Vier Gründe gegen eine Freihandelszone mit den USA
Politik und Wirtschaft schwärmen von einer amerikanisch-europäischen Freihandelszone. Dabei gibt es mindestens vier gute Gründe, die Finger davon zu lassen. Europa würde sich nur selbst schwächen.
Sie wurden NTA und NTMA abgekürzt, TAD, TED und Tafta: lauter Initiativen, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Amerika und Europa vertieft werden sollten; lauter Initiativen, die wieder in der Versenkung verschwanden.
Nun gibt es wohl bald den nächsten Anlauf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will ein transatlantisches Freihandelsabkommen "proaktiv" vorantreiben, der amerikanische Vizepräsident Joe Biden äußerte sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende wohlwollend, von Barack Obama wird erwartet, dass er am kommenden Dienstag bei seiner Rede zur Lage der Nation sein "Go" gibt.
Industrielobbyisten beiderseits des Atlantiks hält es vor lauter Vorfreude kaum mehr auf ihren Stühlen. "Jetzt haben wir ein Zeitfenster, Verhandlungen aufzunehmen", jubelt Ulrich Grillo, der neue Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
Die Wirtschaft will es, die Politik macht mit, und im Prinzip ist Freihandel eine gute Sache. Dennoch spricht vieles dafür, auch der jüngsten Initiative mit großer Skepsis zu begegnen.
1. Ein schlechtes Signal für den Rest der Welt
Zölle spielen im transatlantischen Handel eigentlich nur noch deshalb eine Rolle, weil das Volumen des Güteraustausches so groß ist. Europas Chemieunternehmen haben 2010 für ihre Exporte in die USA fast 700 Millionen Euro an den amerikanischen Fiskus gezahlt. Doch der Zollsatz für die Lieferungen liegt bei durchschnittlich gerade einmal 2,25 Prozent.
Der Wegfall von Zöllen dieser Größenordnung mag Unternehmen entlasten – für einen gesamtwirtschaftlich spürbaren Wachstumseffekt wird er nicht sorgen. Dafür brauchte es einen Durchbruch dort, wo es gar nicht um Zölle geht, die Handelshürden aber dennoch beträchtlich sind.
Genau dort aber ist das Potenzial begrenzt – weil mächtige Interessenvertretungen wie die Agrarlobby sich zu wehren wissen und weil die Öffentlichkeit kaum mitziehen dürfte. So verhindern amerikanische Gesetze eine stärkere Harmonisierung bei der Zulassung von Medikamenten.
Europäer wollen kein Hormonfleisch oder Genmais aus den USA importieren. Amerikaner ihrerseits fürchten sich im Gegenzug vor Bakterien in natürlich produziertem Käse aus Frankreich oder importiertem Rindfleisch.
Wie groß die Meinungsunterschiede sind, hat sich bereits bei den Verhandlungen zu einer weiteren multilateralen Handelsliberalisierung gezeigt, die sich seit 2001 unter dem Namen "Doha-Runde" dahinschleppen. "Schon in der Doha-Runde haben sich Europäer und Amerikaner in Agrarfragen nicht einigen können. Wie wollen sie es jetzt schaffen?", fragt sich Wirtschaftsprofessor David Vogel von der Universität von Kalifornien.
"Ich sehe nicht, worauf sich die USA und die EU in der Agrarpolitik einigen wollen", sagte auch Jagdish Bhagwati der "Welt am Sonntag". Bhagwati, ein aus Indien stammender Professor von der New Yorker Columbia University, zählt zu den angesehensten Handelsexperten weltweit.
Wenn überhaupt, dürfte ein transatlantisches Freihandelsabkommen löchrig ausfallen – und das ist ein Problem. Das multilaterale Handelssystem unter dem Dach der Welthandelsorganisation WTO sieht nämlich im Grundsatz vor, dass die Mitglieder ihre Handelspartner nicht diskriminieren dürfen – eine Maßnahme, die nicht zuletzt kleine und schwache Länder schützen soll.
Bilaterale Freihandelsabkommen sind daher nur in engen Grenzen erlaubt, unter anderem sollen sie umfassend sein, ähnlich wie die Europäische Union mit ihrem Binnenmarkt es ist. Mit einer halb garen Einigung zwischen EU und USA würden ausgerechnet die beiden mächtigsten Handelsblöcke der Welt "ein schlechtes Vorbild für andere Freihandelszonen" abgeben, warnt Rolf Langhammer von Institut für Weltwirtschaft in Kiel.
2. Dritte werden benachteiligt
Wenn Europa und die USA sich untereinander auf eine Liberalisierung ihres Handels einigen, werden automatisch alle anderen diskriminiert. Die Gefahr ist groß, dass am Ende nur Handelsströme umgeleitet werden, statt dass neue entstehen. Zudem könnte der Rest der Welt ein transatlantisches Abkommen "als Ausschluss verstehen, vielleicht sogar als eine Erpressung zulasten Dritter", klagt Langhammer.
Im Berliner Wirtschaftsministerium betont man genau deshalb, die Europäer würden dafür sorgen, dass das Abkommen offen für den Beitritt weiterer Länder bleibe.
Ein einmal mühevoll abgeschlossenes Abkommen dürfte aber für neue Teilnehmer kaum wieder aufgeschnürt werden, letztlich wird nach dem Friss-oder-stirb-Prinzip verfahren werden. "Offenen Regionalismus gibt es nicht", sagt Langhammer. Entsprechende Ansätze, etwa im Zusammenhang mit dem pazifischen Verbund Apec, seien bei diesem Versuch gescheitert.
3. Todesstoß für "Doha"
Die Doha-Runde steckt fest, ob sie jemals zum Abschluss gebracht werden kann, ist fraglich. Politiker beiderseits des Atlantiks hoffen, dass ein transatlantisches Abkommen die multilateralen Verhandlungen wieder ins Laufen bringen wird, weil andere Staaten unter Druck gesetzt werden.
Doch es kann mindestens ebenso gut das Gegenteil passieren, weil der Schulterschluss zwischen EU und den USA das Signal aussendet, nun breche endgültig das Zeitalter bilateraler Handelsabkommen an. Mit jedem neuen Abkommen aber wird der Welthandel insgesamt im Zweifel nicht freier, sondern komplizierter und unübersichtlicher.
Jagdish Bhagwati sieht zudem die Gefahr, dass Europa als treibende Kraft einer späteren multilateralen Handelsliberalisierung ausfiele: "In der Doha-Runde waren die USA die Bremser und die Europäer die Antreiber." Nach Abschluss eines transatlantischen Liberalisierungsvertrags dagegen, befürchtet Bhagwati, "müssten die Europäer stärker auf die Interessen der USA und ihrer Lobbygruppen achten".
4. Konzentration auf den falschen Handelspartner
In den vergangenen Jahren hat der transatlantische Handel stark zugelegt, gerade deshalb machen Industrieverbände hier wie dort Druck auf die Politik, das Abkommen voranzutreiben. Doch die Musik spielt künftig woanders, in Asien, in Lateinamerika.
Weltwirtschaftsexperte Langhammer befürchtet, ein transatlantischer Zusammenschluss werde Europa per Saldo sogar schaden, weil er zulasten der Wirtschaftsbeziehungen mit den Schwellenländern geht.
Ähnlich sieht es Jagdish Bhagwati. Gerade aus europäischer Sicht sei das ganze Projekt "keine gute Idee", glaubt der Amerikaner. Europa sei in Handelsfragen deutlich flexibler als die USA; durch die EBA-Initiative, dank derer die ärmsten Länder mit Ausnahme von Waffen zollfrei Produkte nach Europa exportieren können, genössen die Europäer größeres Wohlwollen.
"Diesen Wettbewerbsvorteil würde sich Europa durch ein transatlantisches Abkommen nehmen", warnt Bhagwati. "Die EU sollte die Pläne deshalb begraben. Sonst schwächt sie sich nur selbst. Und die Entwicklungsländer sind ohne ein solches Abkommen ohnehin besser dran."
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