Zitat von
Ansuz
Ich erlaube mir, das hier noch mal einzustellen:
Salman Rushdie, den man schwerlich als Radikalmusel bezeichnen kann, schrub in "Scham und Schande", Seite 159:
"Vor nicht allzu langer Zeit ermordete im Londoner East End ein pakistanischer Vater sein einziges Kind, eine Tochter, weil sie durch ihre Liebe zu einem weißen Jungen solche Schande über die Familie gebracht hatte, daß nur Blut den Makel tilgen konnte. Die Geschichte war noch tragischer wegen der tiefen und unbestreitbaren Liebe des Vaters zu seinem hingemetzelten Kind und des viel kritisierten Widerstrebens seiner Freunde und Verwandten ( alles "Asiaten", um den verwirrenden Terminus aus jener schweren Zeit zu benutzen), sein Tun zu verurteilen. Trauervoll erklärten sie vor Radiomikrofonen und Fernsehkameras, daß sie die Haltung des Mannes verstünden, und sie traten auch dann noch für ihn ein, als sich herausstellte, daß das Mädchen in Wirklichkeit nie mit seinem Freund "aufs Ganze gegangen" war. Die Geschichte entsetzte mich, als ich sie hörte, entsetzte mich auf nur zu verständliche Weise. Ich war kurz zuvor selbst Vater geworden und konnte so zum erstenmal ahnen, welche übermenschliche Kraft es braucht, damit ein Mann das Messer gegen sein eigenes Fleisch und Blut erheben kann. Aber noch mehr entsetzte mich die Erkenntnis, daß auch ich, wie die interviewten Freunde und so weiter, Verständnis für den Mörder hatte. Wir, für die von Kind an Ehre und Schande zum täglichen Brot gehörten, können noch erfassen, was Völkern, die im Zeitalter nach dem Tode Gottes und der Tragödie leben, unvorstellbar erscheinen muß: daß Männer das, was ihnen am teuersten ist, auf dem unerbittlichen Altar ihres Stolzes opfern."
(Fettungen von mir.)