«Die Ostindische Handelskompanie», so erzählte Nathan (Rothschild, London) in hohem Alter bei einem Festessen, «wollte Gold im Wert von 800.000 Pfund Sterling verkaufen. Ich interessierte mich dafür und kaufte alles an.Ich wußte, daß der Herzog von Wellington es brauchte. Ich wurde zur Regierung beordert, die mir mitteilte, sie benötige das Gold. Ich verkaufte es ihr. Doch nun wußte sie nicht, wie sie es in die Hände des Herzogs bringen könne, nach Portugal, wo er die britischen Truppen gegen Napoleon befehligte. Um all das habe ich mich gekümmert - ich schickte es durch Frankreich. Das war das größte Geschäft, das ich je gemacht habe.»
Es dauerte nicht lange, und die Rothschilds wurden Englands wichtigste Bankiers, nicht nur weil sie Wellington versorgten, sondern auch die Verbündeten: Österreich, Preußen und Rußland erhielten in den letzten Jahren des napoleonischen Regimes große Hilfsgelder von Großbritannien. Durch ihre Hände rollte der Großteil jener 15 Millionen Pfund, die England seinen Verbündeten vorstreckte
Am 1. Oktober 1814 beginnt der Wiener Kongreß.
Das hält der in Elba über alle Vorgänge wohlunterrichtete Napoleon für den geeigneten Augenblick, um seine Pläne zur Rückkehr nach Frankreich und Wiedereroberung des Thrones zu verwirklichen. Am 1. März 1815 betritt er mit einer Handvoll Getreuer französischen Boden; drei Wochen später hat ihn der Ruhm seines glorreichen Namens schon in das Schloß Fontainebleau bei Paris zurückgeführt. Ludwig XVIII. und sein Hof flüchten aus der Hauptstadt. Nun erhofft Napoleon nicht nur die Sprengung des Wiener Kongresses, sondern auch eine Parteinahme einzelner Mächte für seine Sache. Doch man wendet sich einmütig gegen den Friedensstörer und beschließt gemeinsame Schritte gegen ihn.
Am 25. März 1815 haben die vier Hauptmächte ihr einstiges Bündnis erneuert. Jede einzelne verpflichtet sich, hundertfünfzigzausend Mann zu stellen, und England soll die geringere Anzahl Truppen durch Hilfsgelder ersetzen. Wieder ergibt sich also die Notwendigkeit, solche an verschiedene Festlandsmächte zu übermitteln. Herries vom britisches Schatzamt und der Londoner Privatbankier Nathan Rothschild verdoppeln nun ihre fieberhafte Tätigkeit. Ende April läßt der letztere durch Salomon R. die hohe Summe von 200 000 Pfund auf einmal der preußischen Regierung überbringen. Als auch dies zu wenig ist, leistet Salomon, ohne Nathan in London vorher zu befragen, aus eigenem, zu allerdings für ihn höchst gewinnreichem Kurse, einen weiteren Vorschuß von 150 000 Pfund. Nachträglich bewilligt dies Herries nicht nur anstandslos, sondern nimmt auch den des Vermittlers hohen Gewinn darstellenden bedeutenden Kursverlust der preußischen Regierung auf Englands Schultern.
In Frankfurt setzt man der Familie Rothschild allen möglichen Widerstand entgegen. Um sie in der Ausdehnung ihrer stets zunehmenden Geschäfte zu stören, versucht man dort, die in der Stadt anwesenden Brüder zu militärischer Dienstleistung zu zwingen. Angstvoll wenden sie sich an Nathan um Hilfe, der Herries die Sache vorträgt. Er erwirkt nun einen Schritt des Foreign Office bei der österreichischen Gesandtschaft in London, wonach diese das Haus Rothschild dem Freiherrn von Hügel, österreichischem Bevollmächtigten in Frankfurt, empfehlen soll.
«Herr Baron», lautet dieses Schreiben aus London, «die englische Regierung hat ersucht, Eurer Exzellenz das mit der Uebermittlung unserer Subsidien betraute Haus Rothschild in Frankfurt ganz besonders zu empfehlen; es wird durch mehrere Brüder vertreten, deren einer hier etabliert und von der britischen Regierung zu all deren großen Finanzoperationen mit dem Festlande verwendet wird ... Da die englische Regierung scheinbar einen großen Wert darauf legt, daß dieses Haus in keiner Weise belästigt werde und die Wohlfahrt unseres Dienstes dabei direkt interessiert ist, habe ich geglaubt, mich dieser Demarche nicht entziehen zu können und bitte Sie daher, Herr Baron, dem genannten Hause allen Schutz und alle Hilfe angedeihen zu lassen, die von Ihnen abhängen.»
Freiherr von Hügel sendet dieses Schreiben sogleich nach Wien weiter, wo es Metternich und Stadion vorgelegt wird und seine Wirkung nicht verfehlt. Von nun an steht man in Wien der Uebermittlung der Hilfsgelder durch die Brüder Rothschild nicht mehr ablehnend gegenüber, und die staatsfinanziellen Geschäfte entwickeln sich überall viel leichter.
Der Korse hat sich inzwischen Mitte Juni wieder zum Kampfe gestellt. Einen Augenblick scheint Napoleon das Kriegsglück wieder zu lächeln, aber schon um 18. Juni 1815 ereilt den Kaiser der Franzosen sein Schicksal bei Waterloo.
Nathan hat den Kapitänen der von England nach dem Festland verkehrenden Schiffe Prämien für die rascheste Uebermittlung solcher versprochen. Dazu weist er seine Vertreter in aller Welt an, ihn besonders über den Ausgang der zu erwartenden Kämpfe rasch zu unterrichten.
Nathans Vorsorge bewährt sich im Fall der Schlacht von Waterloo aufs beste. Einem seiner Agenten in Ostende gelingt es, die erste Zeitungsnachricht über den günstigen Ausgang der Schlacht frisch von der Presse zu erhaschen und mit dieser ein eben nach London abgehendes Schiff zu besteigen.
Er trifft sehr früh am Morgen des 20. Juni in der britischen Hauptstadt ein und verständigt augenblicklich Nathan, der die ihm zugekommene Siegesbotschaft an Herries und damit an die englische Regierung weitergibt.
Diese nimmt die Sache zunächst ungläubig auf, da sie noch nicht amtlich verständigt ist. Der von Wellington entsandte Major Percy kommt mit der Meldung des Feldmarschalls erst am 21. Juni an. Dieses so schnelle Erfahren einer so wichtigen Nachricht macht großen Eindruck bei den Mitgliedern der britischen Regierung und wird schließlich auch allgemein bekannt.
Es versteht sich von selbst, daß Nathan die frühzeitig erhaltene Kunde sofort in seine geschäftlichen Berechnungen einstellt, aber im Wesen ist das Vermögen der Brüder Rothschild schon lange früher entstanden, und der glückliche Ausgang der Schlacht vermehrt es nur beträchtlich.
Der Entscheidung von Waterloo folgte der Friede.
Auf dem Kongreß zu Wien wurde nicht mehr Blockade gebrocken. Man tanzte. Die Stärke der jungen Rothschilds lag aber nicht auf dem Tanzparkett, und somit taugten sie plötzlich auch nicht mehr recht als Bankiers.
Die wirtschaftlichen Betätigungen im Europa der nachnapoleonischen Ära konzentrierten sich auf die Bemühungen der einzelnen Länder, ihre eigenen Kraftquellen zu nutzen, das heißt, Anleihen vom heimischen Markt finanzieren zu lassen. Da aber sahen sich die Rothschilds trotz all dem gewaltigen neuerworbenen Reichtum, den sie ihr eigen nennen durften, ohnmächtig verschlossenen Türen gegenüber.
Im Jahre 1816 waren die Brüder Rothschild zwar Multimillionäre geworden, aber es bedurfte allen Einflusses ihres stärksten Fürsprechers im britischen Schatzamt, John Herries, daß Wien sich dazu herabließ, eine englische Hilfeleistung von ihnen anzunehmen. Die jungen Herren, sehr bedacht darauf, einen guten Eindruck zu machen, entledigten sich ihrer Aufgabe mit außergewöhnlicher Eleganz. Sie klügelten Methoden aus, die es ihnen erlaubten, auf Provisionen und Zinsen zu verzichten, und brachten dadurch dem österreichischen Staatsschatz mehrere Millionen ein. Dafür gewährte der Wiener Hof ihnen im Jahre 1817 das Adelsprädikat «von». Die fünf Brüder arbeiteten gemeinsam weitgehende und höchst günstige Pläne für die österreichischen Finanzen aus - sie wurden völlig ignoriert.
In Frankreich lagen die Dinge womöglich noch schlechter.
Es war eine Tatsache, daß Ludwig XVIII. allen Glanz bei der Wiederherstellung der Bourbonenmacht den Brüdern Nathan und James Rothschild verdankte. Denn sie hatten ihm Vorschüsse auf britische Versprechungen gewährt, damit er seinen triumphalen Einzug in Paris finanzieren konnte. Das freilich hatte sich 1814 zugetragen, bevor Napoleon noch einmal von Elba gekommen war, damals, als das Donnern der Kanonen noch allen in den Ohren klang. Jetzt aber, nachdem drei Jahre ins Land gezogen waren, hatten die alteingesessenen Bankiers sich wieder in ihren Kontoren und Salons etabliert und gaben aufs neue den Ton an. Verglichen mit ihren Manieren wirkte alles, was die Rothschilds taten, parvenühaft.
Die neue französische Regierung bereitete eine große Anleihe von 350 Millionen Francs vor und vertraute sie dem Bankhaus Ouvrard an, das sich in der Finanzgeschichte Frankreichs einen Namen erworben hatte, sowie den Brüdern Baring, einem nicht minder angesehenen englischen Finanzinstitut. Verglichen mit ihnen erschienen die Rothschilds nur «einfache Geldwechsler». Die Anleihe wurde - ganz ohne die Rothschilds - ein großer Erfolg. Im Jahr 1818 begannen die Verhandlungen um eine zusätzliche Anleihe von etwa 270 Millionen Francs. Wieder waren Ouvrard und Baring führend, während die Bewerbungen der Rothschilds im Finanzministerium kein Gehör fanden. Diese Anleihe war als der Schlußstrich unter die Kriegsverschuldung Frankreichs gedacht. In einer Konferenz mit den Siegermächten in Aachen sollte sie abgeschlossen und besiegelt werden. (Ein Aachener ”Versailles” für Frankreich?)
Aachen wurde zum Wendepunkt in der Familiengeschichte der Rothschilds, weil es das erste Zusammentreffen zwischen der großen Gesellschaft und den jüngst erst groß gewordenen Rothschilds war. Es begann mit einer Reihe von Banketts und Soireen, ganz wie sie auf dem Wiener Kongreß üblich gewesen waren. Die Rothschilds waren fasziniert. Aber sie blieben ausgeschlossen. Doch dann spitzte sich die Situation zu, entlud sich schließlich in einem fürchterlichen Gewitter, und als der Donner verrollt war, hatten die jungen Emporkömmlinge wieder einmal das schier Unmögliche erreicht.
Während der ersten Woche hatte keiner diese Entwicklung vorausgeahnt, möglicherweise nicht einmal Salomon und Kalmann selbst, die als Vertreter der Familie anwesend waren. An der Stelle ihres alten Freundes und Förderers, John Herries, hatte England Lord Castlereagh entsandt. Salomon und Kalmann konnten nicht heimisch werden in einer Welt, in der das althergebrachte Protokoll und die fein gezirkelte Phrase derart regierten. Ihre Welt war die Börse und nicht das Tanzparkett.
Immer wenn die Brüder darum baten, vom Fürsten Metternich empfangen zu werden, war dieser gerade beim Herzog von Richelieu oder sonstwo zu Gast. Lord und Lady Castlereagh erwiesen sich als unauffindbar, da sie ständig mit dem Fürsten Hardenberg herumkutschierten. Bei allen Festlichkeiten wurde die Einladung an die Rothschilds vergessen, während die Konkurrenz - Baring und Ouvrard - überall dabei zu sein schienen.
Bestenfalls waren Sekretäre zu erreichen, aber auch diese lächelten kühl: Ja, ganz richtig, die Verhandlungen mit Baring und Ouvrard näherten sich dem Abschluß; warum sollte man denn in diesem Stadium die Verhandlungspartner wechseln? War nicht alles mit der Anleihe von Baring und Ouvrard trefflich gegangen? Stieg nicht gerade jetzt in Paris der Kurs der Papiere von 1817? Noch einmal wollten die Rothschilds einen Versuch unternehmen. Sie konnten sich die Dienste Friedrich von Gentz' sichern, eines hervorragenden Publizisten und vertrauten Freundes des Staatskanzlers Metternich, und hatten damit eine Schlüsselfigur des Kongresses gewonnen. Sie investierten eine schöne Summe in David Parish, einen jungen, mondänen Bankier, dessen gesellschaftliche Beziehungen zum Hause Baring sehr gut waren. Sie versuchten sich auf jede Art und Weise salonfähig zu machen, und sie sorgten dafür, daß ihre eigenen Fräcke ebenso tadellos waren wie die Livreen ihrer Dienerschaft.
Aber alle Mühe war vergebens. In den Salons kicherte man belustigt über die Außenseiter.
In der allgemeinen Heiterkeit blieb eine Kleinigkeit ganz unbeachtet: die zunehmende Häufigkeit, mit der Kuriere in der Wohnung der Brüder ein und aus gingen.
Der ganze Monat Oktober des Jahres 1818 verging in Aachen damit, daß man sich amüsierte und hofierte, spielte und promenierte - und nebenbei die Rothschilds völlig übersah.
Am 5. November ereignete sich etwas höchst Seltsames: Die französischen Staatspapiere aus jener berühmten Anleihe von 1817 begannen zu fallen, nachdem die Kurse ein Jahr lang ununterbrochen gestiegen waren. Von Tag zu Tag bröckelten sie mehr und mehr ab, und damit noch nicht genug: Auch andere Kurse begannen zu sinken. Ein Sturm schien entfesselt, ein allgemeiner Zusammenbruch zeichnete sich am verdüsterten Horizont ab, nicht nur in Paris, nein, an allen Börsen Europas.
In Aachen brach die heitere Musik ab. Die so vornehmen Edelleute standen nun verstört da, in den prachtstrotzenden Sälen, über die sich ein Dunkel senkte. Schließlich hatte man ja auch selbst einiges investiert.
Plötzlich hatte sich alles verwandelt: Die Mienen der hohen Herren waren verdüstert, die von Kalmann und Salomon aber wie verklärt unter einem lange nicht gesehenen Lächeln. Ein Gerücht verbreitete sich in den Salons: Sollte es möglich sein? Sollten die Rothschilds vielleicht wieder einmal ...? Ja. Die Rothschilds hatten es wieder einmal geschafft. Mit ihren unerschöpflichen Reserven hatten sie die Papiere der Konkurrenten wochenlang aufgekauft, zurückgehalten und damit ihren Kurs insgeheim künstlich in die Höhe getrieben. Und dann, urplötzlich, mit einem einzigen gigantischen Schlag, hatten sie die ganze unheilvolle Menge von Papieren abgestoßen. Damit war tatsächlich die gesamte Börsenstruktur in ihren Grundfesten erschüttert.
Die Herren Metternich, Richelieu und Hardenberg wußten sehr schnell, was sie zu tun hatten. Eine ernste Unterredung zwischen ihnen und den Bankiers Ouvrard und Baring fand statt. Zwar hatten sie sich in der neuen, noch nicht existenten Anleihe für ihre Privatkonten schon nette Pakete reservieren lassen. Aber man besprach sich. Man annullierte. Man verabschiedete sich. Die Hoffnung auf die neue Anleihe hatte sich in ein Nichts aufgelöst ...
Dann bat man Salomon und Kalmann herein, und nun auf einmal war ihr Geld das allerbeste.