Spiegel Online / 19.08.2016
Zulieferbetriebe
Die heimlichen Autohersteller
Der Kampf von VW mit einem Teilelieferanten verdeutlicht, wie wichtig die Rolle von Zulieferern ist. Teilweise bauen die Hersteller nur noch ein Viertel eines Autos selbst - und dieser Trend wird weitergehen.
Die Bedeutung von Zulieferbetrieben in der Automobilindustrie lässt sich ganz einfach vergegenwärtigen: Man muss ich nur einen Pkw ohne all die Teile vorstellen, die Firmen wie Bosch, Continental oder Mahle liefern - mehr als Karosserie und Motor bleibt dann oft nicht übrig. "Etwa 70 Prozent der Komponenten eines Autos stammen von Zulieferern", sagt Jan Dannenberg, Partner der Beratungsagentur Berylls Strategy Advisors aus München.
Wozu es führen kann, wenn selbst ein vergleichsweise kleiner Zulieferer nicht mehr liefert,zeigt sich derzeit bei einem der größten Autohersteller der Welt: Bei Volkswagen ist in fünf Werken die Produktion ins Stocken geraten. Das beliebteste Auto der Deutschen, der VW Golf, läuft nicht mehr vom Band.
Etwa 1500 Zulieferbetriebe in Deutschland
Vom Scheibenwischer über die Stoßdämpfer und Räder bis zum Sitzbezug und dem Infotainmentsystem - fast Dreiviertel einer Mercedes E-Klasse, eines Audi A4 oder eines Ford Fiesta kommen nicht aus dem Werk des Herstellers selbst. "Die meisten Automarken konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen, und das sind die Entwicklung, die Montage und der Vertrieb eines Wagens", sagt Dannenberg. "Einzelne Komponenten beziehen sie dagegen in der Regel von externen Unternehmen, weil eine Eigenproduktion sich nicht lohnen würde."
Welche Bedeutung Zulieferbetriebe gerade in Deutschland haben, lässt sich vor allem auch an Zahlen ablesen:
Laut Angaben des Verbands der Automobilindustrie (VDA) lag der Umsatz der Zulieferindustrie hierzulande im vergangenen Jahr bei rund 76 Milliarden Euro (zum Vergleich: die gesamte Automobilindustrie in Deutschland setzte rund 405 Milliarden um)
Die Zahl der in diesen Betrieben beschäftigten Menschen liegt laut VDA bei rund 301.000, damit entfällt fast jeder dritte Arbeitsplatz in der gesamten Automobilindustrie auf diesen Industriezweig
Berylls-Experte Dannenberg schätzt die absoluten Zahlen sogar noch viel höher ein, denn einige Zulieferbetriebe seien nicht im VDA organisiert und fehlten deshalb in der Statistik. Insgesamt gibt es laut Dannenberg etwa 1500 Automobilzulieferbetriebe in Deutschland, inklusive rund 500 Ablegern ausländischer Unternehmen.
"Mittelständisch geprägt und kerngesund"
"Das ist eine sehr mittelständisch geprägte und kerngesunde Branche", sagt Dannenberg. Seit 2009 verzeichne sie Zuwächse, die Eigenkapitalquoten der Betriebe seien meist sehr hoch.
Und es gibt gleich mehrere Trends und Entwicklungen in der Automobilindustrie, die den Zulieferern noch mehr Aufträge verspricht:
"Viele Autohersteller definieren sich mittlerweile als Mobilitätsdienstleister und richten ihr Geschäftsmodell entsprechend aus: Sie investieren in Mitfahrzentralen, Carsharing- und Taxi-Vermittlungsdienste", sagt Dannenberg. An anderer Stelle werde daher gespart - auf die eigene Produktion von Zylindern und Pleuel verzichten BMW, Audi und Co.
"Um die strengeren Emissionsgrenzwerte der EU einzuhalten, sind die Autohersteller immer mehr auf innovative Technologien angewiesen", so Dannenberg. 65 Prozent solcher Innovationen stammen heute bereits von Zulieferern, der Anteil wird nach Ansicht des Analysten steigen.
Das Gleiche gelte für die großen Zukunftsthemen der Autobranche - selbstfahrende Autos brauchen Radare und Kameras, für die Vernetzung der Fahrzeuge müssen clevere Softwareprogramme geschrieben werden. Das Know-How liegt hier bei Zulieferbetrieben, für die Automarken wäre der Aufbau einer eigenen Entwicklung zu kostspielig.
Nach Einschätzung von Dannenberg führt all das dazu, dass der Anteil extern zugekaufter Komponenten noch um bis zu zehn Prozentpunkte steigen könnte. Das bedeutet auch, dass die Abhängigkeit der Autohersteller von den Zulieferern wächst. Welche Folgen ergeben sich daraus?
"An Machtspielen ist normalerweise keine Seite interessiert"
Ein großer Nachteil ist sicher die Gefahr großer Rückrufaktionen. Kommt es bei einem Zulieferer zu Qualitätsmängeln, können gleich mehrere Hersteller betroffen sein. Bestes Beispiel dafür ist die Misere um den Zulieferer Takata, zu dessen Kunden zahlreiche Automarken zählen. Weil die von dem Unternehmen hergestellten Airbags möglicherweise defekt sind, mussten weltweit mehr als 50 Millionen Autos in die Werkstätten.
Streit-Exzesse, wie sie sich derzeit zwischen Volkswagen und zwei Zulieferern abspielen, werden die absolute Ausnahme bleiben, glaubt Dannenberg. "An solchen Machtspielen ist normalerweise keine Seite interessiert", sagt er, schließlich hätten sie nur Umsatzeinbußen für alle Beteiligten zur Folge.
Wenn wie jetzt die Bänder in einigen VW-Werken still stehen, geraten nicht zuletzt auch Zulieferer unter Druck, die mit dem Konflikt gar nichts zu tun haben - und das sind bekanntlich nicht gerade wenige Betriebe.
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