Ausgerufener Sieg verfrüht – Al-Shabaab-Miliz bleibt Bedrohung
von Wolfgang Drechsler 11.08.2011
Es wäre eine wundersame Wende in einem extrem vertrackten Bürgerkrieg: Völlig überraschend hat sich die radikal-islamistische Al-Shabaab-Miliz am Wochenende nach schweren und verlustreichen Kämpfen aus fast allen Teilen der seit Jahren bitter umkämpften somalischen Hauptstadt Mogadischu zurückgezogen.
Die Islamisten waren zuletzt durch ihre menschenverachtende Haltung im Rahmen der vor allem in Somalia wütenden Hungersnot in die Schlagzeilen geraten: Statt zu helfen, hatten sie die von ihr kontrollierten Gebiete des bürgerkriegszerstörten Landes, darunter Teile Mogadischus, weitgehend für Lebensmittellieferungen gesperrt – und dadurch die ohnehin bereits extrem kritische Lage dort weiter verschärft. Einige Beobachter glauben, dass die Islamisten sich als Reaktion auf die immer geringere finanzielle Unterstützung aus der arabischen Welt zurückgezogen hätten, zumal viele junge Kämpfer wegen der ausgebliebenen Bezahlung desertiert seien. Andere spekulierten, dass die Miliz vor allem durch die Hungersnot geschwächt worden sei, weil dadurch das Erpressen von Schutzgeldern stark erschwert würde.
Dennoch erscheint der nun von der somalischen Übergangsregierung ausgerufene Sieg über die Islamisten vielen Experten als verfrüht. So hat die al Shabaab bereits wissen lassen, auch künftig in Mogadischu zu kämpfen, allerdings mit einer neuen Guerillataktik, zu der neben mehr Selbstmordattentaten vermutlich auch Granatenangriffe zählen dürften.
Am Wochenende hatte ein Regierungssprecher offiziell erklärt, Mogadischu sei nun von der Islamistenmiliz völlig befreit. Die Somalier hätten nun erstmals seit dem Zusammenbruch des Staates vor 20 Jahren eine „goldene Gelegenheit“ zum Neubeginn. Seit 1991 ist die Hauptstadt des nur auf der Karte existenten Somalias ein erbittert umkämpfter Ort. Das Land war nach dem Sturz des Diktators Siad Barre zur Beute rivalisierender Clanmilizen geworden; eine Zentralregierung konnte sich seitdem nie mehr durchsetzen. Heute ist Mogadischu, das einst als die Perle Ostafrikas galt, eine Trümmerwüste. Die knapp 1,5 Millionen verbliebenen Menschen leben wie in einem Käfig. Ihren Haushalt bestreitet die Stadt aus einem geringen Teil der Hafeneinnahmen. Doch die dadurch eingenommenen rund 70000 Euro im Monat sind allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.
Seit ein paar Jahren beherrscht die vom Westen unterstützte Übergangsregierung nur Teile des zerrissenen Landes. Selbst die Hauptstadt befand sich bis zum Wochenende nur etwa zur Hälfte unter ihrer Kontrolle.
Die vor zwei Jahren gebildete Übergangsregierung verdankt ihr Überleben entscheidend den ugandischen Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AU). So gut wie alle ihre Minister sind jedoch Fremde im eigenen Land. Viele sind erst kürzlich aus zum Teil jahrzehntelangem Exil in Europa oder den USA heimgekehrt. Nach der Zerstörung des Abgeordnetenhauses tagt das 18-köpfige Kabinett derzeit in einem Einfamilienhaus.
Der nun von der Übergangsregierung verbreitete Optimismus erinnert stark an ein ähnliches Szenario Ende 2006: Damals hatten sich die Islamisten ebenfalls zeitweise in den von ihnen dominierten Süden zurückgezogen, um nur wenig später Mogadischu erneut anzugreifen und noch mehr Chaos zu stiften. Kein Wunder, dass vor allem Vertreter der afrikanischen Friedenstruppe sich nach dem langen, verlustreichen Kampf vorsichtiger als die Übergangsregierung zeigen. Ihr Kommandant, General Nathan Mugisha aus Uganda, bezeichnete am Sonntag die neue Lage jedoch als eine „Gelegenheit“, die komplexe Pattsituation zu brechen und das Land endlich zu stabilisieren.
Noch ist völlig unklar, ob es für die Hilfsorganisationen nun wirklich einfacher wird, in der Region und vor allem in Mogadischu selbst zu agieren. Viele Beobachter wagen dies nach den Erfahrungen der letzten Jahre zu bezweifeln, auch wenn kurzfristig eine Entspannung erwartet wird. Bislang dringt fast keine Hilfe nach Mogadischu, weil al Shabaab die Mitarbeiter aller ausländischen Hilfsorganisationen mit dem Tod bedroht.
Der Bürgerkrieg erschwert die Versorgung der Hungernden in der größten Dürre in der Region seit Wochen, zumal die Islamisten nur sehr bedingt Hilfslieferungen westlicher Organisationen zulassen. Die al Shabaab wirft diesen Organisationen vor, verdeckt politische Ziele zu verfolgen. Zuletzt hatten die Islamisten deshalb sogar mit Angriffen auf die Lager bei Mogadischu gedroht, in denen mehr als 100000 Menschen vor der Dürre Zuflucht gesucht haben. Die UN hatten die somalische Hauptstadt sowie fünf weitere Regionen im Land letzte Woche zu Hungergebieten erklärt, nachdem dort in den letzten drei Monaten bis zu 29000 Kinder unter fünf Jahren verhungert sein sollen. Vertreter der Weltorganisation sprechen von 650000 akut unterernährten Kindern in Somalia. Zudem seien mehr als drei Millionen Somalis auf sofortige Nahrungsmittelhilfe angewiesen.