Der Buchautor Gerhard Wisnewski, ein ARD-Mitarbeiter, präsentiert in seinem Buch "Operation 9/11 - Angriff auf den Globus" vermeintliche Belege für die Theorie, dass das Pentagon von US-Raketen zerstört worden und nahe Shanksville in Pennsylvania nie ein Flugzeug abgestürzt sei. Sein Gesinnungsgenosse, der Ex-Minister Andreas von Bülow ("Die CIA und der 11. September"), argwöhnt, die Türme des World Trade Center könnten von innen heraus gesprengt worden sein, und Mathias Bröckers, Ex-Journalist der "taz", sieht in George Bush Jr. den "eigentlichen Wiedergänger Hitlers", dem er darum auch fast jedwede Schurkerei zutraut.
Die vermeintlichen Enthüllungen kommen an: Wisnewski durfte seine Spökenkiekerei auch in einem WDR-Film dem Publikum nahe bringen. Bülows Werk kletterte binnen weniger Wochen auf Platz 3 der SPIEGEL-Bestsellerliste, und die Auflage des ersten Verschwörungsbuchs von Bröckers übersprang die Schwelle von 100 000 Exemplaren - für den Zweitausendeins Verlag der größte Verkaufserfolg seit Jahren. Die Fortsetzung liegt seit Juli vor und soll noch einmal Kasse machen.
Dass dieser "Amoklauf einer entfesselten konstruktivistischen Phantasie" ("Neue Zürcher Zeitung") in der Bundesrepublik zum Volkssport geworden ist, zeigt auch das Ergebnis einer Forsa-Umfrage vom April. Danach glaubt inzwischen ein Fünftel aller Deutschen, "dass die US-Regierung die Anschläge vom 11. September selbst in Auftrag gegeben haben könnte". Im Osten der Republik sind es 29, bei den unter 30-Jährigen gar 31 Prozent.
Auch in anderen Ländern scheint die Welt aus den Fugen. In Frankreich hat der Autor Thierry Meyssan rund 200 000 Exemplare seines Buchs "L''Effroyable imposture" (deutsche Ausgabe: "Der inszenierte Terrorismus") verkauft.
Und im Internet spekuliert eine Internationale von Hobby-Ermittlern auf Seiten, die in die Tausende gehen, über angebliche "Wahrheiten" hinter der "offiziellen" Version.
So gerät der schwerste Terroranschlag der Geschichte in den Dunstkreis jener Mythen, in denen Elvis lebt, John F. Kennedy einem Komplott von Mafia und Geheimdiensten zum Opfer fiel, die Mondlandung in der Wüste Nevadas gestellt und Diana vom britischen Geheimdienst ermordet wurde (siehe Seite 64).
Ein Panoptikum des Absurden und dennoch ganz von dieser Welt: Verschwörungstheorien, schreibt der Historiker Dieter Groh, "stellen eine ständige Versuchung für uns alle dar", weil sie eine Konstante der abendländischen Geschichte sind. "Juden, Ketzer, Hexen, so liest sich die historische Sequenz bis zur Französischen Revolution, Freimaurer, Juden, Kommunisten, Kapitalisten, Geheimdienste" nach dem Revolutionsjahr 1789.
So unterschiedlich diese Theorien und ihre Anhänger auch sein mögen, da
s ihnen zu Grunde liegende Denkmuster ist immer gleich: Großes Unglück braucht große Ursachen. Demnach kann nicht sein, dass ein Grüppchen Islamisten die Weltmacht USA mit all ihren Waffen und Geheimdiensten per Überraschungsangriff ins Mark treffen kann.
"Das Wunderbare an einer Konspirationstheorie ist, dass sie einem erlaubt, alles perfekt zu verstehen", erklärt der amerikanische Politikwissenschaftler Michael Barkun den Dauererfolg des Verschwörungsdenkens. Sie "verrät dir, dass alles Böse in der Welt auf eine einzige Ursache zurückgeht, und diese Ursache sind SIE, wer immer das jeweils sein mag".