Zitat von
Hans Pfitzner: "Futuristengefahr - Polemik zu „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ (1916) von Ferruccio Busoni"
Busoni erhofft sich von der Zukunft alles für die abendländische Musik und faßt die Gegenwart und Vergangenheit auf als einen stammelnden Anfang, als die Vorbereitung. Wie aber, wenn es anders wäre? Wenn wir uns auf einem Höhepunkt befänden oder gar der Höhepunkt schon überschritten wäre? Wenn unser letztes Jahrhundert oder unsere letzten anderthalb Jahrhunderte die Blütezeit der abendländischen Musik bezeichneten, die Höhe, die eigentliche Glanzperiode, die nie wiederkehren wird und der sich ein Verfall, eine Dekadenz anschlösse, wie die nach der Blütezeit der griechischen Tragödie? Mein Gefühl neigt vielmehr zu dieser Ansicht. Schon Rubinstein hat ernstlich von einem „Finis musicae“ gesprochen. Ob nicht die Aufgabe unserer Zeit anstatt die Sechsteltöne zu suchen, in rasendem Tempo vorwärtsstürmen zu wollen, jedes Errungene einem Neuen zuliebe vernichten zu wollen — ob nicht vielmehr die Aufgabe unserer Zeit eine liebevolle Besinnung wünschenswert erscheinen ließe auf das, was entstanden ist und was gegenwärtig entsteht und zwar nicht nur auf das, was an der Oberfläche schwimmt? Der Irrtum herrscht zu jeder Zeit vor, aber er hat immer eine andere Färbung. Die Signatur der vorangegangenen Zeitepoche mag Philisterei gewesen sein, die Signatur der heutigen ist sie nicht, viel eher das Gegenteil. Die vorhergehende Zeit fragte bei allem Neuen: Ist mir das bequem und verständlich? Die gegenwärtige frägt: Werde ich mich nicht als rückständig blamieren? Das ist der ganze Unterschied.