Die Dynamik der Psyche
Soviel zunächst zu den Inhalten der Psyche. Jetzt wenden wir uns ihrer Funktionsweise zu. Jung spricht von drei Prinzipien, beginnend mit dem Prinzip der Gegensätze. Jeder Wunsch legt sofort sein Gegenteil nahe. Wenn ich zum Beispiel einen guten Gedanken habe, kann ich nicht anders, als auch das schlechte Gegenteil zu denken. Hier handelt es sich um eine grundlegende Feststellung:
um eine Vorstellung vom Guten zu haben, muss auch eine Vorstellung vom Bösen vorhanden sein, gleichfalls gibt es weiß nicht ohne schwarz oder hinauf nicht ohne hinunter. Als ich elf Jahre alt war, kam mir diese Einsicht: Ich versuchte manchmal, armen unschuldigen Waldlebewesen zu helfen, die sich verletzt hatten – oft hatte ich dabei Sorge, sie versehentlich zu töten. Einmal wollte ich ein Rotkehlchenküken gesund pflegen. Als ich es in die Hand nahm, war ich so verwundert, wie leicht es sich anfühlte, dass mir der Gedanke kam, wie leicht es wäre, das Küken einfach in meiner Hand zu zerdrücken. Mir gefiel dieser Gedanke überhaupt nicht, und doch hatte sich der Gedanke eingeschlichen.
Gemäß Jungs Theorie erzeugen Gegensätzlichkeiten die Kraft (oder Libido) der Psyche. Ähnlich wie bei den beiden Polen einer Batterie, oder bei der Spaltung eines Atoms. Der Kontrast gibt Energie ab, ein starker Kontrast erzeugt viel Energie und ein schwacher nur wenig. Das zweite Prinzip ist das Prinzip der Äquivalenz. Die Energie, die aus den Gegensätzen hervorgeht, wird gleichmäßig auf beide Seiten verteilt. Als ich also das Vogelbaby in der Hand hatte, gab es Energie, mich um das kleine Wesen zu kümmern um ihm zu helfen. Eine gleiche Menge Energie aber war vorhanden, das Küken einfach zu zerdrücken. Ich versuchte aber, ihm zu helfen, so dass die Energie in die verschiedenen Handlungen einfloss, mit denen ich den Vogel retten wollte. Doch was geschieht mit der anderen Energie?
Nun, das ist von Ihrer Einstellung zu dem Wunsch, dem Sie nicht nachgegeben haben, abhängig. Erkennen Sie diesen anderen Gedanken an, konfrontieren Sie sich mit ihm, machen Sie ihn dem bewussten Denken zugänglich, dann wirkt die Energie sich zu einer allgemeinen Verbesserung Ihrer Psyche aus. Anders ausgedrückt: Sie wachsen. Geben Sie aber vor, diesen bösen Wunsch nie empfunden zu haben, wenn Sie ihn unterdrücken und leugnent, dann trägt die Energie zur Ausbildung eines Komplexes bei. Ein Komplex ist ein Muster unterdrückter Gedanken und Empfindungen, die sich um ein archetypisches Thema herum zusammenballen. Wenn Sie leugnen, jemals daran gedacht zu haben, den kleinen Vogel einfach zu zerdrücken, mag es sein, dass Sie dem Gedanken so letztlich die Form eines Schattens geben (Ihrer "dunklen Seite"). Oder wenn ein Mann seine emotionale Seite verleugnet, kann es sein, dass seine Emotionalität in den Anima-Archetypen eingeht und so weiter..
Und hier tauchen nun die Schwierigkeiten auf: Wenn Sie Ihr ganzes Leben lang vorgeben, nur gut zu sein, wenn Sie so tun, als könnten Sie überhaupt nicht lügen, stehlen und töten, dann geht Ihre andere Seite bei jeder guten Tat in einen Komplex um den Schatten herum ein. Dieser Komplex entwickelt dann ein Eigenleben und er wird Sie verfolgen. Sie leiden zum Beispiel an Alpträumen, in denen Sie auf Vogelküken herumtrampeln! Wenn dies lange genug so weiter geht, kann der Komplex auch die Macht an sich reißen, von Ihnen Besitz ergreifen – und Sie haben am Ende eine multiple Persönlichkeit.
In dem Film The Three Faces of Eve porträtiert Joanne Woodward eine sanftmütige liebe Frau, die plötzlich feststellt, dass sie samstags ausging und wie wild Partys feierte. Sie rauchte nicht, fand aber Zigaretten in ihrer Handtasche; sie trank nicht, und wachte doch mit einem Kater auf; sie war eher bieder, und fand sich in sexy Outfits wieder. Eine multiple Persönlichkeit ist selten, doch sie enthält tatsächlich derartig kontrastreiche Extreme.
Das letzte Prinzip ist das Prinzip der Entropie. Dabei handelt es sich um die Neigung, dass unsere Gegensätze zusammenkommen, wobei die Energie im Laufe eines Lebens stetig abnimmt. Jung entlehnt diesen Begriff aus der Physik, dort wird unter Entropie die Tendenz verstanden, dass alle physikalischen Systeme herunterfahren", alle Energie verteilt sich gleichmäßig. Steht eine Wärmequelle in einer Ecke des Raumes, wird nach und nach der ganze Raum gleichmäßig warm.
Während unserer Jugend sind die Gegensätze in uns eher extrem ausgeprägt, somit haben wir eher viel Energie.
In der Adoleszenz überzeichnen wir die Unterschiede zwischen männlich und weiblich – Jungen versuchen, harte Machos zu sein und Mädchen extrem feminin. Somit fließt sehr viel Energie in ihre sexuellen Aktivitäten! Und Adoleszente pendeln häufig von einem Extrem zum anderen, eben noch waren sie wild und verrückt und eine Minute später entdecken sie die Religion für sich. Während wir alter werden, kommen wir auch mit unseren unterschiedlichen Facetten besser zurecht. Wir sind etwas weniger naiv-idealistisch und stellen fest, dass wir alle eher eine Mischung von gut und böse in uns haben. Wir fühlen uns vom anderen Geschlecht in uns nicht mehr so bedroht und werden androgyner. Auch physisch ähneln sich alte Männer und Frauen wieder mehr. Dieser Prozess, in dessen Verlauf wir uns über unsere Gegensätze erheben und beide Seiten unseres Seins wahrnehmen, wird als Transzendenz bezeichnet.
Das Selbst
Ziel des Lebens ist es, das Selbst zu erkennen. Das Selbst ist ein Archetyp, der die Transzendenz aller Gegensätze verkörpert, so dass jeder Aspekt Ihrer Persönlichkeit gleich zum Ausdruck kommt. Dann ist man weder-noch und sowohl als auch männlich und weiblich, weder-noch und sowohl als auch bewusst und unbewusst, weder-noch und sowohl als auch ein Individuum und die Gesamtheit der Schöpfung. Doch ohne Gegensätze gibt es keine Energie, man hört auf zu handeln. Natürlich muss man dann nicht länger handeln. Damit das alles nicht zu mystisch wird, stellen wir uns das Ganze als ein neues Zentrum vor, eine besser ausbalancierte Position und zwar für die eigene Psyche. Wenn Sie jung sind, konzentrieren Sie sich auf Ihr Ich und sorgen sich um die Trivialitäten der Persona. Wenn Sie älter sind, (vorausgesetzt Sie haben sich so entwickelt, wie es sein soll), konzentrieren Sie sich ein wenig mehr auf das Selbst, du fühlen sich so allen Menschen, allem Leben und selbst dem Universum näher. Jemand, der sein Selbst erkannt hat, ist somit im Grunde weniger selbstsüchtig.
Synchronizität
Persönlichkeitstheoretiker haben jahrelang diskutiert, ob psychologische Prozesse mechanisch oder teleologisch ablaufen. Mechanisch bedeutet in diesem Kontext, dass Dinge auf der Grundlage von Ursache und Wirkung funktionieren: Ein Vorgang führt zum anderen, der wieder einen anderen Vorgang anstößt und so weiter, somit determiniert die Vergangenheit die Gegenwart. Teleologisch bedeutet, dass wir von unseren Vorstellungen eines zukünftigen Standes vorangetrieben werden, also durch Ziele, Zwecke, Bedeutungen, Werte und so weiter. Die mechanische Sichtweise ist eng mit Determinismus und Naturwissenschaften verknüpft. Teleologie hingegen ist mit dem freien Willen verbunden und inzwischen eine eher seltene Sichtweise geworden. Unter Philosophen, die sich mit Moral, Gesetz und Religion beschäftigen, ist diese Betrachtungsweise noch recht verbreitet – unter Persšnlichkeitstheoretikern natürlich auch.
Von den Wissenschaftlern, mit denen wir uns in diesem Buch beschäftigen, sind die Freudianer und die Behavioristen eher mechanistisch eingestellt, Neofreudianer, Humanisten und Existentialisten hingegen nehmen eher die teleologische Perspektive ein. Jung geht davon aus, dass beide Sichtweisen eine Rolle spielen. Er fügt eine dritte Alternative hinzu, die er als Synchronizität bezeichnet. Mit Synchronizität ist das Auftreten zweier Ereignisse gemeint, die weder ursächlich noch teleologisch miteinander zusammenhängen und doch in einem bedeutungsvollen Verhältnis zueinander stehen.
Einmal erzählte ein Klient einen Traum, in dem ein Skarabäuskäfer vorkam, als genau in diesem Moment ein solcher Käfer durchs Fenster in den Sitzungsraum flog. Manchmal träumen Menschen vom Tod einer geliebten Person und finden dann am nächsten Morgen heraus, dass diese Person zum Zeitpunkt des Traums tatsächlich gestorben ist. Oder Menschen nehmen den Telefonhörer, um einen Freud anzurufen und dieser Freund ist bereits in der Leitung.
Die meisten Psychologen würden derartige Vorkommnisse als Zufall bezeichnen oder versuchen uns zu erläutern, warum solche Ereignisse wahrscheinlicher sind, als wir annehmen würden. Jung hingegen glaubte, dies seien Anzeichen für unsere Verbindung zu anderen Menschen, zur Natur allgemein, und zwar mittels des kollektiven Unbewussten. Jung war sich nie wirklich klar über seinen eigenen religiösen Glauben. Doch die eher ungewöhnliche Vorstellung von Synchronizität kann leicht von der hinduistischen Sicht der Realität abgeleitet werden. Im hinduistischen Glauben betrachtet man die Gesamtheit der individuellen Egos wie Inseln im Meer: Wir schauen hinaus in die Welt und denken, wir wären separate Einheiten. Was wir nicht sehen, ist dass wir durch den Meeresgrund tief unter der Wasseroberfläche alle miteinander verbunden sind.
Die äußere Welt wird als Maya bezeichnet, das bedeutet Illusion, und sie wird verstanden als Gottes Traum oder Gottes Tanz. Das bedeutet, dass Gott sie erschafft, ohne dass sie eine Realität an sich hätte. Für unsere individuellen Egos verwendet der Hinduismus die Bezeichnung Jivatman, das bedeutet individuelle Seelen. Doch auch sie sind eine Art von Illusion. Im Grunde sind wir nämlich alle Ausdehnungen des Einen und Einzigen Atman, oder Gott, der es kleinen Teilen seiner Selbst erlaubt, seine Identität zu vergessen und scheinbar separat und unabhängig zu werden, das sind dann wir. Doch wir sind nie wirklich getrennt. Wenn wir sterben, erwachen wir und erkennen, wer wir von Anfang an waren: Gott.
Wenn wir träumen oder meditieren, versinken wir in unser persönliches Unbewusstes, nähern uns immer mehr unserem wahren Selbst, dem kollektiven Unbewussten. Das sind andere Egos. Synchronizität macht Jungs Theorie letztlich zu einer der seltensten Theorien, die nicht nur parapsychologische Phänomene aufgreift, sondern sogar versucht, sie zu erklären!
Introversion und Extraversion
Jung hat eine Typologie der Persönlichkeit entwickelt, die so populär wurde, dass kaum jemand bemerkte, dass er noch weit mehr erarbeitet hat! Am Anfang steht die Unterscheidung von Introversion und Extraversion. Introvertierte Menschen bevorzugen ihre innere Welt der Gedanken, Empfindungen, Fantasien, Träume und so weiter, währen extrovertierte Menschen die äußere Welt der Dinge, Menschen und Aktivität bevorzugen. Diese Begriffe sind mit anderen Konzepten wie etwa Scheu und Geselligkeit durcheinander gebracht worden, zum Teil daher, weil introvertierte Menschen eher scheu und extrovertierte Menschen eher gesellig sind. Doch in Jungs Verständnis geht es darum, ob Sie (das Ich) sich öfter der Persona und der äußeren Realität zuwenden, oder dem kollektiven Unbewussten und den Archetypen. In diesem Sinne ist die introvertierte Person in gewisser Hinsicht reifer als die extrovertierte. In unserer Kultur jedoch schätzt man extrovertierte Menschen weit mehr.
Jung warnte, dass wir alle dazu neigen, die Ausprägung am höchsten zu bewerten, die unserer eigenen entspricht! Heute finden wir die Dimension introvertiert-extrovertiert in zahlreichen Theorien wieder, insbesondere bei Hans Eysenck, wenngleich sie oft hinter anderen Bezeichnungen wie Geselligkeit (sociability) und "surgency" verborgen ist.
Die Funktionen
Ob wir nun introvertiert oder extrovertiert sind, müssen wir doch alle mit der Welt umgehen, sowohl der inneren als auch der äußeren Welt. Und jeder von uns bevorzugt bestimmte Wege, wie er oder sie das tut, wie wir uns sicher fühlen oder womit wir uns gut auskennen. Jung geht davon aus, dass es vier grundsätzliche Wege oder Funktionen gibt:
Die erste Funktion ist die
Sinneswahrnehmung (sensing): Informationen werden über unsere Sinne aufgenommen. Eine Person, die diesen Weg bevorzugt, kann gut beobachten und zuhšren, generell die Welt kennen lernen. Jung nannte dies eine der irrationalen Funktionen, das bedeutet, es geht hier mehr um die Wahrnehmung als um die Bewertung von Informationen.
Der zweite ist das
Denken (thinking). Denken bedeutet, dass man Informationen oder Ideen rational, logisch auswertet. Jung bezeichnete dies als rationale Funktion, weil es darum geht, Entscheidungen zu treffen oder Bewertungen vorzunehmen, statt nur Informationen aufzunehmen.
Der dritte Weg ist die
Intuition (intuiting). Damit ist eine Art der Wahrnehmung gemeint, die außerhalb der gewohnten bewussten Prozesse stattfindet. Wie die Sinneswahrnehmung ist sie irrational oder perzeptual, stammt jedoch aus der komplexen Integration großer Informationsmengen, und nicht nur aus dem Gehörten oder Gesehenen. Jung sagte, es sei ähnlich wie ein Blick um die Ecke herum.
Der vierte Weg ist das
Fühlen (feeling). Wie das Denken ist das Fühlen eine Frage der Informationsauswertung, und zwar dadurch, dass man die eigene allgemeine emotionale Reaktion auswertet. Jung bezeichnet diesen Weg als rational, offensichtlich nicht im wörtlichen Sinne. Wir alle verfügen über diese Funktionen. Nur eben jeder in anderer Zusammensetzung, kšnnte man sagen. Jeder hat eine übergeordnete Funktion, die in uns am besten ausgebildet ist, eine sekundäre Funktion, derer wir uns bewusst sind, und die wir zur Unterstützung der bevorzugten Funktion verwenden, eine tertiäre Funktion, die nur etwas weniger gut ausgeprägt ist, dennoch aber nicht in vollem Umfang bewusst und eine untergeordnete Funktion, die nur gering ausgebildet ist und so weit unbewusst, dass wir ihre Existenz in uns leugnen könnten. Die meisten von uns entwickeln nur ein oder zwei dieser Funktionen, doch es sollte unser Ziel sein, alle vier auszubilden. Nochmals: Jung betrachtet die Transzendenz von Gegensätzen als Ideal.
Assessment
Katharine Briggs und ihre Tochter Isabel Briggs Myers empfanden Jungs Typologie als so klare Darstellung menschlicher Persönlichkeiten, dass sie sich entschlossen, auf dieser Grundlage einen Fragebogen zu entwickeln. Dieser wurde als
Myers-Briggs Type Indicator bekannt und zählt zu den beliebtesten und am meisten untersuchten Persönlichkeitstests.
Auf der Grundlage Ihrer Antworten auf etwa 125 Fragen werden Sie einem von sechzehn Typen zugeordnet, dabei ist es möglich, dass manche Menschen sich auch irgendwo zwischen zwei oder drei dieser Typen einordnen lassen. Zu welcher Typologie Sie dann zählen, sagt bereits einiges über Sie aus – Ihre Vorlieben und Abneigungen, wahrscheinliche Karrierentscheidungen, zu welchen Menschen Sie passen und ähnliches mehr. Die meisten Menschen mögen diesen Test sehr gerne, denn er ist längst nicht so verurteilend wie andere Tests: Keiner der Typen ist wirklich furchtbar negativ und es gibt auch keine überragend positiven Typen. Statt also zu erfassen, wie "verrückt" Sie sind, macht der "Myers-Briggs" Test Ihre Persönlichkeit nur weiteren Erkundungen zugänglicher.
Der Test hat vier Skalen. Extraversion – Introversion (E-I) ist die wichtigste Skala. Forscher, die mit diesem Test arbeiteten, fanden heraus, dass etwa 75 % der Bevölkerung extrovertiert ist. Dann die Wahrnehmung – Intuition Skala (Sensing - Intuiting (S-N)), hier ergab sich, dass etwa 75 % der Bevölkerung den Schwerpunkt auf Wahrnehmung legt.
Danach die Denken – Fühlen Skala (Thinking – Feeling (T-F)). Zwar verteilt sich hier das Ergebnis recht gleichmäßg, Forscher aber fanden heraus, dass zwei Drittel der Männer Denkende und zwei Drittel der Frauen Fühlende sind. Das klingt nach Stereotypen, doch erinnern wir uns, dass Fühlen und Denken von Anhängern der Jungschen Theorie gleichermaßen geschätzt werden, ein Drittel der Männer sind Fühlende und ein Drittel der Frauen sind Denkende. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Gesellschaft Denken und Fühlen anders bewertet, so dass fühlende Männer und denkende Frauen oftmals Schwierigkeiten im Umgang mit den stereotypierten Erwartungen der Menschen haben können.
Die letzte Einteilung, Beurteilen – Wahrnehmen (Judging – Perceiving (J-P)), ist keine von Jungs ursprünglichen Dimensionen. Myers und Briggs haben diese Unterscheidung hinzugefügt, um Aussagen darüber treffen zu kšnnen, welche der Funktionen eines Menschen nun die bevorzugte ist. Im Allgemeinen sind bewertende Menschen vorsichtiger in ihrem Leben. Wahrnehmende Menschen neigen dazu, spontaner, manchmal leichtfertiger, zu sein. Wenn Sie extrovertiert und "J" (für Judging) sind, sind Sie ein Denkender oder Fühlender, je nachdem, welche Funktion überwiegt. Extrovertiert und "P" (für Perceiving) bedeutet, dass Sie ein wahrnehmender oder intuitiver Typ sind. Andererseits ist ein introvertierter Mensch mit hohen Werten für "J" ein wahrnehmender oder intuitiver Typ, während ein intovertierter Mensch mit hohen Werten für "P" ein denkender oder fühlender Typ sein wird. Die Werte für J und P sind in der Bevölkerung gleichmäßig verteilt. Jeder Typ ist gemäß des Tests mit vier Buchstaben gekennzeichnet, wie etwa ENFJ. Diese Kürzel sind inzwischen so populär, dass sie sogar auf Nummernschildern auftauchen!
ENFJ (extroverted feeling with intuiting):
Diese Menschen sind gute Redner. Sie neigen dazu, ihre Freunde zu idealisieren. Sie sind gute Eltern, lassen sich aber ausnutzen. Sie sind gute Therapeuten, Lehrer, Beamte und Verkäufer.
ENFP (extroverted intuiting with feeling):
Diese Menschen lieben Neues und Überraschungen. Sie schwelgen in Emotionen und Ausdrucksformen. Sie neigen zu Muskelverkrampfungen und übermäßiger Wachsamkeit. Sie sind gut im Verkaufen, Werben, in Politik und Schauspiel.
ENTJ (extroverted thinking with intuiting):
Als Chefs zu Hause erwarten diese Menschen sehr viel von ihren Ehepartnern und Kindern. Sie schätzen Ordnung und Struktur und geben gute Beamte und Administratoren ab.
ENTP (extroverted intuiting with thinking):
Dies sind lebhafte Menschen, keinesfalls langweilig oder ordentlich. Als Partner sind sie insbesondere im ökonomischen Bereich ein wenig gefährlich. Sie kännen gut analysieren und geben gute Unternehmer ab.
ESFJ (extroverted feeling with sensing):
Diese Menschen schätzen Harmonie. Sie haben strenge moralische Vorstellungen. Sie können Abhängigkeiten entwickeln, erst von den Eltern, dann von den Ehepartnern. Sie tragen das Herz auf der Zunge und gehen in Servicearbeiten auf, die ihnen persönlichen Kontakt zu Menschen bieten.
ESFP (extroverted sensing with feeling):
Sehr grosszügige und impulsive Menschen, sie haben eine geringe Angsttoleranz. Sie sind gute Darsteller, mögen Öffentlichkeitsarbeit und lieben das Telefon. Sie sollten wissenschaftliche Projekte allerdings meiden, insbesondere Naturwissenschaften.
ESTJ (extroverted thinking with sensing):
Dies sind verantwortungsbewusste Partner und loyale Mitarbeiter. Sie sind realistisch, stehen mit beiden Beinen im Leben, sind ordentlich und lieben Traditionen.
ESTP (extroverted sensing with thinking):
Dies sind Menschen, die Action lieben, oft gebildet, manchmal rücksichtslos – unsere "James Bonds". Als Partner sind sie aufregend und charmant, doch es fällt ihnen schwer, Verpflichtungen einzuhalten. Sie geben gute Promoter, Unternehmer und Künstler ab.
INFJ (introverted intuiting with feeling):
Dies sind die ernsten Schüler und Mitarbeiter, die wirklich ihren Beitrag leisten wollen. Sie sind leicht verletzbar, geben gute Ehepartner ab, neigen jedoch dazu, physisch reserviert zu bleiben. Sie sind gute Therapeuten, Ärzte, Minister usw.
INFP (introverted feeling with intuiting):
Diese Menschen sind idealistisch, selbst-aufopfernd und irgendwie kühl oder reserviert. Sie sind sehr an der Familie orientiert, können sich aber nicht gut entspannen. Man findet sie in der Psychologie, Architektur und Religion, doch nie im Businessbereich. Sowohl Jung als auch ich bewundern diesen Typ. Natürlich sind sowohl Jung als auch ich vom Typ INFP!
INTJ (introverted intuiting with thinking):
Das sind die unabhängigsten aller Typen. Sie lieben Logik und Ideen und fühlen sich zu naturwissenschaftlicher Forschung berufen. Dennoch können sie auch eher unbeirrbar sein.
INTP (introverted thinking with intuiting):
aufrichtig, gedankenverloren und vergesslich, das sind die Leseratten. Sie sind sehr präzise in ihrem Sprachgebrauch, sind gut im Bereich Logik und Mathematik und geben gute Philosophen und theoretische Wissenschaftler ab, doch keine Schriftsteller oder Verkäufer.
ISFJ (introverted sensing with feeling):
Diese Menschen sind an Service und Arbeit orientiert. Sie leiden an Erschöpfung und werden von Unruhestiftern magisch angezogen. Sie sind gute Krankenschwestern, Lehrer, Sekretäre, Ärzte, mittlere Manager und Hausmeister.
ISFP (introverted feeling with sensing):
Sie sind scheu und zurückgezogen, nicht besonders gesprächig, lieben aber sinnliche Handlung. Sie malen, zeichnen, formen plastische Kunstwerke, komponieren, tanzen – sie mögen die Künste allgemein – und sie lieben die Natur. Sie sind nicht sonderlich pflichtbewusst.
ISTJ (introverted sensing with thinking):
Dies sind verlässliche Pfeiler der Stärke. Sie versuchen oft, ihre Partner und andere Menschen zu ändern. Sie sind gute Rechnungsprüfer, Bilanzbuchhalter, Steuerprüfer, Sportlehrer und Pfadfinder!
ISTP (introverted thinking with sensing):
Diese Menschen brauchen Action, sind furchtlos und sehnen sich nach Aufregung. Sie sind impulsiv und es ist gefährlich, sie stoppen zu wollen. Oft schätzen sie Werkzeuge, Instrumente und Waffen, sie werden oft technische Experten. Kommunikation interessiert sie wenig, so dass sie oft fälschlicherweise für dyslektisch oder hyperaktiv gehalten werden. Sie sind oft schlechte Schüler. Auch ohne den Test selbst gemacht zu haben, kann man sich in einem oder zwei der angeführten Typen wiedererkennen. Oder lassen Sie andere Menschen Sie einordnen – sie geben vielleicht eine zutreffendere Einschätzung ab.
Jungian Types Test (auch als PDF Download)
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Diskussion
Sehr viele Menschen halten große Stücke auf Jungs Theorie. Unter anderem zum Beispiel Schriftsteller, Künstler, Musiker, Filmemacher, Theologen, Geistliche aller Konfessionen, Menschen, die Mythologie studieren, und natürlich auch einige Psychologen. Mir fällt zum Beispiel der Mythologe Joseph Campbell ein, der Filmemacher George Lucas und die Science Fiction Autorin Ursula K. Le Guin. Jeder, der sich für Kreativität, Spiritualität, psychische Phänomene, das Universelle und ähnliches interessiert, wird in Jung einen verwandten Geist finden.
Doch Wissenschaftler, auch die meisten Psychologen, haben größere Schwierigkeiten mit Jung. Denn er unterstützt nicht nur die teleologische Sichtweise (wie auch die meisten Persönlichkeitstheoretiker), sondern Jung geht noch einen Schritt weiter und spricht von der mystischen Verbundenheit der Synchronizität. Er postuliert nicht nur ein Unbewusstes, das empirischen Untersuchungen nicht so einfach zur Verfügung steht, sondern er postuliert ein kollektives Unbewusstes, das nie bewusst war und auch nie bewusst sein wird.
Im Grunde nimmt Jung eine Zugangsweise ein, die genau gegenteilig verläuft, wie die Zugangsweise des Mainstream-Reduktionismus. Jung beginnt mit den höchsten Stufen – sogar mit Spiritualismus – und leitet die niedrigeren Stufen der Psychologie und Physiologie von der Grundlage dieser höheren Stufen ab. Doch auch Psychologen, die seiner Teleologie und antireduktionistischer Sichtweise Beifall spenden, kommen vielleicht nicht so gut mit seiner Theorie zurecht. Genau wie Freud versucht auch Jung, alles in sein System zu integrieren. Somit bleibt kaum Raum für Zufall oder Einwirkung äußerer Umstände. In Jungs Theorie scheint die Persönlichkeit – und das Leben insgesamt – "übermässig erklärt" zu sein.
Nach meiner Erfahrung ist seine Theorie besonders für Studenten attraktiv, die selbst Schwierigkeiten im Umgang mit der Realität haben. Wenn die Welt, insbesondere die soziale Welt, zu schwierig wird, ziehen sich manche Menschen in die Fantasie zurück. Einige werden zum Beispiel so genannte Couch Potatoes. Doch andere wenden sich komplexen Ideologien zu, die vorgeben, alles erklären zu können. Manche treten gnostischen oder tantrischen Religionen bei, wo es verschlungene Systeme von Engeln und Dämonen, Himmeln und Höllen gibt, wo Symbole endlos diskutiert werden. Andere wenden sich Jung zu. Daran gibt es nicht auszusetzen; doch für jemanden, der den Kontakt zur Realität verloren hat, wird dieses System nicht besonders hilfreich sein. Diese kritischen Anmerkungen entziehen Jungs Theorie natürlich nicht ihre Basis. Es geht nur darum, darauf hinzuweisen, dass man sich das Ganze auch eingehend überlegt.
Quelle:
PHD C. George Boeree: Persönlichkeitstheorien CARL GUSTAV JUNG
[ 1875 - 1961 ] Originaltitel: Personality Theories
Shippensburg University, USA. deutsche Übersetzung: D. Wieser M.A. 2006