Das erste, was man über den christlichen Zionismus wissen sollte ist, dass britische und US-amerikanische fundamentalistische Christen die zionistische Idee vor Theodor Herzl erfunden haben. Und bis heute ist kennzeichnend, dass christliche Zionisten radikaler auftreten als jüdische oder israelische. Göttlichen Willens gewiss, gehen sie über das wirkliche Geschehen in der Region und die Bestrebungen der dort lebenden Menschen zynisch hinweg.
So haderte Malcom Hedding mit dem Allmächtigen, als Sharon die jüdischen Siedlungen in Gaza räumen ließ. „Wie kann Gott dies zulassen?“, klagte der südafrikanische Pastor, Geschäftsführender Direktor der „Internationalen Christlich Botschaft Jerusalem“ (ICEJ), auf der deutschen Webseite dieser Organisation. Diese entstand 1980 als Reaktion auf die weltweite Ablehnung der israelischen Annexion Jerusalems. Sie hat bisher vier Internationale Christliche Zionistenkongresse veranstaltet.
Auf der Webseite ihres deutschen Zweiges wird nachdrücklich betont, dass Theodor Herzl, der Begründer des jüdischen Zionismus ohne die christlichen Zionisten kaum Erfolg gehabt hätte. „Einer der Hauptschlüssel zu Herzls Denken und Erfolg war der Einfluss seiner christlichen Freunde. Als Herzl darüber debattierte, wo ein Zufluchtsort für die Juden zu finden sei, die vor Pogromen in Russland und Osteuropa flohen, sandte ihm Pfarrer William E. Blackstone eine Ausgabe des Alten Testaments, in dem überall die prophetischen Stellen markiert waren, die sich auf die Rückkehr der Juden in das Land Israel beziehen. Und William Hechler, ein britischer Kaplan und Hauslehrer des deutschen Herrscherhauses, war Herzl dabei behilflich, Zugang zu Kaiser Wilhelm II. zu bekommen und so die Sache des Zionismus zu einem Hauptthema der europäischen geopolitischen Diskussion zu machen. (…) Führende britische Kirchenleute und Politiker wie Lord Palmerston und Lord Shaftesbury erklärten, dass besonders England von Gott dafür vorgesehen sei, jüdische Ansiedlung im Mittleren Osten zu unterstützen. 1891, sechs Jahre vor dem ersten Zionistischen Kongress (!), brachte Blackstone eine Petition vor den US-Präsidenten Benjamin Harrison, in der eine Rückführung der Juden nach Israel gefordert wurde; unter den Unterzeichnern waren Kardinal Gibbons, John D. Rockefeller, J.P. Morgan und mehr als 400 andere führende Amerikaner. (…) Die ‚Restorationisten’ beeinflussten die Politik und Entscheidungen Großbritanniens, als die Regierung von David Lloyd George 1917 die Balfour-Deklaration herausgab, in der ‚die Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina’ befürwortet wurde.“
Die Symbiose des Zionismus mit den Interessen imperialistischer Mächte im Nahen Osten ist eine bekannte Geschichte. Weniger bekannt ist, dass der Zionismus eine christliche Erfindung ist und christlich-religiöse Vorläufer hat, die vierhundert Jahre älter sind als die Gründung des Staates Israel: Schon Oliver Cromwell, Lordprotektor des neu gegründeten puritanischen Commonwealth, erklärte, dass die Anwesenheit der Juden in Palästina das Vorspiel auf das Zweite Kommen des Christus sein würde. Und der deutsche Gottesweise und Endzeitgrübler Paul Felgenhauer erklärte 1655, dass die Juden bei der Wiederkunft von Jesus Christus diesen als Messias anerkennen würden. Derartigen Aufforderungen Folge zu Leisten, hatten sich die Juden, die seit dem römischen Reich in Europa lebten, Jahrhunderte lang standhaft geweigert.
Der erste jüdisch-zionistische Kongress fand 1897 in Basel statt. In demselben Konzertsaal, in dem ihn Theodor Herzl einberufen hatte, tagte symbolträchtig im Jahre 1985 der erste christlich-zionistische Kongress. Unter den Teilnehmern war auch Grace Halsell, eine Journalistin, die für Bücher bekannt wurde, deren Inhalt sie teilweise unter verschiedenen Verkleidungen (ähnlich Günter Wallraff) recherchiert hatte. In Basel hatte sie sich als Anhängerin des Fundamentalisten Jerry Falwell ausgegeben. Jeder Redner, so berichtet Halsell, habe die zentrale Überzeugung des politischen Zionismus betont, dass alle Nicht-Juden unter einer Krankheit leiden, die sich Antisemitismus, oder genauer Judenhass, nennt.
Der Kongress, der insgesamt 36 Stunden tagte, habe der Botschaft oder Bedeutung von Christus weniger als ein Prozent seiner Zeit gewidmet. Die meiste Zeit war von Politik die Rede. Halsell berichtet von einer bezeichnenden Episode: „Die Christen drängten Israel, den als West Bank bezeichneten Teil Palästinas zu annektieren. Ein Israeli unter den Zuhörern stand auf - bevor über den Antrag abgestimmt wurde -, um vorzuschlagen, dass die Formulierung des Antrags vielleicht etwas modifiziert werden sollte. Er wies darauf hin, dass israelische Meinungsumfragen zeigten, ein Drittel der Israelis wären bereit, 1967 eroberte Gebiete gegen Frieden mit den Palästinensern einzutauschen. ‚Wir kümmern uns nicht darum, wie die Israelis abstimmen,’ erklärte van der Hoeven (der damalige holländische Sprecher der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem). Wir kümmern uns darum, was Gott sagt! Und Gott hat dieses Land den Juden gegeben.“ (Grace Halsell, Prophecy and Politics (1985), S. 132/3)
Als Benjamin Netanjahu, der heutige Führer der extrem nationalistischen Likud-Partei, israelischer Botschafter in den Vereinigten Staaten war, hielt er am 06. Februar 1985 bei einem „Nationalen Gebetsfrühstück für Israel“ einen Vortrag über den Christlichen Zionismus. „Die Schriften der christlichen Zionisten, britischer wie amerikanischer,“ so führte Netanjahu aus, „beeinflussten unmittelbar das Denken von so entscheidenden Führern wie Lloyd George, Arthur Balfour und Woodrow Wilson anfangs dieses Jahrhunderts. Dies alles waren Männer, die sich in der Bibel auskannten…So war es der Einfluss des christlichen Zionismus auf westliche Staatsmänner, der dem modernen jüdischen Zionismus half, die Wiedergeburt Israels zu vollbringen.“ Die Freundschaft zwischen Israel und seinen christlichen Unterstützern sei alles andere als neu. Journalisten, die sich darüber heute erstaunt und irritiert zeigten, bewiesen nur ihre historische Ignoranz. „Wir kennen die spirituellen (!) Bande, die uns so tief und dauerhaft verbinden“, versicherte Netanjahu und schloss mit den Worten: „Wir kennen die historische Partnerschaft, die so gut funktionierte, um den zionistischen Traum zu erfüllen.“ (Ebenda, S. 138/9 )
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