Eine Art Zeugenbeeinflussung im Voraus könnten kritische Betrachter des Falls zudem hinter dem absolut obskuren Auftauchen der Fahndungsfotos von Böhnhardt und Mundlos im TV vermuten. Die beiden Männer wurden nämlich unfreiwillig Bestandteil zweier Fernsehkrimis. In der Folge „Gegen die Zeit" (man beachte den Titel!) der TV-Serie „Küstenwache" vom 10. März 2004 wurden in einer für den Film nachgemachten Fahndungsakte die Fotos jener Männer gezeigt, die später als NSU-Mörder bekannt wurden. Beate Zschäpe hingegen war nicht zu sehen. An ihrer Stelle prangte das Bild einer Schauspielerin.
(199) Die Fahndungsfotos, damals auf der Internetseite des Bundeskriminalamtes, gelangten wie von Geisterhand in die eigens für die Sendung hergestellte Akte und wurden wie zufällig innerhalb einer kurzen Szene dargestellt. Angeblich, so die TV-Produktionsgesellschaft, sei nicht mehr nachvollziehbar, wie die Fotos in die Akte kamen. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Zeitpunkt der Ausstrahlung der Folge von „Küstenwache": Offensichtlich sollten hier weit im Vorfeld des November 2011 die zahlreichen TV-Zuschauer schon einmal schleichend und unterbewusst an den Anblick von Mundlos und Böhnhardt als Verbrecher gewöhnt werden. Doch es kam noch besser. Auch in einer Folge des Zuschauermagnets „Tatort" war ein Bild von Mundlos zu sehen, und zwar in der Episode „Bestien" (auch hier ist der Titel interessant!), die in Köln spielt und bereits am 25. Januar 2001 in der ARD ausgestrahlt wurde. In dem Streifen geht es um die Mutter eines vergewaltigten Mädchens, die den Täter schließlich tötet. Der Vater des Mädchens schaut sich in der Episode eine BKA-Akte über Sexualverbrecher an. Dabei wird das Foto von Uwe Mundlos eingeblendet.
(200) Die Produktionsfirma der Folge, die Colonia Media GmbH, kann sich angeblich bis heute nicht erklären, wie das Bild in die fiktive Akte gelangen konnte. Auch beim ZDF, das die Serie „Küstenwache" ausstrahlte, steht man eigenen Angaben zufolge vor einem Rätsel. Die Mitarbeiterin der Requisite, die die Akte herstellte, arbeitet seit längerer Zeit nicht mehr bei der entsprechenden Produktionsfirma.
(201) Das allerdings sollte kein Grund sein, die Dame nicht ausfindig machen zu können; schon gar nicht für eine Ermittlungsbehörde, denn immerhin gibt es in Deutschland Meldeämter, Straßenverkehrsämter, Schufa und viele Institutionen mehr, die über die Daten einzelner Bürger verfügen. In anderen Fällen wird damit im Übrigen auffallend locker umgegangen.
Werden die Zeiträume, in denen die beiden Krimis gezeigt wurden, mit denen der Mordserie verglichen, kommt Erstaunliches dabei heraus, was aber sicherlich auch nur ein Glied in der Kette merkwürdiger „Zufälle" ist: Am 25. Februar 2004 wurde Mehmet Turgut in Rostock hinter
seiner Döner-Theke ermordet. Keine zwei Wochen später läuft im TV die Folge von „Küstenwache". Besonders hervorzuheben ist nicht nur die terminliche Nähe zwischen Mord und Sendung, sondern auch die Tatsache, dass „Küstenwache" als Handlungsort die deutsche Ostseeküste - und damit auch Rostock - hat!
(202) Das Gros der Zuschauer dieser Krimiserie stammt aus Norddeutschland, also liegt es nahe zu glauben, hier sollten die Bewohner der Küstenregion unterschwellig mit den Gesichtern der NSU-Leute vertraut gemacht werden — ein Aspekt aus der Wahrnehmungspsychologie. Inhaltlich geht es in der Folge um ein neuartiges Virus, das innerhalb kurzer Zeit zum Tode führt, mit einem Umweltskandal in Zusammenhang steht, und um sogenannte „Trouble-Shooter", eine Person, die schwierige Aufträge ausführt.
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Ähnlich sieht es bei der „Tatort"-Folge „Bestien" aus. Erneut gesendet wurde sie gut drei Monate nach dem Tötungsdelikt vom 29. August 2001 an Habil Kilic in München. Die Krimiserie, die die meistgesehene ihrer Art in Deutschland ist und regelmäßig mehrere Millionen Zuschauer vor den Bildschirm lockt, hatte in der Folge vom 25. November 2001 rein zufällig Lynchjustiz zum Thema.
(204) Sollte sich dahinter etwa leise ein Hinweis auf die Hintergründe der Mordserie verstecken, die zu diesem Zeitpunkt bereits vier Opfer gefordert hatte? Wiederholt wurde der Tatort übrigens auch am 28. Januar 2005 im WDR (Morde an Ismail Yasar am 9. Juni 2005 in Nürnberg und Theodoras Boulgarides am 15. Juni 2005 in München), am 27. Februar 2005 bei ORF1 und am 4. Juni 2011 wieder im WDR (Bekanntwerden des NSU am 4. November 2011, also genau 5 Monate später)
(205) Nicht zu verachten ist auch die „gerechte" Verteilung der Fahndungsbilder. Die beiden großen öffentlichrechtlichen Anstalten ZDF und ARD sind bei der Verteilung zu gleichen Teilen bedacht worden. Ob auch Privatsender an diesen „Zufälligkeiten" partizipierten, ist nicht bekannt.
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