Zitat Zitat von John Donne Beitrag anzeigen
Undiszipliniert ist vielleicht der falsche Ausdruck. Er verfolgt seine Ziele m.E. nicht konsequent genug und ja, die Nerven spielen da sicher eine große Rolle. Er steht sich selbst im Weg. Iwantschuk kann vom Potential her jeden schlagen. Wenn er gut drauf ist, tut er das auch. Wenn es aber schlecht läuft, spielt er offensichtlich lustlos und deutlich unter seinen Möglichkeiten. Er hat was Autistisches, ja. Er ist ein sehr fairer Spieler und ich mag ihn einfach.
Ivanchuk hat ja auch schon so ziemlich jeden geschlagen.

Unabhängig davon, ich finde, dass die Schachweltmeisterschaft für mich an Gewicht eingebüßt hat. Durch die Professionalisierung des Schachs sind da, wo früher mal 4-5 Großmeister der absoluten Weltklasse waren heute gefühlt 20. Eine gewisse Lücke ist (trotz aktueller Formschwäche bei der WM) zwischen Magnus Carlsen und dem Rest, ansonsten sind da plötzlich mindestens 10 Spieler, bei denen es wirklich an der Form hängt, wer wen gerade bei welchem Turnier schlägt und wer wo dominiert. Eher 15.

Durch die professionellere Arbeit als Schachspieler der Weltspitze verlieren die Älteren weniger schnell an Spielstärke und jüngere rücken viel schneller nach und erreichen ihren Peak viel schneller. Altmeister wie Kramnik, Topalov und Anand (oder auch Ivanchuk) mögen nicht mehr ganz auf dem Niveau ihrer besten Zeiten sein, aber sie verlieren nicht so schnell an Spielstärke und es ist gut denkbar, dass ein Anand noch in 10 Jahren jedes Turnier oder jeden Wettkampf der Welt gewinnen könnte in einem Formhoch (wie er auch wieder das Kandidatenturnier dominiert hätte, wäre er nicht zweimal direkt in eine vorbereitete Variante gelaufen).

Auf der anderen Seite des Altersspektrums sieht man dann Leute wie Anish Giri, die dank der Professionalisierung immer jünger werden, wenn sie in die Weltklasse vorstoßen. Dazwischen gibt es alle Altersgruppen, die Caruanas, Karjakins und La Graves, die vor 4 Jahren die neu anrückenden Giris waren, Leute wie Aronjan und Co. die auch noch absehbar auf Jahre jeden schlagen können. Nakamura hatte mal irgendwann in einem Interview vor ein paar Jahren gesagt, es sei schön, dass er als Youngstar und Hoffnungsträger für morgen tituliert werde, aber wenn er sich auf Schacholympiaden etc. umguckt, fühlt er sich wie ein alter Sack.

Carlsen hat sich den Ruf als Weltmeister verdient, aber Karjakin ist für mich aus einem Pool von ca. 10 Spielern oder mehr gezogen worden, die mindestens genauso würdige Herausforderer gewesen wären. Wenn er Weltmeister wird hat er den Wettkampf verdient gewonnen, aber sorry, das wäre so ein bisschen ein Ponomariov-Weltmeister.

Ich finde den Sieg bei der Grand Chess Tour mittlerweile irgendwie gewichtiger als den Weltmeistertitel, den ich fast irgendwie auf Weltpokallevel sehe. Ideal waren die langen WM-Zweikämpfe natürlich für die Kasparow-Karpow-Ära ... das waren wirklich die beiden mit Abstand besten Spieler der 80er und frühen 90er und es musste ein langer Wettkampf zwischen denen her, um den minimalen Spielstärkeunterschied zwischen ihnen auch wirklich klarzustellen. Auch bei Kortschnoi und Karpow, Spassky und Fischer war doch deutlich, dass der Verlierer eben auch wirklich immerhin die Nummer 2 der Welt war.