Kisslers Konter: Wieder einmal wird die Kanzlerin durch einen Kirchenoberen ausgezeichnet. Doch der enge Schulterschluss mit der Regierung schadet der Kirche. Sie wird immer belangloser und schrumpft zum Milieuverein

Auf den kommenden Mittwoch darf sich Angela Merkel freuen. In Stuttgart wird die Bundeskanzlerin mit einem Preis ausgezeichnet. Er ist nach einem 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten Widerstandskämpfer benannt, dem katholischen Zentrums-Politiker Eugen Bolz. Prämiert werden soll Merkels Einsatz gegen „rechtsradikale Bewegungen“, für die „humanitären und christlichen Werte der Europäischen Union“ und für „eine Willkommenskultur“. Die CDU-Politikerin gestalte Politik „aus christlicher Verantwortung“.

Man kann lange darüber sinnieren, ob der hehre Kriterienkatalog mit Stellenbeschreibung und Amtsführung identisch sind. Ob Selbstverständlichkeiten wie das Einschreiten der Staatsspitze gegen staatsfeindliche Umtriebe preiswürdig sind, ob nicht eine scharfe Grenze verläuft zwischen humanitären und christlichen Werten, ob nicht die gesellschaftlichen, sozialen, finanziellen Folgekosten des nachträglich zur Willkommenskultur aufgehübschten Kontrollverlusts diese vermeintliche Kultur als unklug, wenn nicht verblendet erscheinen lässt und somit unbiblisch. Als Torheit ohne Mandat. Unstrittig aber wird sich am Mittwoch politisch-klerikale Milieupflege vollziehen. Zum Lobredner auf Angela Merkel ist Reinhard Marx erkoren, Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz.
Froher Dienst an der Exekutive

Böse Zungen mögen einwenden: Wann war er etwas anderes, der München-Freisinger Erzbischof? Wozu, wenn nicht zum Lobe Merkels, hat sich ihm jüngst die Zunge gelöst? Er und sein evangelisches Pendant, Heinrich Bedford-Strohm, gelten als der Kanzlerin treueste Fanboys. Und dienten Preisverleihungen je einem anderen Zweck als der Milieuvergewisserung? Man denke an die bizarre Auszeichnung des Euros mit dem Internationalen Karlspreis, an die kontrafaktischen Friedensnobelpreise für Jassir Arafat und Barack Obama oder an die Europäische Toleranz-Medaille 2016 für Martin Schulz, die Tony Blair dem Würselener überreichen soll. Politische Preise sind neuer Kitt zwischen alten Partnern, die vom selben Tellerchen essen und im selben Bettchen schlafen.

Die politisch-klerikale Kohabitation vollendet darum den Wandel der Kirche zum Milieuverein. Die Verengung der Klientel ist der Preis der Politisierung. Die Kirchensteuerkirchen entrichten ihn gern. Sie verbrüdern sich – absurderweise im Namen der Barmherzigkeit für die Kleinen – mit den Mächtigen, weil dort Beifall, Macht und Bestandsgarantie locken. Die Reinhard-Marx- ist die Gesine-Schwan- ist die Angela-Merkel-Kirche.

Ob Gesine Schwan die katholische Kirche lobt, weil sie „Kurs hält in der Flüchtlingspolitik“; ob Angela Merkel vor katholischem Publikum die Probleme und Gefahren unregulierter Zuwanderung mit den Schwierigkeiten „nach der deutschen Einheit“ vergleicht und verniedlicht; ob Bischöfe im Wahljahr 2017 Einsatz erbitten für „gut funktionierende Institutionen“ (Reinhard Marx), ob sie Bekenntnisse fordern zu den „Grundwerten des demokratischen Rechtsstaates“ (Stephan Burger) oder davor warnen, „die Demokratie und ihre Errungenschaften in schlechtem Licht erscheinen“ (Helmut Dieser) zu lassen: Das ist alles eins. An der Treue zum Diesseits sollt ihr sie erkennen. Und am frohen Dienst an der Exekutive.
Steigende Einnahmen, leere Kirchenbänke

Wer heute eine Kirche betritt, sich vielleicht einem Gottesdienst aussetzt, der weiß, was er meistens bekommt: das gute Gefühl, auf der politisch richtigen Seite zu stehen. Also „für Flüchtlinge“ und „gegen rechts“ zu sein, für Merkel und gegen Trump, für Klimaschutz und gegen Einwegflaschen. So dröhnt, so flötet es von den Kanzeln herab.

Politik beruht indes auf Grenzen. Sie scheidet das Publikum grundsätzlich in jene, die zustimmen, und jene, die ablehnen. Insofern führen Milieupflege und Klientelismus zur Selbstverzwergung.

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