dieStandard.at: Warum meinen Sie, dass feministische Theorien zur Erklärung der Krisen nichts beitragen können?
Roswitha Scholz: Ich kritisiere bei Diskussionen im Feminismus die hegemonialen theoretischen Basisannahmen. Grundsätzlich glaube ich, dass die Kategorie Geschlecht nicht weiterhin als partikulares Problem gesehen werden soll, sondern als Grundproblem der Gesellschaftsstruktur. Im Zuge der ganzen Gender-Positionen ist das verloren gegangen.
dieStandard.at: Inwiefern?
Scholz: Es hat eine Verharmlosung stattgefunden. Ich glaube, man muss zurück vor die 90er Jahre und die Kategorie Geschlecht in neuer und anderer Weise wieder zu einem zentralen Gesellschaftsproblem machen. Anders ausgedrückt: Man muss Geschlecht wieder als Basis der Gesellschaftsstrukturen erkennen. Im Zuge der Dekonstruktionsdebatten ist das verloren gegangen.
dieStandard.at: Abseits von Butler und Foucault, bietet der Feminismus aber auch andere Theorien.
Scholz: Die Queer-Theorie, und schließlich hat sich diese durchgesetzt, ist für mich keine feministische Theorie. Das Geschlechterproblem als Basisstruktur ist aufgrund dieser Theorie kein Thema mehr. Der Dekonstruktivismus will die Benennung der Geschlechterkategorie ja geradezu hintertreiben, insofern ist die Queer-Theorie als eine Entdramatisierungstheorie der Geschlechterproblematik auch androzentrischen Theorien entgegengekommen. Es wird alles verwirrt und man braucht dann auch nicht mehr hinzuschauen, wie die Gesellschaft durch Geschlecht strukturiert ist.
dieStandard.at: Was schlagen Sie im Gegensatz dazu vor?
Scholz: Mein Beitrag ist die Wertabspaltungskritik. Die Geschlechterstruktur muss kompromisslos benannt werden. Es soll keine Entnennung stattfinden. Man muss die Verhältnisse benennen, so wie sie sind, um überhaupt zu einer Handlungsfähigkeit zu kommen.
dieStandard.at: Können Sie die Wertabspaltungskritik etwas ausführen?
Scholz: Es ist für mich problematisch, einen so komplexen Zusammenhang in drei Sätzen in einem Interview zusammenzufassen. Ich habe dazu ein ganzes Buch geschrieben. Zentral für mich ist die Geschlechter- problematik, modifiziert mit der Marxschen Theorie und der Kritischen Theorie - auch eine Wertkritik - in Bezug zu setzen. Das heißt, eine Totalitätsperspektive wieder in Augenschein zu nehmen. Wenn der Feminismus einen Beitrag zum Begriff der Krise bringen möchte, müsste viel mehr passieren als jetzt.