Schamhaare, Abtreibungen und Gekreische – So bekämpft Kunst Rassismus
Dominik Bardow
May 9 2017, 9:45am
Ein Künstler in Berlin will "böse weiße Männer" bekehren, indem er ihre Penisse umprogrammiert. Wahnsinn oder Methode?
Du hältst dich für einen ziemlich aufgeklärten Typen? Der nichts gegen Frauen, Schwule und Ausländer hat, der Donald Trump, AfD und den Brexit eher nicht so geil findet? Nun, vielleicht sehen das deine Schamhaare ganz anders. Darüber schonmal nachgedacht? Unter der Gürtellinie könntest du heimlich ein Rassist und Sexist sein.
Dann müsste dein Penis dringend mal angeschrien werden, damit er wieder zur Vernunft kommt.
Michael Portnoy jedenfalls sieht das so. Der Performance-Künstler aus New York hat am vergangenen Wochenende in Berlin eine einmalig-absurde Aktion gestartet:
Er hat 19 Männer nackt auf Liegen gebunden und ihren Unterleib mit Gesängen, Geräuschen und Geschrei malträtiert. Mit seiner Performance "Progressive Touch – Total Body Language Reprogramming" will er den Männern das innere Schwein austreiben. Ohne Zuschauer, an einem geheimen Ort, keine Details vorab. Einzige Bedingung für die Freiwilligen: Ihr Schamhaar musste mindestens drei Zentimeter lang sein.
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Victor war dabei. Zwei Tage später wirkt der 45-Jährige immer noch leicht verstört. Was ihm genau passiert ist, kann er nur schwer in Worte fassen. "Ich wurde am Samstagabend abgeholt und mit verbundenen Augen durch die Stadt gefahren", erzählt er. Eigentlich ist der Film-Set-Designer nur eingesprungen, weil ein Freund, der sich freiwillig gemeldet hatte, doch nicht konnte. "Mit Nacktsein habe ich kein Problem und ich sah's als lustige Erfahrung", sagt er.
Helfer des Künstlers fragten ihn im Auto aus: ob er in einer Beziehung sei, hetero oder schwul, sexuelle und politische Präferenzen, wie er Trump finde. An einem Fabrikgelände irgendwo in Berlin angekommen wurde er in einen Keller geführt. In einem dunklen Vorzimmer, immerhin beheizt, musste Victor sich ausziehen und dann in einen größeren Raum gehen, in dem vier Stühle standen. Kopfüber wurde er am ersten Liegestuhl festgebunden, die Füße höher als der Kopf. "Ich hatte aber keine Angst, dass ich gleich mit Scheiße beschmiert werde oder so", sagt Victor.
Der Künstler Michael Portnoy und seine Partnerin, die Schauspielerin Lily McMenamy, traten ein und legten sofort los. Was genau sie machten, fällt Victor immer noch schwer zu beschreiben. "Sie tanzten um mich herum, aus Boxen kamen arhythmische Musik und langgezogene Töne, wie singende Sägen, sie hat dazu gekreischt, er klang eher bassig." Das Wenigste waren Wörter, vieles unverständliches Gemurmel.
Immer wieder englische Worte wie "Body" oder "White Male". "Es war ein bisschen angetrippt", erinnert sich Victor. "Ich habe schon mal LSD genommen, das hatte sowas davon."
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Portnoy scheint sich jedenfalls etwas dabei gedacht zu haben:
Er will das "White Male Problem" lösen, die vielen weißen Heteros, die für Trump und Brexit stimmen, mit Musik und Tanz bekehren. Denn Vorurteile säßen bei jedem tief verborgen. "Jeder Gedanke, jede Idee hat einen eigenen Rhythmus im Körper", erklärt er. Dieses System könne man aber zum Absturz bringen und rebooten, indem man es mit Sinneseindrücken überlädt.
Aber warum muss man dafür ausgerechnet den Penis besingen? "Das Schambein ist einer der Knochen im Körper, der am meisten bei Tönen schwingt", begründet er. Und wozu drei Zentimeter Schamhaar? Schalldämpfer, sagt er. Aha.
Ist das also Kunst oder hat das Zweck?
Das "KW Institute for Contemporary Art", das Portnoy nach Berlin eingeladen hat, scheint jedenfalls daran zu glauben, dass sein seit drei Jahren entwickeltes Konzept, das er schon in Schweden und Großbritannien getestet hat, nun reif ist, erstmals zur Umerziehung von Männern eingesetzt zu werden.
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Und wie war es für Victor? Der 45-Jährige hat sich vorher nicht als Rassisten und Sexisten gesehen und tut es auch jetzt nicht. Also überhaupt keine Veränderung? Doch: "In der Nacht danach habe ich so intensiv geträumt wie seit Ewigkeiten nicht", berichtet er. "Ich bin morgens richtig beschwingt über die Straßen gelaufen, die Sonne schien, alles wirkte positiver." Victor schweigt und schaut verträumt in die Luft.
Seine Augen glänzen für einen Moment kindlich-glücklich. Nicht wie die eines bösen weißen Mannes. Sondern wie jemand, der im Reinen ist mit sich und der Welt. Selbst wenn in dieser Welt seine Schamhaare angeschrien werden.