Überdosis Elend: Frankreichs Mittelmeer-Metropole ist Schauplatz eines Drogenkriegs. Zwei Politikerinnen wollen das Morden stoppen
Ich danke Gott, dass sie meinen Neffen nicht mit einem Maschinengewehr erschossen haben“, sagt Nora Preziosi, „sonst hätte ich im Leichenhaus sein Gesicht nicht mehr erkennen können.“
Ilias, den alle nur „Jojo“ nannten, starb mit 25 Jahren. Drogengangster hatten ihn im Frühjahr mit mehreren Pistolenschüssen exekutiert. „Direkt hier“, sagt die Tante – vor einem vierstöckigen Sozialbau in der elenden Cité Font-Vert im Norden Marseilles, in dem auch sie selbst aufgewachsen ist.
Nora Preziosi, 51, Tochter algerischer Einwanderer, gehört heute zu den führenden Politikern der zweitgrößten Stadt Frankreichs. Sie ist Beauftragte für Familie und Frauen. 2014 will sie Bürgermeisterin für die Sarkozy-Partei UMP werden und alles tun, damit Marseille nicht länger Frankreichs Hauptstadt des Verbrechens bleibt. „Ich halte es nicht mehr aus, die Mütter der vielen Ermordeten weinen zu sehen“, sagt sie.
„La Zone“ nennen die Einwohner Marseilles die fünf Arrondissements im Norden ihrer Stadt. Die Behörden haben die Viertel als „prioritären Sicherheitsbereich“ deklariert. In die gefährlichsten Ecken wagen sich viele Kranken- und Feuerwehrwagen nur mehr mit Begleitschutz. Hier liegt die Jugendarbeitslossenquote bei 50 Prozent, etwa drei Viertel der Bewohner sind Muslime, zwei Drittel der Jugendlichen brechen die Schule ab. Neukölln würde hier kaum jemand als Problemviertel bezeichnen.
Mehr als 9000 bewaffnete Raubüberfälle registrierte die Polizei im vergangenen Jahr. „Es wird wild mit großem Kaliber in der Gegend rumgeknallt“, berichtet Jean-Marie Allmand von der Polizeigewerkschaft Alliance. „In Marseille gibt es mehr Kalaschnikows als in Kabul.“ Staatsanwalt Jacques Dallest stöhnt: „Das ist hier wie in ,Scarface´.“ Wie in Brian de Palmas brutalem Miami-Thriller aus dem Jahr 1983.
Weiter unter:
[Links nur für registrierte Nutzer]
*****
Haben wir bald in Europäischen Großstätten Zustände wie in den USA