I

Es war einmal ein Land, das nach zwei verlorenen Kriegen vor einem riesigen Scherbenhaufen stand: dem Testerberg – einem Grab für ungezählte namenlos Verstorbene, einer gewaltigen Anhäufung unbrauchbarer Gegenstände, nutzloser Trümmer, verkohlter Häuserreste, mit der Zeit verwandelt von einer gnädigen Natur, welche Samen und Erdreich dorthin wehte und so einen dicken Teppich aus Unkraut, Blumen und Sträuchern darüberwachsen ließ, bis die Erhebung das Aussehen eines ganz natürlichen Berges hatte, an dessen Ursprung sich die Menschen kaum noch erinnerten.

Im Sommer spielten die Kinder auf ihm ihre Fangspiele, und im Winter rodelten sie mit ihren Schlitten den Berg hinab, als wäre er eine ganz normale Erhebung.
"Geht nicht da nicht hin", warnten die Eltern ihre Kinder. "Es ist zu gefährlich."
Die Erwachsenen vermieden es nämlich, sich dem Berg zu nähern. Ihre Furcht war so groß, daß sie ihn gar nicht erwähnen mochten, obwohl er direkt vor ihrer Nase lag.
"Aber dort ist alles so schön verwildert!", riefen die Kinder.
"Unter dem Berg liegt ein böser Riese und schläft", behaupteten die Eltern. "Wenn Ihr den weckt, packt er Euch am Schlafittchen, und dann ist's um Euch geschehen."

Eines Tages kamen ein paar wagemutige Forscher und Gelehrte auf die Idee, die künstliche Erhebung zu untersuchen, um herauszufinden, welches Kraut dort wuchs und welches Getier dort herumlief und was von den einstigen Zeugnissen menschlicher Betätigung noch zu erkennen war. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten sie in schlauen Büchern, die an den Universitäten gelesen wurden, und so kam es, daß sich ihre Schüler für den Testerberg und seine traurige Geschichte interessierten, während die anderen davon nichts mehr wissen wollten, und die beiden Gruppen begegneten sich mit zunehmender Unversöhnlichkeit. Für die einen wurde der Berg zum Lebensmittelpunkt, wohingegen die anderen behaupteten, er sei natürlichen Ursprungs und keiner Betrachtung wert.

Und sie stritten sich so laut, daß es dem König zu Ohren kam. Der König ließ sich Bericht erstatten, und auf seine Weisung hin wurde der Testerberg zu einem Denkmal erklärt, dessen Schmähung oder Verleugnung per Gesetz verboten war.
"Wie kann das sein?", fragten die einen. "Wie kann man etwas nicht Vorhandenes schmähen?"
"Damit habt Ihr Euch schuldig gemacht!", frohlockten die anderen. "Ihr habt den Berg geleugnet, obwohl es ihn gibt."
"Wo denn?", fragten die ersten wieder.
"Na hier! Direkt vor Euren Augen!"
"Und wenn schon", meinte einer. "Keiner verbietet mir, die Existenz der Sonne zu leugnen. Warum muß ich diesen Dreckshaufen anerkennen?"

Und das ständige Gezeter weckte den Riesen, der unter den Trümmern begraben lag und dort in dumpfer Ohnmacht vor sich hindämmerte. Er hörte über sich den lautstarken Streit der Menschen und wie ein jeder Schindluder trieb mit dem Entsetzen, das ihn, den Riesen, unter die Erde gebracht hatte. Die einen leugneten und die anderen mißbrauchten zu ihrer Selbstauferbauung den Scherbenhaufen, vor dem sie standen, und da erhob sich der Riese voller Wut, begrub das ganze Land unter den Trümmern und brachte es für alle Zeit zum Schweigen.