Sind WAHLEN Luxus? Sind Diktaturen ökonomisch effizienter? Oxtord-Professor Paul Collier zieht anhand nüchterner Statistik erstaunliche Schlüsse
Professor Collier, die Demokratie in Europa scheint an ihre Grenzen zu stollen. Griechenland paralysiert, Italien von Technokraten regiert, Regierun gen stürzen. Sie zeigen anhand von
Statistiken, dass die Demokratie nicht immer das beste System ist, zumindest für Entwicklungsländer.
Was ist so toll an der Diktatur?
Autokratien erzeugen sowohl die effektivsten als auch die grauenvollsten Regierungen. Im besten Fall lösen Diktaturen Probleme schnell. Sie müssen sich um keinen Konsens kümmern.
Aber Demokratie bringt Frieden.
Nicht unbedingt. Unsere Daten zeigen, dass bei niedrigem ProKopf-Einkommen Demokratien sogar zu mehr Gewalt führen als autoritäre Systeme. Wahlen erhöhen zum Beispiel in Ländern mit
vielen verschiedenen Völkern die Chance auf einen Bürgerkrieg.
Das zeigt die Statistik.
Wäre es also für Krisen-Europa einfacher, wenn es für eine gewisse Zeit keine Wahlen geben würde?
Das wäre ja absurd, die Demokratie abzuschaffen, um das Integrationsprojekt Europa zu retten.
Auch China zeigt, dass die Wirtschaft ohne Demokratie floriert.
China ist ein beeindruckendes Beispiel, wie ein autoritäres System ein Land aus der Armut fühle kann. Aber der Stabilitätsvorteil von autoritären Systemen gilt nur bis zu einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 2700 Dollar.
China liegt schon darüber, und .man könnte fragen: Wird der Boom Chinas bald enden - eben weil seine Führung nicht bereit ist, das Land zu demokratisieren?
Und doch: In Griechenland hat eine Kombination aus Krise und Wahlen zu einer verfahrenen Situation geführt. Bei den Neuwahlen ist mit noch Schlimmerem zu rechnen.
Die Demokratie ist nur so gut wie das Wissen der Bürger, auf denen sie aufbaut. Das System funktioniert nur, wenn eine kritische Masse der Bürger die Probleme versteht.
Und die fehlt in Griechenland?
Eine Antwort könnte sein: ja.Die andere: Griechen sind besonders clever. Mit der Wahl einer linksextremen Partei stärken sie die Verhandlungsposition ihres Landes. Sie setzen darauf, dass Europa ihr Land nicht fallen lässt, egal, was es kosten wird.
Liegt die Krise der Demokratie in der Struktur der EU begründet? Es geht immer mehr um europäische Themen - und wir stimmen darüber in nationalen Wahlen ab.
Leider kann man sich eine wirklich europäische Politik auch heute nur schwer vorstellen. Politik hängt stark ab von der Kommunikation zwischen Politikern und Wählern, und die vollzieht sich
nun mal über eine gemeinsame Sprache. Auch Deutschland bestand einmal aus 300 Kleinststaaten. Vor allem die gemeinsame Sprache und Mythologie halfen, dass sich das Land immer weiter
zusammenschließen konnte. In Frankreich erkannte man im 19. Jahrhundert, wie wjchtig eine einzige Sprache ist, und verbannte 'Regionalsprachenwie Bretonisch aus dem offlziellen Leben.
Was fehlt uns noch außer der gemeinsamen Sprache?
Eigentlich sind wir in Europa mehr so etwas wie ein Klub. Wir haben gemeinsame Werte, sind uns kulturell ähnlich. Aber Klubs sind nicht wirklich dafür gedacht, bei Vergehen gegen ihre Regeln -
und die braucht eine gemeinsame Wahrung - hart zu bestrafen.
Wer könnte das denn tun? Etwa der Internationale Währungsfonds. Das Beste für Griechenland wäre gewesen, die Situation dem IWF zu überlassen. Dann hätte sich die Wut der Mensehen gegen eine außenstehende Instanz gerichtet. So war das in Großbritannien, das in den 70er Jahren harte IWF-Auflagen akzeptieren musste. Heute zwingen einige europäische Staaten anderen technokratische Reformen auf und setzen damit die Demokratie de facto außer Kraft. Das bringt extreme Parteien nach oben.
Interview: Mare Goergen