Zitat von
Jean Paul
Die Sprache ist ein logischer Organismus, der sich seine Glieder nach so geistigen Gesetzen zubildet und einverleibt als der leibliche sich die seinigen nach zusammengesetztern; aber wie dieser treibt auch er zuweilen regellose Überbeine, sechs Finger und Gliederschwämme aus dem Regelleibe heraus, nur daß wir hier als freiere Geister das Ausschneiden und das Verwelkenlassen der Aus- und Fehlwüchse ganz in unserer Gewalt und Willkür haben.
An der deutschen Sprache – für welche wir Schreiber sämtlich, da sie uns in Europa als der einzige Mond der griechischen Sonne nachglänzt, dem Himmel nicht genug danken können, deren weite Freiheit wir aber gerade durch eine undankbar faule Schrankenlosigkeit mißbrauchen und verunstalten – an ihr sollten wir die europäische Seltenheit, daß einem Vielworte durch bloßes Versetzen der Wortglieder, wie einer Zahlreihe, neue Bedeutungen zu erteilen sind, als eine grammatische Buchstabenrechnung wärmer schätzen und heiliger bewahren. Ich wähle aus der Nähe das Drilling-Wort Mondscheinlust. Dieses gibt durch ein Wörter-Anagramm immer einen neuen Sinn in sechs neuen Wortbildungen: Mondscheinlust, Lustmondschein, Scheinmondlust (durch sogenannte Transparents), Lustscheinmond, Scheinlustmond, Mondlustschein. Mischt der geduldige Leser die Quadrupelalliance eines vierwörtlichen Worts, z. B. Maulbeerbaumfrucht, so erhält er nach der mathematischen Kombinierregel (das Urwort mit eingeschlossen) vierundzwanzig Wörter; und versetzt er gar, sooft als es mathematisch möglich ist, wie südliche Staaten ihre Diener, ein fünf Mann hohes Wort, wie z. B. Haushofmeisteramtsachen oder Regenbogenhauteiterbeule, so gewinnt er hundertundzwanzig gute und elende Wörter, womit ich jedoch das Morgenblatt nicht schmücken will.
Ich komme nun auf die beiden Hauptzwecke, weswegen ich die mühsamen Studien des ganzen Aufsatzes und die Briefe an eine vornehme Dame gemacht. Der eine betrifft die Wege, diese scheinbare Neuerung einzuführen und der Sprache einzuimpfen, nicht als einen Krankheitstoff, sondern als einen alten gesunden Zweig.
Mein andrer Hauptzweck ist, so bald wie möglich so gut widerlegt zu werden, daß ich nicht ein Wort mehr sagen kann.
Das Erste, die Einführung der richtigen Doppelwörter, haben Schriftsteller zwar weniger gegen das Volk – aus dessen vielkehligem Munde schwer die Wörter Wirtshaus, Kriegskasse, Staatsrat werden zu nehmen sein –, aber wohl gegen Schriftsteller selber in der Gewalt; und sind diese bekehrt, so wird die kleine s-Stürmerei auch bald die lesenden Sprechklassen ergreifen.
Wurde denn die alte Unrechtschreibung Undt, Strasse, Sammpt, Lannd anders als bloß durch schreibende, nicht sprechende Gültigkeiten (Autoritäten) verdrungen und ausgeschnitten? Freilich galt es dort Ausrottung nur geschriebener Mitlauter, hier aber ausgesprochener; allein wenn sogar die ausgesprochenen Selblauter der ältesten deutschen Sprache, die herrlichen o und u und a und au, sich in Mitlauter und höchstens in dünne e, ö, ä, äu verloren haben, so wird wohl doch ein elender schlangenstummer Zischlauter wie das s, nach der Verjagung der Könige, abzusetzen sein durch ein oder ein Paar tausend Schreiber, die sich dazu vereinigen unter Wolke's Fahne. Freilich bloß das Publikum entscheidet und sagt bei diesen Trauungen, wie in England der Küster bei menschlichen, das Amen, ja es befiehlt, wo es zu gehorchen scheint, wie der Feldmarschall Suwarow seinen Untergeordneten gehorsam war, wenn sie ihm etwas im Namen des Feldmarschalls befahlen.
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