Hier meine Wessi-Sicht:

Wer jemals vor der Wende im Osten gewesen war und mit den Menschen dort geredet hatte, wußte, daß das Deutsche sind wie wir im Westen auch, und daß die Teilung ein großes Unrecht war. Nach der Wende stellte sich sogar heraus, daß in mancherlei Hinsicht die sogenannten Ossis sich noch mehr an deutscher Kultur erhalten hatten als wir im Westen. Insofern war die Wiedervereinigung eine große Bereicherung für ganz Deutschland. Das empfinde ich auch heute noch immer wieder so, wenn ich ins Berliner Umland fahre oder beruflich mit (ehemaligen) Ossis zu tun habe. Selbst einige kleine Jungchen, die 15 Jahre jünger sind als ich, sprechen dort besser Deutsch als ich, zum Beispiel. Es ist auch leichter, dort Menschen zu finden, die mit den deutschen Klassikern einigermaßen vertraut sind.

Natürlich gibt es auch hier und da etwas zu meckern. Naturgemäß sind im Osten die bürgerlichen Umgangsformen etwas verlorengegangen, weshalb ich lieber hier in Wilmersdorf wohne als in Pankow. Sicherlich gehen den Ossis auch unsere Manierismen hier und da auf die Nerven. Aber das macht doch nichts: Ostfriesen, Bayern, Ruhrpöttler und Schwaben schaffen es ja auch irgendwie, in einem Land zusammenzuleben.

Daß die Wiedervereinigung für uns Wessis meist kein ökonomischer Gewinn war, ist sehr traurig, kann man aber den Ossis nicht anlasten. Es ist meiner Meinung nach eher unserem sklerotischen, sozialdemokratischen Wohlfartssystem geschuldet. 1990 dachten wir, unser System sei noch so frisch und dynamisch, wie es in den 50ern und 60ern mal war, wo es wohl wirklich keinerlei Probleme gehabt hätte, auch im Osten in Nullkommanix für blühende Landschaften zu sorgen, wie es das im Westen ja auch getan hatte. Wer die Zeit damals erlebt hat, weiß auch, daß die Ossis begeistert bereit waren, jetzt in die Hände zu spucken und ihr Land neu aufzubauen. Stattdessen bekamen sie aber nicht den freien Kapitalismus, den sie erwartet hatten, sondern unseren sozialdemokratischen, bürokratischen Moloch, der jede wirtschaftliche Tätigkeit im Keim erstickt. Da konnte ja nichts draus werden.

Aber diese Probleme sind nicht Probleme, die wir wegen der Ossis haben. Es sind Probleme, die wir schon lange vor der Wende hatten. Die Massenarbeitslosigkeit ist in den 70er Jahren entstanden, als die Sozialdemokraten Ludwig Erhards Erbe endgültig zerstörten, und in den 80er Jahren zementiert worden, als die Kohlschen Christdemokraten viel zu feige waren, irgendeine andere Politik zu betreiben als die Sozialdemokraten (wie heute auch. Die Merkel ist wirklich Kohls Schülerin).

Unsere Probleme sind also gemeinsame Probleme. Da hilft kein Ossi-Wessi-Hickhack, wir sitzen im selben Boot. Die Probleme sitzen im Reichstag, und wir sollten zusammen daran arbeiten, daß diese Probleme eines Tages Unter den Linden hängen, alle miteinander...