Zum Tode des Sprayers OZ: Widerstand gegen die Monotonie des Alltags
Mit seinem tausendfach gesprühten Kürzel OZ setzte sich Walter Fischer auf markante Weise von den Zwängen der Gesellschaft ab und wurde zum bekanntesten Grafitti-Künstler des Landes. Nun ist er gestorben - beim Sprayen.
Es musste immer alles schön sauber sein. Fanatisch sauber. So wollten es die Schwestern im katholischen Waisenhaus. Eine Erzieherin beschimpfte den Jungen immerfort, nannte ihn "Satansbrut". Walter Fischer wusste nicht, warum sie das tat, er verstand auch nicht, warum seine Mutter ihn direkt nach der Geburt ins Säuglingsheim nach Worms gegeben hatte.
Walter Fischer war ein uneheliches Kind, geboren im Jahr 1950 in Heidelberg - hinein ins konservative Nachkriegsdeutschland. "Das war ja 'ne Schande damals, eine Todsünde", sagte Fischer einmal über Kinder, die außerhalb der Ehe auf die Welt kamen. Seine Mutter lernte er niemals kennen.
Niemand wollte das Kind adoptieren, Fischer glaubte, das habe an seinem Aussehen gelegen, schreibt Sven Stillich, der den Hamburger Graffiti-Sprayer für das Buch "Free Oz" porträtierte. Fischer wurde mit einer Gaumenspalte geboren. Mehrmals ließ er sich operieren, doch die OPs misslangen, weshalb sich Fischer nur schlecht artikulieren konnte. Er nuschelte, redete langsam und stockte immer wieder.
Fischer kritzelte im Waisenhaus manchmal auf Tische und an Wände. Es war ein erster Akt des Widerstands gegen die Sauberkeit und Ordnung, gegen die Monotonie des Alltags und gegen starre Regeln. Niemand war sonderlich an dem Jungen interessiert, vielleicht wollte er deshalb auf sich aufmerksam machen, der Einsamkeit entgegenwirken. In der Erziehungsstätte konnte keiner zuordnen, von wem die Kritzeleien stammten. Später wurden sie ihm tausendfach nachgewiesen - sogar die, die er gar nicht gemalt oder gesprayt hatte. OZ hatte viele Nachahmer.
Walter Fischer zog Anfang der Neunzigerjahre nach Hamburg. Im Jahr 1995 tauchen die ersten Zeitungsartikel über ihn auf. Sie handeln von einem Sprayer mit dem Zeichen OZ. Er sei der "Marktführer" in Hamburg und auch unter dem Namen "Johnny Walker" bekannt. Walter Fischer galt damals schon mit Mitte 40 als der Rentner unter den Sprayern.
Mehr als 20 Jahre machte Fischer die Hansestadt zu seiner Leinwand. Er besprühte Gullideckel, Stromkästen, Hauswände, S-Bahnen, Denkmäler. Immer wieder taucht sein Tag OZ auf. Wofür es steht, wollte Walter Fischer nie verraten. "Vielleicht heißt es ja nicht OZ, sondern Oli oder Ossi", sagte er mal. Und schob nach, dass es auch etwas ganz anderes bedeuten könnte.
Mehr als 120.000 Mal verewigt er sich in der Stadt, so steht es in zahlreichen Zeitungsberichten, die allerdings auch schon einige Jahre alt sind. OZ sprühte Smileys, Kringel und Spiralen und wollte die Stadt damit bunter machen. Vor allem Kinder wollte er mit seinen Werken zum Lächeln bringen. Die fänden das lustig, die würden sich freuen, sagte der Sprayer einmal.
Er verstand nie, warum sich Menschen über seine Spuren aufregen, er wollte damit doch die Stadt verschönern. Diejenigen, die ihn kritisieren, nannte er "Sauber-Nazis" oder "Sauberkeitsfanatiker". Immer wieder wurde OZ beim Sprayen erwischt. Er hörte nie auf damit. Selbst als Staatsanwälte und Richter im Jahr 2011 einmal mehr über sein Schicksal verhandelten, zog er nachts los und sprühte weiter. OZ war nicht Banksy, der es besser verstand, im Dunkeln zu agieren, Spuren zu hinterlassen, aber spurlos zu verschwinden und verschwunden zu bleiben.
Acht Jahre musste der kleine, hagere und hohlwangige Mann insgesamt im Gefängnis verbringen, in einem der letzten Prozesse wurde eine Haftstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung in eine Geldstrafe von 1500 Euro umgewandelt. Ein Gefängnisaufenthalt werde OZ nicht davon abhalten, seiner Kunst nachzugehen, hatte Richter Cornelius Neree vom Landgericht argumentiert.
"Ich kann aufhören, ich will aber nicht", sagte Fischer einmal. Am Donnerstagabend zog er noch einmal los. Zwischen den Haltestellen Hamburger Hauptbahnhof und dem Berliner Tor war er unterwegs und sprayte. Gegen 22.30 Uhr wurde er von einer S-Bahn erfasst und starb. Er wurde 64 Jahre alt.
"Er war ein Rebell, er hat sich selber als kreativen Anarchisten verstanden", sagt der Hamburger Galerist Alex Heimkind, der in der OMZ Art Space Gallery fünf Ausstellungen mit Werken von OZ zeigte. Geld habe für OZ nie eine Rolle gespielt, er habe sehr asketisch gelebt, brauchte nicht viel. Die Antwort darauf, wie er sich das Sprayen leisten konnte, liegt vielleicht in der Szene, die ihn als Idol betrachte. "OZ war jemand, der viele Fans hatte", sagt Heimkind. Einmal schickte jemand sogar ein Bild aus Israel an die Galerie. Auf einer Mauer zu den Palästinensergebieten, hatte einer für den Hamburger Sozialhilfeempfänger ein OZ hingesprayt.
Eine Petition für OZ unterschrieben Bands wie Tocotronic oder Fettes Brot. Fischers Verteidiger Andreas Beuth zitierte sie bei einer Verhandlung. Beuth sagt, Fischer sei sehr schüchtern gewesen, ein Einzelgänger, aber auch ein Widerstandskämpfer, der nicht einsah, warum Werbebotschaften alle öffentlichen Räume zukleistern durften, nicht aber der Mensch. "Für mich war er einer der größten Graffiti-Künstler", sagt Beuth. Er hätte in letzter Zeit aber stark abgebaut, sagt der Anwalt, habe einen Schlaganfall gehabt. Für die Kanzlei sei OZ' Tod ein Schock gewesen. Aber so traurig das auch klinge, sagt Beuth, OZ sei in Erfüllung seines Lebens gestorben.