Zitat von
marc
Wenn du unter Demokratie die Herrschaft eines Volkes verstehst, dessen mehrheitlicher Wille sich in Wahlen manifestiert, dann gibt es sehr wohl eine große Tradition der Demokratiekritik - dann gibt es die preußische Warnung vor dem beschränkten Untertanenverstande und die grüne vor einer populistischen Falle; dann gibt es die Verankerung von Würde als einer "unveräußerlichen" und die Furcht, daß Volksabstimmungen zur Gängelung von Minderheiten führten. Es gibt Georg-Büchner-Preisträger, die in der ZEIT darüber schreiben dürfen, daß Demokratie zu einer Ausartung des Sozialstaats geführt habe, und Professoren, die betonen, daß sie "kein Gott" sei - und allgemeiner eine populäre Vorstellung von Menschenrechten, nach der diese nicht nur jedem Menschen zustehen sollten, sondern ihm auch quasi naturrechtlich zustünden - ergo selbst per Mehrheitsbescheid nicht entzogen werden dürften.
In diesem Sinne ist auch jede Religion antidemokratisch, weil jede darauf pocht, daß bestimmte Glaubensinhalte und Werte nicht zur demokratischen Disposition gestellt werden dürften. Also: eine absolut reinrassige Demokratie will vermutlich niemand; und auch ich würde nicht wollen, daß neun Nazis und ein Schwarzer über die Wiedereinführung der Sklaverei abstimmen. Tatsächlich nicht sehr weit verbreitet dürfte allerdings diese eigentümliche Demokratiekritik sein, die "libertäre" und vermutlich auch deine "anarchomonarchistische", die wohl darauf hinauslaufen, daß Demokratie deshalb so böse sei, weil sich eine Mehrheit dafür entscheiden könnte, daß der Staat und vulgo die Steuerzahler für den Bau von Krankenhäusern aufkommen sollten und ergo ja der kommunistische Faschismus eingeführt wird; die blöden Idioten mit dem tollen Pelz der tollen Hautfarbe außerdem in Dekadenz verfallen, statt dem König zu huldigen und ihm weiße Kinderlei zu schenken.
Abgesehen davon gibt es aber immer mehr Menschen, die der Politik entfremdet gegenüberstehen und sie wie eine externe Macht wahrnehmen, die gleich einer Naturgewalt über sie einbricht. Und folglich ist es verständlich, daß sich viele Menschen demokratische Volksentscheide und somit mehr direkte Mitbestimmung wünschen.
[Übrigens ist "kirchentreuer Freigeist" ein Widerspruch in sich, denn "Glaube heißt Gehorsam" (Papst Benedikt), ja Glaube ist "rationaler, aber bedinungsloser Gehorsam" (Robert Spaemann) - und Kirchentreue besteht darin, daß ein Teil der gedanklichen Ergebnisoffenheit wie der individuellen Suche nach Wahrheit zugunsten eben jenes Gehorsams aufgegeben wird. Zwar kann diese Treue bestimmte Widerstandskräfte zur Voraussetzung haben, doch wenn du etwa daran glaubst, daß Dogmen, auf deren Formulierung du keinen Einfluß hast, unter Beihilfe des Heiligen Geistes zustande kommen und sie "unbedingt" und "fest" geglaubt werden müssen, dann bist du per definitionem kein Frei-Geist mehr.]