In Anbetracht der besonderen Umstände im geteilten Korea, auf die ich im Folgenden detailliert eingehen möchte, glaube ich mit Fug und Recht behaupten zu können, dass die Lösung der gravierenden Probleme in der DVR Korea weder mit der vom User Konfuzius_sagt vorgeschlagenen 'Perestrojka' innerhalb der PdAK möglich ist und schon gar nicht mit der vom User Kaiser ins Spiel gebrachten abenteuerlichen Annektion der Republik Korea durch die DVR Korea mit Unterstützung der VR China. Abgesehen von der Tatsache, dass das Regime in Beijing nicht das geringste Interesse an einem Waffengang gegen einen seiner wichtigsten Handelspartner wie Südkorea haben kann, würde die VR China sich unweigerlich auf einen militärischen Konflikt mit den USA einlassen, der unabsehbare negative Folgen für die Region und die ganze Welt hätte. Bei allem Respekt, aber ich halte die politische Führung in Beijing für weitsichtig genug, sich nicht auf ein solches Va-Banque-Spiel einzulassen, das ausser Tod und Verwüstung nichts einbringen würde.

Aber nun zu den von mir im Vorfelde erwähnten besonderen Umständen auf der Koreanischen Halbinsel. Seit 1945 ist Korea entlang des 38. Breitengrades geteilt und insbesondere in Deutschland glauben viele Menschen aufgrund der eigenen geschichtlichen Erfahrungen mit der Teilung ihres Landes fälschlicherweise, die Situation, in der sich Korea noch heute befindet, besser beurteilen zu können als andere. Das halte ich jedoch für eine falsche Vorstellung von der Wahrheit, denn die Teilung Koreas ist um vieles radikaler als sie es in Deutschland jemals war. Ich möchte das anhand einiger Beispiele verdeutlichen.

1. Personenverkehr
Zwischen der BRD und West-Berlin einerseits und der DDR gab es einen regen Personenverkehr. Zwar fand dieser vorwiegend in Form von Besuchen von Bürger/inne/n der BRD und West-Berlins in der DDR statt, aber dennoch bestand selbst für Bürger/innen der DDR die Möglichkeit, in die BRD zu reisen auch wenn dafür im Vorfelde hohe bürokratische Hürden zu überwinden waren und die erforderlichen Genehmigungen nicht immer erteilt wurden. Fakt ist jedenfalls, dass die Menschen aus West- und Ostdeutschland in Kontakt treten und sich austauschen konnten. Notfalls halt beim Sommerurlaub am Balaton (Plattensee) in Ungarn. Hingegen gibt es zwischen der DVR Korea und der Republik Korea prinzipiell keinerlei Personenverkehr. Prinzipiell sage ich deshalb, weil seit einigen Jahren für Bürger/innen der Republik Korea die Möglichkeit besteht, das Kumgang-Gebirge in der DVR Korea zubesuchen. Hierbei wird allerdings seitens der nordkoreanischen Behörden penibelst darauf geachtet, dass es zu keinerlei Kontakten mit der einheimischen Bevölkerung kommt. Da es abgesehen von der Nomenklatura den normalen Bürger/innen der DVR Korea nicht gestattet ist ins Ausland zu reisen, besteht auch keine legale Möglichkeit, dass sich Nord- und Südkoreaner/innen in Drittländern treffen.

2. Post- und Fernmeldewesen
Bürger/innen der BRD, West-Berlins und der DDR hatten die Möglichkeit sich gegenseitig Briefe bzw. Pakte zu schicken und miteinander telephonisch in Kontakt zu treten (auch wenn gelegentlich das MfS mitlauschte). Zwischen der DVR Korea und der Republik Korea existiert hingegen keinerlei Postverkehr und Telephonverbindung.

3. Elektronische Massenmedien
Selbst wenn man berücksichtigt, dass in den elektronischen Massenmedien der DDR eine tendeziöse Berichterstattung aus der Sicht des SED-Regimes betrieben wurde, so fand doch auch eine umfassende Information über das Weltgeschehen statt. Darüberhinaus hatten die Bürger/innen der DDR, vom sogenannten 'Tal der Unwissenden' im Raum Dresden einmal abgesehen, wo der Empfang von Westfernsehen nicht möglich war, die Alternative, sich über über westdeutsche Fernseh- und Rundfunksender zu informieren. Man kann also ohne Übertreibung behaupten, dass die Menschen in DDR über das aktuelle Weltgeschehen im Bilde waren. In Korea ist die Situation eine völlig andere. Während in der Republik Korea eine vielfältige Medienlandschaft unter den Bedingungen der Presse- und Meinungsfreiheit gedeiht und der Durchdringungsgrad der Gesellschaft mit Internetanschlüssen selbst jenen in der BRD übertrifft, sind die Medien in der DVR Korea gleichgeschaltet und fungieren lediglich als ideologische Waffe der PdAK gemäss der Juche-Ideologie um die Bevölkerung mit Propaganda zu berieseln. Wer sich ein Bild von der nordkoreanischen Berichterstattung machen möchte, dem empfehle ich wärmstens die englischsprachige Online-Ausgabe der Korean Central News Agency (KCNA) unter [Links nur für registrierte Nutzer], die in Japan gehostet wird. Nachrichten über das aktuelle Weltgeschehen spielen in den Medien der DVR Korea übrigens so gut wie gar keine Rolle. Fernsehgeräte und Rundfunkempfänger in der DVR Korea sind zudem angeblich so konstruiert, dass damit nur nordkoreanische Sender empfangen werden können. Zur Verdeutlichung der Situation im Bereich der Kommunikation möchte ich an dieser Stelle noch einiges Zahlenmaterial anfügen (Quelle: dtv Jahrbuch 2004, München 2003, S. 253 und S. 255).

In der DVR Korea kommen auf 1.000 Einwohner/innen:
- 154 Rundfunkempfänger
- 59 Fernsehgeräte
- 46,4 Telephonanschlüsse
- 0 (sic!) Internetanschlüsse

In der Republik Korea kommen auf 1.000 Einwohner/innen:
- 1.034 Rundfunkempfänger
- 363 Fernsehgeräte
- 608,4 Telephonanschlüsse
- 510,7 Internetanschlüsse

Anm.: Nun mag der User Genosse Ulbricht vielleicht behaupten, dass es genau anders herum wäre, aber darauf, um mal polemisch zu werden, backe ich mir ein Ei! Apropos Genosse Ulbricht, wo steckt der eigentlich? Jedenfalls hat er sich bisher noch nicht zu meinen nordkoreakritischen Beiträgen geäussert. Na ja, vielleicht hat der ja endlich um politisches Asyl in der DVR Korea angesucht und bereut es schon

Zusammenfassend muss man also sagen, dass die Bürger/innen der DVR Korea durch die extreme Form der Abschottung des Landes nach Aussen wohl nur über einen äusserst geringen bis gar keinen Kenntnisstand über die Situation in der Welt ausserhalb der DVR Korea verfügen. Manchmal bezweifele ich, ob die Menschen in Nordkorea überhaupt wissen, dass 1969 der erste Mensch auf dem Mond war (das mag übertrieben sein). Welche Konsequenzen hat nun also diese schon seit über fünfzig Jahren andauernde totale Abschottung der Bürger/innen Nordkoreas von äusseren Einflüssen für die weitere Entwicklung der DVR Korea?

Ich glaube, dass all jene, die sich ernsthaft mit der Problematik in der DVR Korea auseinandersetzen, sich prinzipiell darin einig sind, dass sich das Regime in P'yongyang öffnen muss um sich Zugang zu jenen Dingen zu verschaffen, die es zur Sanierung seiner verrotteten Volkswirtschaft dringend benötigt, also Kapital, moderne Technologien und ausländische Investitionen. Zwar hat es den Anschein, dass der 'Geliebte Führer' Kim Jong-Il diese Tatsache langsam begriffen hat, aber das ganze hat für ihn natürlich einen ganz erheblichen Haken, denn er muss im Interesse des eigenen Machterhalts alles daran setzen um zu verhindern, dass fremdes Gedankengut in seine Bastion der Juche-Ideologie einsickert und die Bevölkerung mit dem Virus von Kapitalismus und Freiheit infiziert wird. Ein wahrhaft schwieriges Unterfangen, denn man kann schwer abschätzen, wie ein Volk reagiert, dass sich plötzlich der Tatsache bewusst wird, dass es über fünfzig Jahre auf das übelste belogen und betrogen wurde. Ein gewaltsamer Regimewechsel bei dem viel Blut vergossen und Rache geübt wird, wäre aus meiner Sicht eine denkbare Folge.

Derzeit wird von südkoreanischen Firmen in der Nähe der nordkoreanischen Stadt Kaesong, die nahe der DMZ gelegen ist, ein Industriepark errichtet, sprich eine Sonderwirtschaftszone, in der in naher Zukunft nordkoreanische Arbeiter/innen Produkte für den südkoreanischen Markt produzieren werden und das zu Löhnen, die nur einen Bruchteil jener in der Republik Korea betragen. Für jeden orthodoxen Marxisten-Leninisten muss das eine bittere Pille sein, denn das bedeutet in letzter Konsequenz, dass das Regime in P'yongyang kapitalistische Ausbeutung im eigenen Land zulässt. Wie aber will sie diesen Kurswechsel ohne Gesichtsverlust verkaufen?

In der im Nordwesten, direkt an der Grenze zur VR China gelegenen Stadt Sinuiju war ebenfalls eine Sonderwirtschaftszone, unter anderem mit Casinos für die für ihre Spielsucht bekannten Chinesen, geplant. Im Rahmen dieses Projekts sollte die Bevölkerung der gesamten Stadt im grossen Stil umgesiedelt werden und durch absolut loyale und linientreue Bürger/innen, die resisdent gegenüber den Verlockungen der westlichen Dekadenz sein sollen, ersetzt und die gesamte Stadt hermetisch vom Rest der DVR Korea abgeriegelt werden. Dieses Projekt eines nordkoreanischen Las Vegas scheiterte letztlich aber daran, dass der Investor, ein schwerreicher Chinese mit niederländischem und nordkoreanischem Pass, dem beste Beziehungen zu Kim Jong-Il nachgesagt wurden, wegen Steuerhinterziehungung in der VR China vor Gericht gestellt wurde.

Das zeigt nur allzu deutlich, dass das Regime in P'yongyang einzig und allein darauf bedacht ist, die für seinen eigenen Machterhalt vorteihaften Aspekte, also devisenbringende Produktionsstätten oder Spielcasionos zuzulassen, aber gleichzeitig nicht bereit ist sein Machtmonopol aus der Hand zu geben bzw. den ideologischen Überbau zurückzustutzen, denn die eigenen Untertanen könnten ja sonst auf 'dumme Gedanken' kommen. Eine gefährliche Gratwanderung wie ich meine, denn über kurz oder lang könnten diese Sonderwirtschaftschaftszonen doch dazu beitragen, das Regime der PdAK schrittweise zu schwächen oder gar ganz zu Fall zu bringen. Dass man dabei nach rumänischen Muster wie beim Sturz von Nicolae Ceausecu vorgeht, ist nicht ausgeschlossen.

Es stellt sich mir also die Frage, ob der jetzt eingeschlagene Weg in der DVR Korea mit ersten zaghaften marktwirtschaftlichen Mechanismen im Agrarsektor einerseits und Sonderwirtschaftszonen andererseits eher in Richtung eines langwierigen Reformprozesses führt, wie er in den letzten 25 Jahren in der VR China verfolgt wurde, also bei Beibehaltung eines autoritären Regimes mit Einparteiendiktatur oder ob es als Folge von Reformen zur Implosion der DVR Korea kommt. Letzteres ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen die im Rahmen der Vereinigung von BRD und DDR gemacht wurden, sicherlich nicht im Interesse der Republik Korea, da eine plötzliche Wiedervereinigung im dem Norden Südkorea angesichts des wesentlich ungünstigeren Bevölkerungsverhältnisses und des bei weitem grösseren Wohlstandsgefälles völlig überfordern würde. Zum Vergleich einige Zahlen, die diese Problematik verdeutlichen sollen.

Bundesrepublik Deutschland (inkl. West-Berlin) [1]:
- Bevölkerung: 62.200.000 (1989)
- BSP: $1.131.265.000.000 (1988)
- BSP je Einw.: $18.530 (1988)

Deutsche Demokratische Republik [1]:
- Bevölkerung: 16.434.000 (1989)
- BSP: ca. $190.000.000.000 (1986)
- BSP je Einw.: $9.361 (1988)

Republik Korea [2]:
- Bevölkerung: 47.645.000
- BSP: $447.700.000.000
- BSP je Einw.: $9.400

Demokratische Volksrepublik Korea [2]:
- Bevölkerung: 22.384.000
- BSP: $16.800.000.000
- BSP je Einw.: $757

Ein plötzlicher Zusammenbruch wäre aber nicht nur eine kaum zu meisternde Herausforderung für die Republik Korea sondern hätte sicherlich auch weitreichende Folgen für die Nachbarregionen. Vor allem die VR China, wo sich Schätzungen zufolge schon heute ca. 300.000 illegale Wirtschaftsflüchtlinge aus der DVR Korea aufhalten sollen, aber auch Japan sähen sich wahrscheinlich einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Nordkoreaner/inne/n ausgesetzt, die duch Flucht in diese Länder ihrem Elend zu entfliehen trachten. Da ich nicht glaube, dass ein plötzlicher Kollaps Nordkoreas mit all seinen unabsehbaren Folgen für die Region im Interesse der anliegenden Staaten ist, halte ich daher einen langsamen Reformprozess in der DVR Korea nach chinesischem Muster mit Unterstützung Südkoreas, der USA, Japans, Chinas und der Europäischen Union für wahrscheinlicher. Aber das ist natürlich nichts als reine Spekualtion und die Zukunft könnte zeigen, dass ich mich entschieden geirrt habe. Mich würde interessieren, wie ihr die aktuelle Lage und weitere Entwicklung in der DVR Korea einschätzt.

Bevor ich endlich mal zum Schluss komme (wie ihr sicherlich schon bemerkt habt, fällt es mir ein wenig schwer mich kurz zu fassen), wollte ich noch darauf hinweisen, dass das Goethe-Institut kürzlich einen Lesesaal in P'yongyang eröffnet hat, zu dem alle Bürger/innen der DVR Korea angeblich freien Zutritt haben sollen. Eine kleine Sensation: Denn dieser Lesesaal ist die erste westliche Kultureinrichtung auf nordkoreanischem Boden überhaupt! Weitere Einzelheiten könnt ihr in der Online-Ausgabe von DER SPIEGEL unter [Links nur für registrierte Nutzer] nachlesen.

So, jetzt aber endlich mal Schluss! Es ist mittlerweile schon fast 05:30 Uhr und eigentlich kann ich mir das Schlafengehen jetzt gleich sparen.

Mit übernächtigten Grüssen

Quellen
[1] Fischer Weltalmanach 1991, Frankfurt a.M. 1990, S. 152 und S. 252
[2] dtv Jahrbuch 2004, München 2003, S. 252 und S. 255-256