West-östlicher Divan
So sehr die orientalische Poesie Goethe thematisch fasziniert, ihre spezifischen Formen (zumal das Ghasel mit seiner engen Reimwortbindung) hat er - anders als später namentlich Rückert - nur andeutungsweise nachgeahmt. Die "Nachbildung" überschriebenen Strophen im "Buch Hafis" wehren sich gegen eine pedantische Übernahme vorgeprägter, „zugemeßner Rhythmen“; vielmehr gilt es, die „tote Form“ in einer „neuen Form“ aufzuheben, also etwa das Hafisische Ghasel mit seiner Reimwortwiederholung in freier Form nachzubilden
"West-östlich" hat Goethe den Divan genannt, da er ihn als eine Art westlicher >Kontrafaktur< zur östlichen, altpersischen Dichtung, besonders eben zum Divan des Hafis verstanden wissen wollte. Die literarische Kontrafaktur wäre freilich bloß artistisches Spiel geblieben, hätte sich das östliche Vorbild nicht auch existentiell beleben lassen. "Mein Absicht ist", so schreibt Goethe am 16. Mai 1815 an Cotta, "auf heitere Weise den Westen und Osten, das Vergangene und Gegenwärtige, das Persische und Deutsche zu verknüpfen und beiderseitige Sitten und Denkarten übereinandergreifen zu lassen." Diese Verknüpfung von Westen und Osten geschieht buchstäblich, da der literarische Aufbruch in den Osten, die "Urheimat der Menschheit" mit der wirklichen Reise in den Westen, in die eigene Heimatlandschaft Goethes unlösbar verbunden ist.
." Ein bemerkenswerter Widerspruch zu "Hegire", wo der Orient mit der Reflexionslosigkeit der Jugend gleichgesetzt wird, da die Menschen "sich nicht den Kopf zerbrachen". In diesem Widerspruch spiegelt sich Goethes eigene Situation; Zustand und Landschaft der Jugend (Dichtung und Wahrheit I-III, 1814; Reisen in die Rhein-Main-Gegend 1814/15) kehren in den "wiederholten Spiegelungen" des Alters wieder. So gehen auch in der orientalischen Dichtung für Goethe Jugend und Alter der Menschheit kreisförmig ineinander über. "Geist" besteht für ihn (bei den orientalischen Dichtern) in "Übersicht des Weltwesens, Ironie, freiem Gebrauch der Talente".
In den "Noten und Abhandlungen", die er der Divan-Ausgabe "zu besserem Verständnis" beigegeben hat (seine umfangreichste historische Arbeit neben der "Geschichte der Farbenlehre"), hat Goethe den spezifischen Charakter der orientalischen Poesie durch das bezeichnet, "was wir Deutsche >Geist< nennen ... Der Geist gehört vorzüglich dem Alter oder einer alternden Weltepoche." Ein bemerkenswerter Widerspruch zu "Hegire", wo der Orient mit der Reflexionslosigkeit der Jugend gleichgesetzt wird, da die Menschen "sich nicht den Kopf zerbrachen". In diesem Widerspruch spiegelt sich Goethes eigene Situation; Zustand und Landschaft der Jugend (Dichtung und Wahrheit I-III, 1814; Reisen in die Rhein-Main-Gegend 1814/15) kehren in den "wiederholten Spiegelungen" des Alters wieder. So gehen auch in der orientalischen Dichtung für Goethe Jugend und Alter der Menschheit kreisförmig ineinander über. "Geist" besteht für ihn (bei den orientalischen Dichtern) in "Übersicht des Weltwesens, Ironie, freiem Gebrauch der Talente".
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