Die Fassade der Radikalitдt
Opportunismus: Die Fьhrungskader der Grьnen kцnnen sich nicht mit Rudi DUTSCHKE schmьcken
Bernd Rabehl
Nun ist es amtlich. Ein Teil der KochstraЯe in Berlin-Kreuzberg wird auf Betreiben der tageszeitung (taz), die hier ebenso ihren Sitz hat wie der Axel Springer Verlag, nach Rudi DUTSCHKE umbenannt. Die Bezirksverordnetenversammlung in Kreuzberg-Friedrichshain stimmte Ende August mehrheitlich fьr den von der Linkspartei.PDS mit Unterstьtzung der Grьnen eingebrachten Antrag.
Eine leicht verschlammte Regierungszeitung bessert ihren Teint ьber diesen Namen auf und gibt ihrer Partei, den Grьnen, einen Hauch von Tradition. DUTSCHKE, der unrasierte Jungmann mit seinen flammenden Augen, soll Radikalitдt suggerieren, Aufrichtigkeit und Unbestechlichkeit mitteilen, Tugenden, die die Macher dieser Partei lдngst aufgegeben haben und die sich in Relikten vielleicht beim FuЯvolk finden lassen. Um von Erstwдhlern oder dem verbitterten Mittelstand der Lehrer, Sozialarbeiter, Richter und Staatsanwдlte gewдhlt zu werden, ist Romantik gefragt. Sie soll an grьne Pflanzen, saubere Luft, Lebensqualitдt, Gleichberechtigung, Kinderlachen und junge Frauen und Mдnner erinnern, die ihren Weg gehen und deshalb die Grьnen wдhlen.
Rudi DUTSCHKE allerdings hatte mit den Leuten, die sich heute mit seinem Namen schmьcken wollen, nichts gemeinsam. Nach seiner Genesung von dem Attentat am 11. April 1968 bezog er zu Beginn der siebziger Jahre eindeutig Front gegen sie. Doch kaum jemand wird sich heute an die Positionen und Ziele DUTSCHKEs erinnern.
Nun demonstrieren die Parteilenker, die Minister und Staatssekretдre, daЯ sie auf ihre Ursprьnge nicht verweisen wollen und daЯ ihnen der "antiautoritдre" Aufbruch von damals verhaЯt bleibt. Die Funktionstrдger aus den oberen Stockwerken der Partei kommen groЯenteils aus dem kommunistischen Lager von KBW, KPD und Putztruppe. Sie wehrten sich in den siebziger Jahren gegen eine "Jugendrevolte", indem sie auf Hierarchien, Patriarchat, Disziplin, Parteikult, Gehorsam und Gefolgschaft setzten, um diesen "antiautoritдren Aufbruch" von innen durch die MaЯstдbe der chinesischen Revolution zu brechen. Fьr sie war Rudi DUTSCHKE schon deshalb Feind und politischer Gegner, weil er auf SelbstbewuЯtsein und die demokratische Selbstbestimmung der Jugend setzte. Die Jungkommunisten damals waren angetan von einem Pol Pot, der in Kambodscha die alten Generationen zu Millionen morden lieЯ, um Platz zu schaffen fьr die jungen Leute. Kulturelle Erneuerung und die Demokratisierung wurde von den Kadern bewuЯt miЯverstanden und verwechselt mit "Sдuberung" und Massenmord.
Ansprьche auf gutbezahlte Posten
Sie besetzten zu Beginn der achtziger Jahre durch Masseneintritte die grьne Partei, um dem eigenen Bankrott ihrer Gruppen zu entgehen, und drдngten die Radikalцkologen und Basisdemokraten hinaus. Цkologische Fragen blieben ihnen so gleichgьltig wie die Vorstellungen von Demokratie und Mitbestimmung. In dem MaЯe, wie diese Partei Wдhler erhielt und bьndnisfдhig wurde, gaben die Hauptakteure auch die ursprьnglich antikapitalistischen und anti-imperialistischen Ziele auf. Heute haben sie Kriege und Interventionen zu verantworten und ьberholen in einzelnen Fдllen sogar die CDU/CSU in einer proamerikanischen Gesinnung. Dieser ProzeЯ der machtpolitischen Anpassung war verbunden mit einer "geheimnisvollen Amnestie", denn einige der Spitzenpolitiker waren in antisemitische Aktionen, in Brandanschlдge auf Polizeiautos, Widerstand gegen die Staatsgewalt und illegale Demonstrationen verwickelt. Ihr geheimnisvoller "Freispruch" stand ohne Zweifel in Verbindung mit dem spдteren Opportunismus der grьnen Staatspartei.
Der Umschwung dieser ehemaligen Maoisten und Stadtkдmpfer hatte noch andere Konsequenzen. Zu verstehen wдre noch, daЯ die "Pol-Pot-Leute" die Generationsfrage fьr sich lцsten, indem sie Ansprьche auf die gutbezahlten Jobs in Partei und Staatsapparat anmeldeten. Aber die ideologische Abrьstung kannte keine Grenzen und verlor sich in einem lдrmenden Opportunismus, den Mдchtigen dieser Welt zu Munde zu reden. Die ehemaligen Linken hatten es eilig, sich in eine "politische Klasse" einzufдdeln, die alle nationalen Traditionen verleugnete. Sie gefielen sich in Selbstzufriedenheit und Prasserei und wurden Teil von Stimmungen und Meinungen, den sozialen oder nationalen Zusammenhalt eines Volkes zu verleugnen und nur an die eigenen Vorteile zu denken. Die grьnen "Realpolitiker" betrachteten ihre Position in Parlament und Staat als eine Art "Fьrstentum", das ihnen zustand.
Ein solcher Opportunismus muЯte seinen Ursprung verbergen, und er besaЯ deshalb keinerlei Tradition. Als Kostьm, Gesicht, Parole oder Symbol muЯte eine derartige Vergangenheit ausgeliehen werden.
Fьr DUTSCHKE bestand keinerlei Zweifel darьber, daЯ sich eine entstehende radikaldemokratische und цkologische Partei grundsдtzlich von den etablierten Parteien oder von einer marxistisch-leninistischen Partei unterscheiden muЯte. Durch das Parteienprivileg des Grundgesetzes und die Nдhe der Bundesparteien zum цffentlichen Dienst fand nach seiner Ьberzeugung hier eine Negativauslese von Aufsteigern und Karrieristen statt, die ihre Parteimitgliedschaft nutzten, um lukrative Staatsstellen zu erhalten. Sie gehцrten deshalb zu den Seilschaften aufstrebender Politiker, die als Minister oder Verwaltungschefs ihre Leute im Staatsapparat unterbringen wьrden.
Ein derartiger Zuschnitt von Organisation konzentrierte die Parteiarbeit auf weinige "Fьhrer" und ihre Gefolgschaften. Eine innerparteiliche Demokratie konnte unter diesen Bedingungen keine Kontrollfдhigkeit erzielen oder eine Korrektur von Politik erreichen. In den Parteien entstanden Kreise von Berufspolitikern und Oligarchen, die ihre Macht abschirmten. Sie benutzten die Wahlen lediglich zur Inszenierung ihrer "Politik". Dadurch gewann die parlamentarische Demokratie Дhnlichkeiten mit einer populistisch aufgezogenen Diktatur, in der "Parteidiktatoren" sich nur selbst darstellten. Die ML-Parteien waren per definitionem Macht- und Kaderparteien, die die innerparteiliche Demokratie nicht akzeptierten, sondern auf ihre "Avantgarden" als Willenstrдger setzten. Die Wдhler oder das "Volk" waren fьr sie dumm und manipulierbar.
DUTSCHKE dagegen wollte den "grьnen" Parteiaufbau mit der Demokratisierung vor Ort in den Kommunen und Lдndern verbinden und radikale und plebiszitдre Ziele in das Grundgesetz einbringen. Das imperative Mandat sollte sicherstellen, daЯ Politiker nicht kдuflich wurden und ihren sozialen Bezug zur Partei nicht zerstцrten. Dadurch sollte eine "Zirkulation" der Bonzen und Eliten unterlaufen und langfristig die Macht der Oligarchien gebrochen werden. Er hatte auЯerdem ein Interesse daran, die auslдndischen Einflьsse auf die Politik zurьckzudrдngen. Fьr DUTSCHKE war das westliche Deutschland ьber die Oligarchiendemokratie ein besetztes Land. Er fand Unterstьtzung bei Petra Kelly und Gerd Bastian. Ihr Projekt der verfassungsmдЯigen und politischen Demokratisierung der Bundesrepublik konnte nicht durchgesetzt werden. DUTSCHKE ertrank Weihnachten 1979 unter kuriosen Umstдnden in der Badewanne. Der alte Panzergeneral Bastian, so die Legende, erschoЯ im Oktober 1992 aus Eifersucht die "jugendliche Geliebte" und anschlieЯend sich selbst.
Machtreserve der Sozialdemokratie
Erst nach dem Tode dieser drei "Erneuerer" grьner Politik konnten sich die Rottenfьhrer und Kader der K.-Gruppen und der Stadtkдmpfer in dieser Partei durchsetzen. Ьber einen "Putsch" besetzten sie die Organisation, drдngten die Gegner heraus und polten die Partei in eine Machtreserve der Sozialdemokratie um. Inzwischen entstanden ьber diese Partei "grьne Fьrstentьmer" und die Einkommensmilieus ihrer Aufsteiger und NutznieЯer. Kein Wunder, daЯ "DUTSCHKE" als Legende von Tradition und Anstand heute genutzt werden muЯ. Ьber ihre Villen in der Toskana, ьber ihre Eigentumswohnungen und Luxuslimousinen wьrden diese Machtpolitiker kaum reden wollen.
Prof. Dr. Bernd Rabehl, Jahrgang 1938, war einer der engsten Weggefдhrten und Vertrauten Rudi DUTSCHKEs. Bis 2003 lehrte er Soziologie an der Freien Universitдt Berlin. In der Edition Antaios, Schnellroda, verцffentlichte er 2002 die Monographie "Rudi DUTSCHKE. Revolutionдr im geteilten Deutschland".
Quelle:
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.
[Links nur für registrierte Nutzer] 38/05 16. September 2005