Zitat von
Gärtner
EU-Politiker gehen gerne mit der Floskel hausieren, die Europäische Union sei alternativlos. Aber das stimmt nicht, der Konflikt um die Ukraine macht deutlich, daß es eine andere Möglichkeit gibt, Europa zu denken. Und sie hat ihre Unterstützer und Fans auch bei uns, in Westeuropa.
Moskau verfolgt dabei die Restauration des einstigen sowjetischen Imperiums. Natürlich erhält dieses Projekt einen zeitgemäß klingenden Namen, nämlich den einer eurasischen Integration. Dieses eurasische Projekt besteht aus zwei Teilen: der Schaffung einer Freihandelszone zwischen Rußland, der Ukraine, Weißrußland und Kasachstan und der Zerstörung der Europäischen Union durch eine Unterstützung der extremen Rechten in Europa. Die Ursachen sind aus Moskauer Sicht naheliegend. Das Putin-Regime ist abhängig vom Verkauf des Erdöls und Erdgases, die über Pipelines nach Westeuropa transportiert werden. Ein einiges Europa könnte unter dem Druck russischer Unberechenbarkeit zu einer gemeinsamen Energiepolitik finden. Ein uneiniges Europa bliebe dagegen abhängig von den russischen Energielieferungen. Einzelne Nationalstaaten wären fügsamer als die EU insgesamt - und leichter zu erpressen.
Aber kaum waren diese ehrgeizigen Ziele formuliert, zerschellte die stolze eurasische Pose an der Realität der ukrainischen Gesellschaft. Ende 2013 und Anfang 2014 führte der Versuch, die Ukraine in den eurasischen Machtbereich hereinzuholen, zum genau entgegensetzten Ergebnis. Zuerst brachte Rußland Janukowitsch mit politischen Mitteln davon ab, ein Handelsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Das führte zu Protesten in der Ukraine. Dann bot Rußland einen großen Kredit und günstige Gaspreise als Lohn für eine Zerschlagung des Protests an. Im Januar nach russischem Vorbild eingeführte Gesetze machten den Protest zu einer Massenbewegung. Millionen von Menschen, die sich zu friedlichen Demonstrationen versammelt hatten, wurden plötzlich zu Kriminellen gestempelt, und einige von ihnen begannen, sich gegen die Polizei zu wehren.
Im Endergebnis wurde die Revolution in der Ukraine nicht nur zu einem Desaster für die russische Außenpolitik, sondern auch zu einer Gefahr für das russische Regime im Inland. Die Schwäche der Putinschen Politik liegt darin, dass sie mit dem Handeln freier Menschen, die sich selbst organisieren, nichts anzufangen weiß. Ihre Stärke liegt in ihrem taktischen Geschick und ihrer ideologischen Schamlosigkeit. So wurde denn Eurasien sehr schnell modifiziert: Es war nun kein Club von Diktatoren mehr und der Versuch, die EU zu zerstören, sondern der Versuch, den ukrainischen Staat und die EU gleichermaßen zu destabilisieren. Die russische Propaganda stellte die ukrainische Revolution als Nazi-Staatsstreich dar und warf den Europäern vor, diese angeblichen Nazis zu unterstützen. Diese Version war zwar lächerlich, aber in Putins mentaler Welt weitaus komfortabler, weil sie das Debakel der russischen Außenpolitik aus dem Blickfeld rückte und die spontane Aktion der Ukrainer durch eine ausländische Verschwörung ersetzte.
Bei der Annexion der Krim bediente Putin sich bezeichnenderweise der Hilfe seiner extremistischen Verbündeten in ganz Europa. Keine angesehene Organisation durfte die Wahlfarce beobachten, bei der angeblich 97 Prozent der Einwohner der Krim für die Annexion stimmten. Aber eine bunt zusammengewürfelte Delegation aus rechtsgerichteten Populisten, Neonazis und Mitgliedern der deutschen Partei Die Linke war gerne bereit zu kommen und die Ergebnisse zu bestätigen. Die deutsche Delegation auf der Krim bestand aus vier Mitgliedern der Linken und einem Mitglied der Neuen Rechten – eine aufschlussreiche Kombination.
Die Linke agiert im Rahmen einer von der russischen Propaganda geschaffenen virtuellen Realität, die der europäischen Linken aus Moskauer Sicht die Aufgabe zuweist, die ukrainische, aber nicht die europäische und ganz gewiss nicht die russische Rechte zu kritisieren. So kann man dann - auch hierzuforum - den extremen Rechten bei der spannenden und auch unfreiwillig lächerlichen Aktion zuschauen, wie sie einerseits ihre weltanschaulichen Brüder der Faschisten und Neonazis in Kiew als Faschisten und Neonazis brandmarken, im selben Moment aber Partei für ihre Brüder, die Faschisten und Neonazis in Moskau ergreifen. Einer deren prominenter Akteure, Alexander Dugin, formuliert heute quasi die russische Außenpolitk mit.
Obwohl die russische Führung Hohn und Spott über ein Europa ausgießt, das sie als dekadenzgeschütteltes schwules Amüsierlokal darstellt, ist die Elite Rußlands doch auf allen erdenklichen Ebenen von der Europäischen Union abhängig. Ohne die Berechenbarkeit, Rechtstaatlichkeit und Kultur Europas könnten die Russen nirgendwo ihr Geld waschen, ihre Vorzeigeunternehmen gründen, ihre Kinder auf Schulen schicken oder ihre Ferien verbringen. Europa ist sowohl die Basis des russischen Systems als auch dessen Sicherheitsventil.
Wir Europäer sollten den Sowjets Russen gegenüber selbstbewußt auftreten - und einig.
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