Ich verstehe, was du empfindest. Es ist furchtbar! Aber daran ist nicht der Michel schuld. Du schreibst, dass du dich so äußerst, damit der Michel endlich aufwacht. Aber wie du selbst festgestellt hast, sind wir beide nicht der Michel. Wie also sollte Michel DAS lesen? Wir hier haben keine Handhabe gegen all das Ungeziefer, was unkontrolliert in Scharen zu uns reingelassen wird. Am Einfachsten ist es dann eben, alles dem Michel in die Schuhe zu schieben. Es ist richtig, dass Michels Verdrängungsmechanismen unseren Albtraum verlängert. Aber er verdrängt ja nicht, weil er bösartig ist, sondern um sich selbst zu schützen, ein körpereigener Schutz, ein Reflex, den er nicht unter Kontrolle hat.
Lieber Herr Mayer, du bist mir sehr sympatisch, ich lese dich gerne und weiß, dass du einen klaren Blick auf alles hast. Mal davon abgesehen, dass ich eine geborene Meier bin und sich meine Gedanken meist mit deinen decken, halte ich dich für einen Menschen, der die Dinge beim Namen nennt. Aber das wirst du ja nicht schon seit 30 Jahren tun. Auch bei dir wird es einen Zeitpunkt gegeben haben, an welchem dir irgendwas komisch vorkam und du darüber einfach nicht hinweggehen konntest.
Dieser Zeitpunkt kommt für uns alle irgendwann. Bei dem einen früher, bei dem anderen später. Wenn du noch arbeiten gehen musst, kommt er wahrscheinlich eher später, weil du garkeine Chance hast, irgendwelche Überlegungen anzustellen. Jedenfalls war das bei mir so. Erst als ich zwangsweise aus der Tretmühle raus war, konnte ich erkennen, was hier läuft. Ich habe als Sekretärin in einer großen Anwaltskanzlei gearbeitet. 12-Stunden-Tage waren eher die Regel, als die Ausnahme. Ich wollte nur nach Hause auffe Couch, bisschen fernsehen und ab ins Bett. Wenn ich also heute auf meine Landsleute schimpfen würde, müsste ich zuallererst auf mich selbst schimpfen. Das würde ich nie tun. Im Gegenteil. Ich bin mir sehr dankbar, dass ich es überhaupt geschafft habe, diese Dinge halbwegs zu begreifen. Dieser Prozess steht JEDEM Deutschen bevor! Egal, ob jetzt oder in drei Wochen ... WIR haben es hinter uns, aber das ist reiner Zufall!