Ukraine-Krise: Neuer Kalter Krieg?
US-Waffenlieferungen: Druck auf Obama wächst
Frontal 21
Dokumentation: "Neuer Kalter Krieg?"
Di, 21.00 Uhr, ZDF
von Eleni Klotsikas und Reinhard Laska
Der Druck auf US-Präsident Barack Obama, der ukrainischen Regierung tödliche Waffen zu liefern, wächst. In öffentlichen Anhörungen bedrängen Abgeordnete und Senatoren Obama in scharfen Tönen, den "Ukraine Freedom Support Act" umzusetzen. Ein Gesetz, das er selbst unterschrieben hat.
"Wir werden weiter auf den Präsidenten einhämmern, damit er der Ukraine endlich die Waffen liefert, die das Land so dringend benötigt", sagt die langjährige Kongress-Abgeordnete Ileana Ros-Lehtinen. "Wir hoffen und warten zu lange, damit senden wir Putin ein Zeichen von Schwäche", empört sich der Demokrat Eliot Engel, Vize-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und fragt: "Sollten wir uns der Aggression von Wladimir Putin nicht endlich widersetzen, bevor er noch mehr Menschen tötet?" - "Das ist amerikanischer Führungsstil", bilanziert der Republikaner Ed Royce, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
Was nach Kalter-Kriegs-Rhetorik klingt, sind mahnende Worte von Abgeordneten an ihren Präsidenten während einer öffentlichen Anhörung vor einigen Tagen im Kongress. Das Thema: "Die Ukraine unter Besatzung.“ Sie zeigen, wie stark der Druck ist, der auf dem Präsidenten lastet. Er soll ein Gesetz umzusetzen, das sowohl Demokraten als auch Republikaner im Dezember letzten Jahres einstimmig verabschiedet haben und das er selbst unterschrieben hat. Der „Ukraine Freedom Support Act“ ermächtigt Barack Obama die Ukraine aufzurüsten. Neben Aufklärungsradaren, Überwachungsdrohnen und Kommunikationstechnik soll er auch sogenannte "tödliche" Waffen liefern: Schusswaffen, Munition und Panzerabwehrraketen.
Erfolgreiches Lobbying für Waffenlieferungen
Zufrieden mit dem Ergebnis seiner Lobbyarbeit zeigt sich Andrij Dobriansky, Sprecher der Organisation Ukrainian Congress Committee. "Nicht ein einziger Abgeordneter hat gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine gestimmt. Das ist ziemlich einmalig in der amerikanischen Politik. Nun müssen wir zusehen, dass das Gesetz auch umgesetzt wird."
Regelmäßig organisiert die Lobbyorganisation seit Beginn der Krise Treffen zwischen Abgeordneten und Senatoren mit der ukrainischen Diaspora. Rund zwei Millionen ukrainische Auswanderer leben in den USA, die meisten im Bundesstaat New Jersey und in der Stadt New York.
Freiwillige Kämpfer mit Waffen-Listen
Mitten in Manhattan liegt "Little Ukraine". Ukrainische Schulen, Vereine, Restaurants und Geschäfte zeugen von einer engen Verbindung der US-Ukrainer zu ihrer Heimat. Für die Kongress-Abgeordneten sind sie potenzielle Wähler. Zu den regelmäßigen Abenden mit den Politikern lässt Dobriansky auch Kämpfer von Freiwilligen-Bataillonen aus der Ukraine einfliegen.
In herzzerreißenden Geschichten erzählen sie den Abgeordneten, wie ihre Kameraden im Kampf gegen die von Russland unterstützten Separatisten gefallen sind. Bei dieser Gelegenheit legen sie gleich Listen mit benötigten Waffen vor.
Dobriansky sieht seine Arbeit kurz vor dem Durchbruch: "Sowohl Vertreter aus dem State Department als auch aus dem Verteidigungsministerium erzählen uns, dass sie fest daran glauben, der Ukraine müsse militärisch geholfen werden", so Dobriansky. "Wir müssen jetzt nur noch die Meinung eines einzigen Menschen umstimmen - die des Präsidenten!"
Obama ein außenpolitischer Schwächling?
Tatsächlich hat sich vor einigen Tagen Obamas neu vereidigter Verteidigungsminister Ashton Carter auch öffentlich für einen Kurswechsel der Regierung in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Doch zum Frust der eigenen Regierungsmitglieder, vieler Abgeordneter und Senatoren überlässt Obama der deutschen Bundeskanzlerin den Lead im Ukraine-Konflikt. Und Angela Merkel hat mehrfach bekräftigt, dass sie gegen eine militärische Lösung des Konfliktes ist. Dafür wird der US-Präsident innenpolitisch als Schwächling an den Pranger gestellt.
"Obama wird sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern in die Mangel genommen", sagt Stephen Szabo. Der amerikanische Politikberater beim German Marshall Fund hält es für sehr wahrscheinlich, dass die USA bald Waffen an die Ukraine liefern, selbst dann, wenn Obama dem innenpolitischen Druck standhalten sollte.
Die meisten seiner potentiellen Nachfolger, sowohl die republikanischen als auch die demokratischen Präsidentschaftskandidaten haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie in dieser Frage nicht lange zögern würden. Der republikanische Hoffnungsträger Jeb Bush bezeichnete Obamas Haltung in der Ukraine-Krise kürzlich als "inkompetent". Spätestens im Jahr 2016, wenn Obamas Amtszeit endet, weht ein neuer Wind in Washington. Das könnte auch zur Belastungsprobe für das deutsch-amerikanische Verhältnis werden, glaubt Szabo. "Die amerikanische Regierung muss sicherstellen, dass sie im engen Kontakt mit der deutschen handelt, damit diese die Entscheidungen, wenn nicht versteht, dann zumindest akzeptiert."
Obama: Weitere finanzielle Hilfe statt Waffen
Obama setzt immer noch lieber auf die Bekämpfung von Korruption als von Separatisten. Sollte die Ukraine alle Wirtschaftsreformen des Internationalen Währungsfonds umsetzen, stehen bis Ende des Jahres weitere Kreditgarantien in Höhe von einer Milliarde Dollar an sowie 513 Millionen Dollar an finanziellen Hilfen für das Jahr 2016. Dabei war das finanzielle Engagement der USA in der Ukraine bereits beachtlich: 355 Millionen Dollar hat die ukrainische Regierung seit Ausbruch der Krise von den USA erhalten. Hinzu kamen 118 Millionen Dollar für Grenzsicherheit und militärische Ausrüstung.
"Artillerieortungsradare haben wir der ukrainischen Regierung bereits geliefert", versichert die Europa-Beauftragte der US-Regierung, Victoria Nuland, gegenüber aufgebrachten Kongress-Abgeordneten. Nur bei der Frage der tödlichen Waffen habe der Präsident noch "keine endgültige Entscheidung" getroffen.
Zur Unterstützung der osteuropäischen Alliierten gegen Russland hat die NATO ihre Präsenz dort etwa bei der Luftraumüberwachung bereits verstärkt. Geplant sind nun zudem vermehrte Übungen wechselnder Kampftruppen und neue Stützpunkte mit Führungs- und Logistikexperten. Diese könnten in den drei Baltenstaaten sowie Polen und Rumänien eingerichtet werden. Sicher ist, dass die Einsatzbereitschaft des von Polen, Deutschland und Dänemark geführten Stützpunktes im polnischen Stettin erhöht wird. Ferner ist die Modernisierung von Häfen und Flughäfen sowie die Stationierung militärischer Ausrüstung in der Region vorgesehen.
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