Eine totale Kapitulation
2.4.2011
Von Dieter Stein
Mit Fukushima im Rücken katapultieren sich die Grünen im CDU-Stammland Baden-Württemberg an die Macht und stellen künftig sogar den Ministerpräsidenten. Eine mächtige Zäsur. Der Erfolg der Grünen ist nicht vom Himmel gefallen, er ist geistig und kulturell vorbereitet worden. Doch der Zeitgeist ist mit ihnen: Schon die „Revolutionäre“ von 1968 mußten keine Widerstände brechen, sondern „rannten offene Türen ein“ (Frank Böckelmann). Die Grünen antizipieren eine multikulturell-individualistisch-postnationale Zukunft, deren Konturen schon sichtbar sind. Sie können sich als Sieger der Geschichte sehen, ohne ernste Gegenbewegung.
Und die gibt es nicht, weil das bürgerliche Juste milieu von Anbeginn kapitulationsbereit war. Auf die 68er Revolte folgte nicht die Reaktion, sondern unter Führung der CDU kam es zu einer teils verzögerten, teils vorauseilenden Unterwerfung. Es fand eine weltanschauliche Entkernung statt, das Adenauer-Haus hat die Entstehung eines intellektuellen Widerlagers sogar planmäßig sabotiert. Die CDU „schleift auch Gesinnungen, Interessen, Milieus und ‘geistige Konzeptionen’ innerhalb der Partei ab und sieht ihr Ziel in der Geschlossenheit der Organisation, der Beliebigkeit der Inhalte und der Maximierung der Wählerstimmen“ (Caspar von Schrenck-Notzing).
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Das bürgerliche Lager verfügt über kein essentielles politisches Projekt mehr. Der Einstieg in eine grundlegende Reform des Steuersystems wurde beerdigt, von einer soliden Finanzpolitik kann keine Rede sein, eine Eingrenzung des sozialen Transferleistungssystems steht nicht mehr auf der Tagesordnung. Selbst in der Schulpolitik, einst Markenzeichen der Union, haben die Christdemokraten den Kampf um das dreigliedrige Schulsystem aufgegeben. Ganz zu schweigen von einer familien- und bevölkerungspolitischen Wende.
Angela Merkel sieht sich durch diese Wahlen nicht widerlegt, sondern bestärkt. Schließlich verlor die CDU scheinbar nach links und nicht nach rechts. Merkel muß bei ihren Volten weder in noch außerhalb der Partei auf nennenswerten Widerstand Rücksicht nehmen. Schon gar nicht bei den bürgerlichen Leitmedien. Diese liefern sogar bereitwillig den intellektuellen Überbau für die Mentalität der Selbstaufgabe. Das Problem liegt also nicht an der CDU allein, es ist die Kapitulation und der Untergang eines ganzen Milieus.
Mit Volldampf in die Beliebigkeit
Das Laissez faire, das ethische Gürtel-Weiterschnallen ist zu einer allgemeinen Grundhaltung geworden. Die Permissivität, für die einst die Grünen mit ihrer Forderung nach Gleichstellung homosexueller Partnerschaften und Abschaffung des Eheprivilegs standen, sie hat Union und FDP längst voll erfaßt. Der grüne Ministerpräsident in spe, Winfried Kretschmann, versammelt als Katholik, verheirateter Vater von drei Kindern und Mitglied eines Schützenvereins indes sämtliche Attribute, die angesichts der verbreiteten Libertinage bei Unions- und FDP-Spitzen schon fast reaktionär anmuten.
Bei der CDU lautet nun die selbstgewisse Devise: Mit Volldampf in die Beliebigkeit. Jeder soll endlich mit jedem koalieren können. Röttgen, Kronprinz der Neo-CDU, will den politischen Luftwiderstand noch weiter senken: „Auch wählersoziologisch ist das Lagerdenken passé, und es entspricht auch nicht der strategischen Interessenlage der CDU.“
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