26.02.2007
Im Sommer warfen Neonazis bei Magdeburg das "Tagebuch der Anne Frank" in ein Sonnenwendfeuer. Vor Gericht verteidigt sich der Hauptangeklagte jetzt abenteuerlich: Er habe sich damit von diesem "bösen Kapitel der deutschen Geschichte" befreien wollen.
Den Kopf stur gen Boden gerichtet durchschreitet der Mann, der das "Tagebuch der Anne Frank" verbrannt hat, die Sicherheitsschleuse. Gegen Lars K. aus Pretzien und sechs andere junge Männer zwischen 24 und 29 Jahren wird heute im Landgericht Magdeburg verhandelt. Der Amtsgerichtsprozess wurde aus Platzgründen aus Schönebeck dorthin verlegt.
Die Männer sind wegen Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener angeklagt.
Acht Monate ist es her, dass der kleine Ort Pretzien, ungefähr 20 Kilometer südöstlich von Magdeburg, ins Schlaglicht geriet.
Auf einer "Sonnenwendfeier", organisiert vom "Heimatbund Ostelbien e.V." wurden am 24. Juni das "Tagebuch der Anne Frank" und eine US-Flagge verbrannt. Dazu gab es rechtsextreme Parolen, von "deutschem Blut und "deutscher Jugend" ist die Rede gewesen. "Wer etwas Artfremdes habe, der möge es jetzt dem Feuer übergeben", hat einer der Männer laut Anklage gesagt. "
Sowieso alles Lüge", soll K. sinngemäß gerufen haben, als er das "Tagebuch der Anne Frank" ins Feuer warf. Zwei der jungen Männer sollen, so die Anklage, T-Shirts mit der Aufschrift "Wehrmacht Pretzien" getragen haben.
Pretzien hat rund 900 Einwohner, sechzig bis siebzig von ihnen sollen auf der "Sonnenwendfeier" gewesen sein. Die Polizei war anwesend, der Bürgermeister war anwesend - aber niemand schritt ein. Erst zehn Tage später wurden wegen des Vorfalls die ersten Wohnungen in Pretzien durchsucht. In den Wochen darauf geriet der kleine Ort in die Kritik. Dem Bürgermeister Friedrich Harwig wurde vorgeworfen, er sei vollkommen naiv mit den Rechtsextremen umgegangen. Statt rechtsradikales Gedankengut zu bekämpfen oder sich Hilfe zu holen, habe er die einschlägigen Jugendlichen irgendwie versucht, in die Gemeindearbeit einzubinden - im "Heimatbund Ostelbien e.V." eben, der aus einer rechten Kameradschaft hervorging. Und als Medien enthüllten, dass vier Verfassungsschützer in Pretzien wohnen, stellte sich die Frage: Warum hat niemand etwas von den Machenschaften der rechtsextremen jungen Männer mitbekommen?
Die Angeklagten sitzen stumm auf ihrer Bank - der Staatsanwalt will den ersten Verhandlungstag nicht so enden lassen.
Wie es sein könne, dass K. geglaubt habe, eine Verbrennung des "Tagebuchs der Anne Frank" könne "richtig verstanden" werden, in einer Zeit, in der in Deutschland Dinge passieren, wie gerade am Wochenende der Brandanschlag auf eine jüdische Kindertagesstätte in Berlin? Und wieso K., wenn ihn das Schicksal der Anne Frank so "belastet" habe, nicht eine Ausstellung oder Lesung dazu organisiert habe? "Meinen Sie nicht, dass die Sache mit dem Missverständnis sehr fadenscheinig ist?", fragt der Staatsanwalt. "Hat nicht auch Goebbels bei der Bücherverbrennung 1933 in Berlin gesagt: Ich übergebe das dem Feuer?" Was hätte er denn sonst sagen sollen?, fragt K.. Nur weil er geschichtlich interessiert sei, müsse er ja nicht wissen, was Goebbels gesagt habe.
"Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist die Verteidigung wenig glaubhaft", schließt Richter Bruns.
Es ist der erste von acht geplanten Verhandlungstagen in einer Sache, die viele in Deutschland schockierte. Und es ist der erste Eindruck einer Verteidigung, die die angereisten Zuhörer erschüttert. "Ich will nicht wahrhaben, dass man versucht, sich mit solcher Erklärung aus der Verantwortung zu stehlen", sagt Thomas Heppener vom Anne-Frank-Zentrum. Er hoffe nun auf die vielen Zeugen und darauf, dass endlich klar werde, dass Rechtsextremismus "kein Randphänomen ist." Denn die Angeklagten kämen ja aus der Mitte der Gesellschaft.