Von "Ja, isch aus Wedding" bis "Isch mach dich Krankenhaus": Der neue multiethnische Dialekt, auch "Kiezdeutsch" genannt, ist unter Germanisten umstritten. Die Wissenschaftlerin Heike Wiese lud deshalb zu einer Tagung nach Berlin. Sie sieht das "Kiezdeutsch" auch als Chance.
In ihrer Studie gesteht die Philologin knappen Sätzen wie "Ja, isch aus Wedding" (Ich komme aus dem prekären Stadtteil Berlin-Wedding) oder "Morgen geh ich Karstadt" (Morgen statte ich dem ökonomisch labilen Warenhaus Karstadt einen Besuch ab) eine sprachlich deutlich höhere Wertigkeit als ihre Lingusistenkollegen zu.
Vielmehr überbiete das neue "Kiezdeutsch", von Wiese als "multiethnischer deutscher Dialekt" gekennzeichnet, vormalige Mischsprachformen wie die "Kanak Sprak" oder das "Türkendeutsch" durch Erfindungsreichtum und grammatikalische Finesse.
Die kolonisierende Ironie der Sprachgeschichte besteht Wiese zufolge darin, dass "Kiezdeutsch" sowohl von Jugendlichen mit türkischen und arabischen Wurzeln als auch von deutschen Teenagern gesprochen werde. Der Synkretismus-Jargon sei nicht etwa von Herkunft oder Muttersprache der Nutzer abhängig, sondern lediglich vom Wohnort.
Derlei klingt tröstlich bis zukunftsweisend. Auch deshalb, weil Wiese "Kiezdeutsch" nicht als Integrationshemmnis für Migranten erachtet, sondern als eine an Auslassungen von Artikeln und Präpositionen reiche Zweitsprache, die Pubertierenden ein "Zugehörigkeitsgefühl" vermittle. Zumal dann, wenn sie ihrem eklektischen Sermon noch Lehnwörter aus dem Stammgebiet hinzufügen können. Etwa das türkische "lan" (Kumpel) oder das arabische "wallah" (nicht wahr?).
Folgt man Wiese, gibt es ganz ähnliche Grammatikmuster auch in niederländischen und skandinavischen Einwanderervierteln. Wie es scheint, kündigt sich eine neue sprachliche Internationale an.
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Ich staue manchmal nicht schlecht, wenn ich einen Deutschen sehe, der das tatsächlich spricht. Aber das ganze Hauptschul-System ist ja durchsetzt davon. Für viele Deutsche scheint das inzwischen "ihre" Sprache zu sein.