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Thema: Europas Identität

  1. #1
    bernhard44
    Gast

    Standard Europas Identität

    heute hörte ich so nebenbei Radio und wurde aufmerksam, weil ungewohnte Sätze und Aussagen an mein Ohr drangen. Ungewöhnlich, weil nicht Mainstream und ungewöhnlich zu dieser Zeit kurz vor der Europawahl.
    Natürlich kann man das alles noch drastischer und konkreter ausdrücken, sicher ist da noch viel mehr zu sagen, aber es ist doch schon mal ein Denkanstoß, ein Kommentar abseits der täglichen "Europa ist toll und wir haben uns alle lieb weil wir gleich sind außer die Rechten"- Gesabber!
    ein Auszug:

    Bald ist Europawahl und wenige werden hingehen. Viele Intellektuelle mahnen daher eine europäische Idee an und warnen vor der Gefahr von rechts. Es ist das immer gleiche Spiel: Aufgeklärte Eliten stellen sich dumpfen Populisten entgegen. Doch was sie denen vorwerfen, tun sie natürlich selbst: Sie schüren Ängste vor einem Gegner, um sich selbst zu vergewissern, um sich zu beweisen, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Ein neues Patriziertum, das den Pöbel nicht mit am Tisch haben möchte, erfindet sich.
    Es wünscht sich eine universelle Identität, bemüht sich aber nur um eine besondere. Dieser Mechanismus, wie sich Gruppenidentitäten konstituieren, ist in der Sozialpsychologie seit langem bekannt. Von der Familie bis zur Nation hilft das Freund-Feind-Schema auszudrücken, nicht so sein zu wollen wie die anderen. Identität ist eben immer auch, was man nicht ist.
    Eine europäische Identität kann nicht herbeigewollt werden. Sie ist weder ein Produkt von Aufklärung noch ein Geschenk des Himmels. Sie wird sich nur dann herausbilden, wenn Europäer wissen, wofür sie stehen und wovon sie sich deswegen distanzieren.

    Säkularisierung als ureigene europäische Erfindung

    So ist die Distanz zu den Vereinigten Staaten derzeit nicht nur ein geographische. Das transatlantische Bündnis bezog seine Anziehungskraft einst aus der europäischen Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, aber die hat als große Erzählung ihre Bindungskraft längst verloren. Europa denkt über Datenschutz anders. Sich gegen die Hegemonie von Big Data zu wehren, gegen die Allmacht von Geheimdiensten und Suchmaschinen könnte ein Merkmal europäischer Identität sein.
    Eine ureuropäische Erfahrung, um nicht zu sagen: Erfindung, ist die Säkularisierung. Kirche und Religion zur Privatangelegenheit zu erklären, bereitete einst den Boden der Toleranz. Die Europäer täten sich keinen Gefallen, wenn sie dem religiösen Fundamentalismus wieder Raum geben würden – aus welcher Angst auch immer.
    ###

    Europa hat aber noch mehr zu bieten als kultivierten Antiamerikanismus oder Religionskritik, etwas sehr Eigenes und Charakeristisches. Nirgendwo sonst auf der Welt werden auf so engem Raum so viele Sprachen gesprochen. Und hinter diesen Sprachen stehen ebenso viele Kulturen, politische und wirtschaftliche Kulturen, Traditionen der Bildung, und auch Subtiles wie Wahrnehmung, Ausdruck und Ästhetik.
    Bekenntnis zur Differenz

    Sprache macht einen Unterschied. Und dieser Unterschied kann Identität stiften: Ja, wir sind anders, weil wir damit umgehen, dass wir uns unterscheiden! So paradox es klingen mag: Wenn es etwas gibt, das Europa eint, dann das Bekenntnis zur Differenz.
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    ich warte auf "Nathan"......den neuen Patrizier!

  2. #2
    GESPERRT
    Registriert seit
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    Beiträge
    14.987

    Standard AW: Europas Identität

    Zitat Zitat von bernhard44 Beitrag anzeigen
    heute hörte ich so nebenbei Radio und wurde aufmerksam, weil ungewohnte Sätze und Aussagen an mein Ohr drangen. Ungewöhnlich, weil nicht Mainstream und ungewöhnlich zu dieser Zeit kurz vor der Europawahl.
    Natürlich kann man das alles noch drastischer und konkreter ausdrücken, sicher ist da noch viel mehr zu sagen, aber es ist doch schon mal ein Denkanstoß, ein Kommentar abseits der täglichen "Europa ist toll und wir haben uns alle lieb weil wir gleich sind außer die Rechten"- Gesabber!
    ein Auszug:


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    ich warte auf "Nathan"......den neuen Patrizier!
    Bin schon da...(danke für den Pinnwandeintrag). Ja, interessant und unaufgeregt. Selten. Vive la différence! EIN bemerkenswerter Mosaikstein. Mir wäre es lieb wenn der Artikel nicht so täte als wäre es schon das komplette Bild.
    Im Prinzip wirft der Artikel einem bestimmten Personenkreis die eigene Denkweise vor, der anderen die eigene Denkweise vorwirft, wenn sie verstehen, was ich meine.

    Ich denke nicht so. Ich möchte ganz ausdrücklich den "Pöbel" am Tisch haben um zu reden. Sonst wäre ich z.B. nicht hier. Ich will die Mechanismen verstehen und ich habe bereits begonnen zu verstehen. Diese Bereitschaft vermisse ich bei meinen Tischnachbarn. One One hat mich schon mal ermahnt, ich dürfe nicht zu sozialromantisch an die Verständigung zwischen "Rechts" und "Nicht-Rechts" herangehen und keine Wunder erwarten. Einen Konsens würde es niemals geben, meint er. Sieht auch so aus, muss ich zugestehen. Aber ich lasse nicht locker. Wie sagte Thomas Müller gestern nachmittag auf dem Münchner Rathausbalkon so schön "Auf der letzten Rille bin ich am stärksten!".

    Es gibt nichts "gleich zu machen". Menschen sind Individuen und werden es bleiben. Der Faschismus war der Versuch, Individualität zu verschleifen, den Rohdiamanten "Mensch" zu einem funkelnden Schmuckstück umzuarbeiten, möglichst ohne unerwünschte Einschlüsse artfremder Partikel. Hat nicht funktioniert auf Dauer. Ich mag nicht funkeln wie hundertausend andere und meine persönlichen Unebenheiten dabei verlieren. Mein Europa soll nicht aussehen wie ein Haufen Klone im Gleichschritt, auch wenn sie noch so glitzern, das wäre doch gräßlich. Aber ich könnte eine europäische Hymne mitsingen (wenn ich nicht eine genetische Aversion gegen Hymnen aller Art hätte, mit einer Ausnahme*), ohne die deutsche zu vergessen.

    Ich könnte mir eine europäische Amtssprache vorstellen, die schwerpunktmäßig an alle Schulen gelehrt würde, neben der eigenen Muttersprache. Das könnte englisch sein oder mit gleicher Berechtigung auch spanisch.

    Ich könnte mir alle möglichen Gebetshäuser vorstellen, schlimmer als das katholische Geläute in meinem Dorf kann es nicht kommen, auch nicht von Minaretten. Ist mir egal, solange sie mir keine albernen Vorschriften machen und mich allgemein in Ruhe lassen. Ihre Feiertage nehme ich trotzdem mit. Diese Inkonsequenz leiste ich mir.

    Ich würde mich auch gerne von einer europäischen Regierung regieren lassen, warum nicht. Unsere eigene ist nicht besonders großartig und die der anderen Europäischen Staaten auch nicht. Da verlieren wir nicht viel, schlechter kann es kaum werden. Lieber füttere ich ein paar zentrale Drohnen als einen Haufen nationale, die nichts sind außer teuer. Nichtmal die Rechtsradikalen verstehen unsere Regierung als Teil ihrer Identität...;-)

    Die Eurowährung hat uns einen immensen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber den USA verschafft, auch wenn das viele nicht sehen wollen. Macht nichts, es ist trotzdem so. Unsere Handelsbilanz ist geradezu erschreckend positiv. Zu positiv für die Nachbarn, die unseren Reichtum mitfinanziert haben. Wir zahlen dafür kräftig wieder zurück. Sinnvoller wäre ein kompletter gemeinsamer Wirtschaftstopf. Die wirtschaftlichen Unterschiede sind nicht in Stein gemeißelt, genauso wenig wie die kulturellen.
    Das sind dynamische Prozesse, ausgehend von alten Wurzeln, und die Wurzeln der europäischen Kulturen sind letztlich so unterschiedlich nicht.

    Es könnte sich also durchaus in den nächsten paar hundert Jahren eine europäische Kultur entwickeln, erwachsen aus dem fruchtbaren Boden der nationalen Kulturen. Etwas Neues aus dem Alten, ohne dabei das Alte zu vergessen. Dieser Prozess findet in der Kunst schon immer statt.

    Wir sehen, Differenzierung ist tatsächlich kein Widerspruch auf dem Weg zur Einigung, im Gegenteil, er sorgt für die wichtige konservative Identität der Alten und schafft Boden für die ebenso wichtige experimentierfreudige Identität der Jungen.

    Es gibt noch sehr viel mehr, was Europa eint als das Bekenntnis zur Differenz. Diese Differenz gibt es natürlich, klar, und sie ist wie gezeigt sehr nützlich, solange sie nicht wertet. Einen anderen einfach "anders" sein zu lassen ohne sich über ihn zu stellen, das ist die Kunst, die leider wenige beherrschen, die aber beherrscht werden müsste, um ein vereintes Europa der Differenzen bilden zu können. Was uns hauptsächlich eint sind die Römer. In Spanien haben wir maurische Einflüsse, In Österreich türkische, in Italien vielleicht griechische, ganz früher gabe es byzantinische, sicher, aber absolut prägend waren in weiten Teilen Europas die römischen Einflüsse. Sogar das deutsch Reich nannte sich noch "römisch" und es brach ihm dabei nur gelegentlich ein Zacken aus der Krone, meist war man stolz darauf. Diese Gemeinsamkeit erkennt man bis heute in denjenigen europäischen Sprachen, die nicht umsonst "romanisch" heißen.

    Ein vereintes Europa ist einfach logisch, und die Angst vor Verlust der sogeannten "nationalen Identität" ist völlig irrational. Ist erstmal der gesamte lästige Verwaltungskrempel "outgesourced" können sich die Völker wieder um ihre Kultur bemühen, da wo sie einzigartig ist und da wo sich Gemeinsamkeiten zeigen. Es lebe der Unterschied, es lebe ein vereintes Europa!

    *

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