehr für sein Heimatland, meldet ein britischer Offizier Mitte November aus Akaba, "sondern für den Scherifen".
Lawrence wird Faisal beim Einzug in Damaskus 1918 und bis zu den Friedensverhandlungen 1919 in Paris begleiten. Briten und Franzosen machen dort tatsächlich das Sykes-Picot-Abkommen zur Grundlage der Zukunft des Nahen Ostens. Sie enttäuschen damit die Ambitionen der Haschemiten, ignorieren US-Präsident Woodrow Wilsons Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und vollenden, zumindest in den Augen von Lawrence, ihren Verrat.
Tatsächlich ging es den beteiligten Beduinenstämmen, die als Raubnomaden in Arabien unterwegs waren, nur um Profit. Sie waren völlig ungebildet und sowas wie arabischer Nationalismus oder Bewusstsein gab es bei ihnen nicht. Der arabische Aufstand ist schlichtweg ein Mythos, erfunden und in die Welt gesetzt von den Briten.