Zitat von
Sauerländer
Ich muss vorausschicken, dass ich an seinen Schriften selbst nur drei bislang gelesen habe: "Der Denker auf der Bühne. Nietzsches Materialismus", "Die Verachtung der Massen" und "Nicht gerettet. Versuche nach Heidegger", die ich allesamt für gelungenes Schriftwerk halte (besonders den Denker auf der Bühne), aber von den beiden Quartett-Philosophen scheint mir doch Rüdiger Safranski wesentlich mehr Gehalt zu besitzen. Sloterdijk wirkt auf mich wie ein...nunja, in der Tat beschreibt es am besten der Begriff "Fernsehphilosoph", der des öfteren den Negativauswüchsen der Moderne in zumindest sehr fragwürdiger Art und Weise Positivseiten abzugewinnen sucht. Ich erinnere mich da beispielsweise an ein Interview im Spiegel, wo er sich recht arrogant (wie ich finde) zum allgemeinen Pessimismus ausließ, zu dem es keinen, aber auch keinen Grund gebe und dergleichen.
Er ist recht bekannt, das ist wohl wahr, aber das ist Guido Knopp auch, und darüber, was von dem zu halten ist, besteht doch hoffentlich Konsens.
Zurück zum Thema:
Zunächsteinmal muss die Frage gestellt werden, auf was genau sich der Nationalist überhaupt beruft, wenn er Bezug auf die "Nation" nimmt. Bereits diese Frage wirft nämlich eine Bandbreite der Nationalismen auf, die -so scheint es bisweilen- der Zahl der einzelnen Nationalisten recht nahe kommt. (dieses Schicksal teilt der Nationalismus mit allen anderen -ismen)
In Deutschland hat sich ein Nationalverständnis entwickelt, das -anders als etwa in Frankreich- nicht an politische Verhältnisse gebunden ist. Der Gedanke der "Staatsnation", die sich charakterisieren lässt als Verbund der Menschen, die sich in einem Staat aufhalten und sich zu diesem bekennen, ist dem deutschen Denken gewachsenerweise fremd, weshalb auch Versuche, einen "Verfassungspatriotismus" zu kreieren, derart ins Leere laufen, wie sie es nunmal tun. In Deutschland hat sich -resultierend aus der staatlichen Zerrissenheit in der Zeit der Formierung der nationalistischen Idee- das Problem gestellt, dass eine irgendwie geartete politische Gemeinsamkeit, auf die sich ALLE Deutschen beziehen konnten, nicht gegeben war. Daher musste die Zugehörigkeit zur als "deutsch" zu bezeichnenden Gemeinschaft andere Kriterien besitzen als das Willensbekenntnis zu einer politischen Ordnung. So hat sich -aus gängig westlichem Denken betrachtet behelfsweise- ein an die Sprache gekoppeltes Verständnis von der Nation entwickelt. "So weit die deutsche Zunge klingt", so weit reicht Deutschland. Das hat sich weiter entwickelt zum Begriff der Kulturnation, und ist schließlich zum ethnischen Nationalverständnis geworden, Deutschsein wird in Deutschland (immer noch) überwiegend als Teilhabe an einer blutsgemeinschaftlichen Einheit betrachtet. Das zeigt sich etwa im ungebrochenen Widerwillen gegen die Etablierung des Ius Soli, die fernab der Kameras noch immer weite Verbreitung besitzt, oder eben auch darin, dass der durchschnittliche Deutsche eine Aussage wie "Ich bin Deutscher türkischer Volkszugehörigkeit" als absurd empfinden würde, denn der Sprecher hätte sich in seinen Augen selbst eindeutig eine türkische Nationalität attestiert.
Ein solches Denken, dass die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Kollektiv explizit NICHT der freien Entscheidung des Einzelnen unterordnet, ist unter den Bedingungen eines westlich geprägten politischen Verständnisses, das in Deutschland keine eigene Tradition besitzt, als schwerstreaktionär verdammt - aber gerade darin liegt meines Erachtens seine Stärke, denn damit entzieht sich eine ganz wesentliche Grundlage des Zusammenlebens der Deutschen einer beliebigen liberalen Verformbarkeit.
Das ist dann verhängnisvoll, wenn es in den Kontext des liberalen Wettstreitdenkens, am besten noch in angelsächsisch-sozialdarwinistischer Radikalisierung, gerät - das ist das, was im Hitlerismus geschehen ist. Der nationalistische Impuls hat sich hier einer geistigen Macht verbunden, die ihm so keineswegs automatisch zuzurechnen ist, ohne die er ebenfalls denkbar ist.
Wenn er ausreichend Selbstreflexion betreibt, wenn er aus diesem scheinbar zwingenden Zusammenhang ausbricht, wenn er sich endlich in die Lage versetzt, zum zunemend globalen liberalen Irrsinn eine Alternative darzustellen, dann kann er die Kraft werden, die diese Welt vor dem Abgrung bewahrt. Verbleibt er in der hitleristischen Gummizelle, dann braucht er sich erstens nicht zu wundern, keinen Besuch zu bekommen, und kann zweitens nichts anbieten.