30.5.1945 In Brünn in Mähren beginnt ein Marsch von 25 000 Deutschen, die nach Österreich ausgewiesen werden sollen. Allein bei dieser menschenverachtenden Massenvertreibung kommen mehrere tausend Deutsche ums Leben.
Brünn bedauert die Vertreibung der Deutschen
Als erste tschechische Stadt hat die mährische Metropole Brünn vergangene Woche Donnerstag offiziell die Vertreibung deutscher Einwohner nach dem 2. Weltkrieg bedauert. Beinahe ein Jahr nachdem die tschechische Bürgervereinigung "Jugend für interkulturelle Verständigung" die Stadtoberen dazu aufgefordert hatte, ihr Schweigen zum berüchtigten Brünner Todesmarsch zu brechen, liegt damit ein erstes Ergebnis vor.
Am 30. Mai 1945 mussten Brünner Deutschen ihre Habseeligkeiten packen und sich am nächsten Tag auf dem Mendelsplatz in Brünn versammeln. Unter der Aufsicht gewaltbereiter tschechischer Milizen setzte sich von dort aus der Zug der deutschen Einwohner Brünns in Richtung ehemalige Ostmark in Bewegung. Insgesamt wurden ungefähr 25 000 Deutsche auf den "Todesmarsch" geschickt. Genaue Zahlen, wie vielen Menschen dieser Marsch das Leben kostete, liegen nicht vor. Die Angaben schwanken zwischen von bis zu 1500 Opfern. Es war wohl auch ein Ziel der vom Stadtrat vor einem Jahr eingesetzten Kommission, Licht in dieses Dunkel der Geschichte zu bringen und überdies die Verantwortlichkeit für die Tragödie festzustellen. Doch keins von beidem gelang so richtig.
Sudetendeutsche im Lager Wertheim
rechts einer dieser tschechischen Milizschergen in Räuberzivil
Augenzeugenbericht,von Lieselotte Meckes:
"Dann kam der 29. Mai, Vorabend vor dem Fronleichnamsfest 1945. Wir, Frauen und Alte, waren aus den Lagern entlassen worden, man schöpfte wieder etwas Hoffnung. An diesem Tag waren wir in unserer Stadtwohnung. Frau Malanik, eine tschechische Mitbewohnerin, eine liebe Frau übrigens, erzählte meiner Mutter, dass einige Tage vorher eine Kolonne deutscher Gefangener Richtung Bahnhof marschiert sei, bewacht von russischen Soldaten. Unter den Gefangenen habe sie meinen Vater erkannt, weil er sich immer wieder umgedreht und an der Häuserfassade hochgeblickt habe. Wohin deutsche Gefangene transportiert wurden, war kein Geheimnis.Dass meine Mutter darüber sehr unglücklich war, ist verständlich. Erst Opa-Heinrich im Lager, Aufenthalt unbekannt, und jetzt auch noch mein Vater in russischer Gefangenschaft. Übrigens war es auch Frau Malanik, die Jahre später das Grab meines Großvaters auf dem Brünner Zentralfriedhof ausfindig machte. Sie fand den Namen Heinrich Schimek auf der Liste der in diesem Grab befindlichen Sträflingen aus Mirau.Doch an jenem Abend des 29. Mai 1945 blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken. Am späten Nachmittag erhielt die deutsche Bevölkerung Abmeldeformulare. Da Staatspräsident Benesch nach Brünn kam, sollten die Deutschen für drei Tage die Stadt verlassen. Angeblich zur Sicherheit des Herrn Benesch, damit von Seiten der Deutschen kein Attentat auf ihn ausgeübt werden konnte. Welch lächerliche, fadenscheinige Ausrede für ein geplantes grausames Verbrechen. Von den Beamten des „Narodní výbor“ wurden wir aufgefordert uns bis 21 Uhr an bestimmten Sammelplätzen in den verschiedenen Stadtteilen einzufinden. In der Hauptsache waren es Frauen, Kinder, alte und kranke Leute. Viele ahnten sicher nicht, dass es ein Abschied für immer sein würde. Meine Mutter meinte jedoch, man muss sich nicht abmelden, wenn man nur drei Tage weggeht, wir kommen nicht mehr zurück. Sie hatte Recht.Mitnehmen durfte man, was man tragen konnte. Es war mitten im Frühsommer, der in diesem Jahr sehr warm war, doch meine Mutter bestand darauf auch Wintermäntel, warme Kleidung und Wolldecken mitzunehmen. Und vor allen Dingen die restlichen Lebensmittel, und das waren etwas Brot, Schmalz und Marmelade.Dann ging es zum Sammelplatz an der Wiener-Gasse - Ecke Feldgasse. Die Hausfrau meiner Eltern, Frau Hasl, machte meine Mutter darauf aufmerksam, dass im Treppenhaus noch der Kinderwagen der Familie Wochele aus dem dritten Stock stand, die schon vor Tagen mit Militärfahrzeugen der deutschen Wehrmacht geflüchtet war. Also eilte meine Mutter zurück und holte diesen Kinderwagen. Da hinein packten wir unsere zwei Koffer, einen Rucksack und das Gepäck meiner Großmutter. Für meinen Lieblingsteddy war kein Platz mehr. Er musste zurückbleiben. Es dauerte übrigens bis Weihnachten 1951 bis ich wieder einen ähnlichen Teddybär bekam. Ich habe ihn heute noch, und sogar meine Enkelkinder betrachten ihn respektvoll nur aus der Ferne.Dann setzte sich der endlose Trauerzug in Bewegung begleitet von Spottgebärden und hämischen Zurufen der Tschechen. Angetrieben wurden wir von jungen bewaffneten tschechischen Partisanen.Vorbei gings am Zentralfriedhof zunächst zu einer ausserhalb der Stadt befindlichen Polizeistation. Eine sogenannte „ärztliche Untersuchung“ sollte dort stattfinden. Angebliche Ärzte waren jedoch russische Offiziere männlichen und weiblichen Geschlechts, die, unterstützt von Tschechen, den verängstigten Menschen noch die letzten Wertgegenstände wegnahmen. Meine Mutter und meine Großmutter mussten ihre Armbanduhren hergeben. Auf Uhren waren die Russen besonders scharf. Meine Mutter verlor dabei auch ihren Ehering.Weigerte man sich, so drohten sie den Finger abzuschneiden. Oma hatte ihren im Mantelsaum eingenäht und somit gerettet. Später schenkte sie ihn meiner Mutter.Und weiter mussten wir Richtung Pohrlitz. Immer wieder wurden die Leute brutal von den Partisanen angetrieben. Wer nicht schnell genug vorwärtskam, wurde zusammengeschlagen. Der Morgen brach an, und immer noch wurden wir wie eine Herde Vieh vorwärtsgetrieben. Es war der 30. Mai 1945, Fronleichnam."