Die deutschen Panzertruppen stehen vor Reims. Die Stadt ist zur
„offenen Stadt“ erklärt worden, dort ist also kein Widerstand zu
erwarten. Die französische Regierung hat sogar ein übriges getan.
Sie hat Reims völlig von der Zivilbevölkerung räumen lassen.
Merkwürdig. Wenn Reims „offene Stadt“ ist, hat die Bevölkerung
Ja ohnehin nicht zu befürchten.
Das Rätsel löst sich bald Um eines Propagandatricks wegen hat man
Die Menschen von zu Hause weggeführt. Wegen eines Propagandatricks,
aus dem dann nicht einmal etwas werden wird, wie P. C. Ettighofer in
seinem Buch „44 Tage und Nächte“ berichtet.
Nach dem Abzug der Bevölkerung haben die Sonderkommandos die
Straßen sorgfältig gereinigt, das Stadtbild gesäubert. Die Haustüren
werden verschlossen, vor den Schaufenstern die Rolläden heruntergelassen.
Und dann wird Reims – fotografiert! Straße für Straße, die bedeutendsten
Gebäude werden noch einmal extra aufgenommen.
Die Fotografen verlassen Reims als letzte. Ihre Aufnahmen sollen später
einmal beweisen, wie das weltberühmte Reims aussah, bevor die deutschen
Hunnen es zerstörten. Dann, nach dem Sieg, werden die Fotografen die Stadt
Aufnehmen, wie sie nach der Plünderung durch die Deutschen aussieht.
Daraus wird nichts. Da Reims von allen Einwohnern verlassen ist, erhalten die
Deutschen Truppen Befehl, Reims zu umgehen. Nur ein Kommando der
Feldgendarmerie betritt die Stadt und verwehrt jedem Soldaten den Zutritt.
(...)
Eine durch die leeren Straßen patroullierende Streife der Feldgendarmerie
Wird plötzlich von einer ängstlichen Stimme angerufen. Eine uralte Frau,
in deren Augen Furcht und Entsetzen stehen, fleht die deutschen Soldaten
an, sie nicht zu erschießen. Die Landser schütteln den Kopf, halb mitleidig,
halb ärgerlich. Es dauert ein Weilchen, bis sie der hilflosen Greisin, die von
allen vergessen und zurückgelassen wurde, klargemacht haben, daß sie nichts
zu befürchten hat. Die alte Frau wird zutraulicher. Ob die Soldaten kein Brot hätten.
Sie hat schon lange nichts mehr gegessen. Brot haben die Landser, aber das
dunkle Kommißbrot wird die Frau nicht essen wollen. Einer besorgt rasch
einen Beutel mit Keksen aus dem Kübelwagen, ein paar Büchsen Milch und
Fleischkonserven. Dann wird der Frau das Hotel gezeigt, in dem sich die deutsche
Kommandantur niedergelassen hat. Dort soll sie sich jeden Tag Verpflegung
holen, alles was sie braucht, die einzige Einwohnerin von Reims. Sie schüttelt
Verwundert den Kopf. Dann sagt sie schwerfällig:
„Ja, ja, man muß immer
Beide Seiten hören. Wer immer nur eine einzige Glocke hört, der kennt auch nur
einen einzigen Klang!“
Zentner, "Illustrierte Geschichte des 2.WK"