Seit dem Mai 2017 sitzt die Alternative für Deutschland in 13 von 16 deutschen Landesparlamenten. Im September wird sie wahrscheinlich auch in den 19. deutschen Bundestag einziehen. Mit Blick auf diesen andauernden Erfolg der Partei möchte ich dazu aufrufen die Aussagen der Parteifunktionäre und Mitglieder genauer zu hinterfragen und nicht alles zu glauben was Gauland, Weidel, Petry und Co sagen.
Im Interview mit dem Tagesspiegel behauptete im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 der Spitzenkandidat der AFD Georg Pazderski: „Ich habe zwei Jahre in Kanada und fünf Jahre in den USA gelebt. Das sind Einwanderungsländer, diese Staaten suchen sich ihre Einwanderer aus. Zu uns kamen zuletzt aber 65 Prozent Analphabeten“ (Heine, Maroldt, Ide 2016).
Hat er mit dieser Aussage recht und kann man die Prozentzahl der Analphabeten unter den Geflüchteten belegen?
Die Antwort lautet: Nein, weder ist die Zahl belegbar noch ist anzunehmen, dass so viele Flüchtlinge Analphabeten sind. Obwohl die Bildungsunterschiede zwischen den Schutzsuchenden groß sind und Daten über deren Bildungsniveau nicht vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass die Flüchtlinge, die zu uns kommen, eher gut gebildet sind, da sie entsprechendes Kapital besitzen und sich die teure Flucht leisten konnten. Auch der Blick auf das Vorkriegssyrien zeigt, dass es 2011 eine Einschulungsquote von 97 Prozent und eine Analphabetenrate von 15 Prozent gab, womit Syrien im internationalen Mittel lag (vgl.: Weber 2017: 210f.). Zwar ist zu vermuten, dass durch den anhaltenden Bürgerkrieg die Zahl der Kinder, die zur Schule gehen abnimmt und somit auch die Alphabetisierungsrate sinkt und auch nicht nur Syrer_innen nach Deutschland gekommen sind. Dennoch bleibt die Prozentangabe von Pazderski nicht nachweisbar und ist als sehr zweifelhaft anzusehen.
Ein zweites Beispiel möchte ich anführen. Am 04.03.2017 twitterte die Berliner AfD: „Schweden: Es gilt eine massive Reisewahrnung [sic!] gültig seit 1. März.. [sic!] Heraus gegeben vom Auswärtige Amt [sic!], also die...“ (AfD Berlin 2017). Mit dieser Information gab die AfD eine Falschmeldung heraus und diese hatte obendrein noch eine Reihe an Rechtschreibfehlern. Das Auswärtige Amt dementierte unverzüglich den Tweet der Berliner AfD und auch die Partei stellte fest, dass der Begriff der Reisewarnung „objektiv falsch“ sei, löschte aber bis heute den Tweet nicht (vgl.: Weiland 2017). Zwar musste sich die Partei einiges an Spott und Häme für diesen Tweet im Internet gefallen lassen, aber es gab auch 36 Retweets und 45 „Gefällt-mir“-Angaben. Ob die Verbreiter_innen und Befürworter_innen des Tweets dies aus Überzeugung taten, weil sie die Information glaubten, kann nicht endgültig geklärt werden. Es ist aber anzunehmen, dass dies auf einige Nutzer_innen des Kurznachrichtendienstes zutrifft.
Insbesondere das zweite Beispiel – viele weitere würden sich finden lassen – zeigt ein typisches Vorgehen bei der Verbreitung von Fake News auf. Die Verbreitung von Falschnachrichten ist zwar kein neues Phänomen, aber der starke und absichtliche Anstieg in den letzten zwei Jahren ist erschreckend. Daher verstehe ich unter Fake News die absichtliche Verbreitung von Informationen, insbesondere über das Internet und vor allem über soziale Medien, welche eine politische oder kommerzielle Manipulation der Öffentlichkeit zum Ziel hat (vgl. Klein/ Wueller 2017: 6; Deutscher Bundestag 2017:6). Fake News sind insbesondere bei Populisten ein bevorzugtes Mittel, um die Themen in die Öffentlichkeit zu setzen und zu lenken. Dieses Muster nutzt auch die AfD immer wieder und insbesondere soziale Medien sind eine wichtige Kommunikationsplattform der Partei.
Bei der Betrachtung der „Gefällt-mir“ Angaben sticht die AfD bei Facebook mit 327.475 Angaben klar hervor (vgl.: Facebook-Auftritt der AfD; stand 04.07.2017). Die anderen Parteien kommen maximal auf 198.495 „Gefällt-mir“ Klicks und werden von der Links-Partei angeführt (vgl.: Facebook-Auftritt Die Linke; stand 04.07.2017). Bei Twitter ist die AfD als Bundespartei zwar Schlusslicht, die einzelnen Spitzenkräfte der Partei haben aber alle eine starke Anhängerschaft bei dem Kurznachrichtendienst. Mit über 40.600 Followern und 2.259 Tweets (vgl.: Twitter-Auftritt Frauke Petry; stand 04.07.2017) ist die Parteivorsitzende Frauke Petry hier sehr präsent und hat eine größere Reichweite als viele Bundestagsabgeordneten. Es wird deutlich und dies stützt auch eine Studie von Tagesspiegel und Netzpolitik.org, dass die AfD eine stark personalisierte Strategie in der Twitter-Nutzung verfolgt. Gerade mit den sozialen Medien können die AfD-Politiker_innen Nachrichten in die Welt setzen, bzw. Diskussionen beginnen, welche parallel zum öffentlichen Mediendiskurs geführt werden. Somit versuchen sie die von ihnen stark kritisierte „Lügenpresse“ zu umgehen und eine „wahre“ Medienlandschaft zu etablieren (vgl.: Fiedler u.a. 2017).
Immer wieder kommt es vor, dass bestimmte Print- und Onlinemedien die Nachrichten, die die AfD in die Welt setzt, aufgreifen und weiterverbreiten. Eine starke Verbindung besteht dabei vor allem zwischen der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und der AfD. Diese inhaltliche Verbindung stellte Bundestagsspitzenkandidat Alexander Gauland heraus, indem er sagte, dass man die „Junge Freiheit“ lesen müsse, um die AfD zu verstehen (vgl.: Kohrs 2017: 167f.). Auch andere Medien berichten gerne über die Skandale und Stimmungsmache der AfD. Obwohl viele Zeitungen, Hör- und Rundfunkanstalten differenziert mit den Aussagen der Partei umgehen und es mittlerweile viele FaktenChecks gibt, unterliegen sie doch gewissen Marktmechanismen, sodass sie über die Partei berichten müssen. Je polarisierender dabei die Aussagen der Politiker_innen sind, desto eher greifen die Journalist_innen, welche immer auf der Suche nach einer guten Schlagzeile sind, diese Informationen auf. Somit „ist [es] eine große Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Medien, denen aus der AfD stets der Vorwurf gemacht wurde, ihr zu schaden, vielleicht größeren Anteil an ihrem Erfolg hatten als die Programmarbeit der Parteimitglieder“ (Bender 2017: 14). Die Massenmedien sind somit eine wichtige Plattform für die AfD, obwohl sie von der Partei selbst immer als „Lügenpresse“ dargestellt werden.
Den Prozess, dass sich die Medien immer auf provokante Äußerungen stürzen, hat Frauke Petry früh erkannt und formulierte in einer E-Mail an die Parteimitglieder, dass provokante und pointierte Aussagen unerlässlich seien. In einem zweiten Schritt könne man den Sachverhalt angemessen und umfassend darstellen (vgl.: Steffen 2016). Somit bleibt die Partei immer wieder Gesprächsthema in allen Medien. Dieses Vorgehen – erst provozieren, dann revidieren – kann wohl als Schlüsselpunkt in der Medienstrategie der AfD gesehen werden. In meinen Anfangsbeispielen zeigt sich, dass die Partei diese Strategie konsequent anwendet und sich damit immer wieder erfolgreich in den Medien platziert.
Mit Blick auf die aufgeworfenen Punkte, möchte ich appellieren, dass wir es wieder lernen müssen, uns mit Medien verstärkt auseinanderzusetzen. Nicht alles was wir hören, lesen oder sehen ist wahr. Gerade in Zeiten, in denen die Informationen immer schneller über Social-Media-Kanäle zu uns kommen und wir täglich mit hunderten Schlagzeilen überhäuft werden, ist es wichtig, dass wir nicht alles hinnehmen, was uns präsentiert wird. Häufig lohnt es sich auch nur ein wenig zu recherchieren oder Vergleiche mit anderen Medien zu ziehen, um zu erkennen, welche Nachrichten Fake News sind. In den Sozialen Medien, bzw. im Internet wird man es nie ganz vermeiden können, dass sich Fake News verbreiten. Durch die Schaffung eines parallelen Mediendiskurses durch die AfD oder andere populistische Parteien versuchen diese ganz gezielt überspitze, polarisierende und falsche Meldungen zu verbreiten. Ob das Netzdurchsetzungsgesetz, welches der Bundestag am vergangenen Freitag beschlossen hat, diesem Prozess etwas entgegensetzen kann bleibt abzuwarten und ist in meinen Augen fraglich.
Es bleibt damit die Aufgabe von uns Leser_innen und Hörer_innen von Nachrichten, die Medieninhalte zu hinterfragen. Es ist aber auch Aufgabe von Journalist_innen die Informationen von alles Seiten zu beleuchten und Fake News zu identifizieren, sodass diese gar nicht erst über die großen Massenmedien verbreitet werden. Dabei ist es wichtig, dass Journalist_innen nicht gleich die erste Statistik heranziehen, die ihr Argument unterstützt, sondern Zahlen und Fakten gewissenhaft recherchieren und bewerten.
Wenn es uns gelingt dem Qualitätsjournalismus wieder mehr Bedeutung zu geben, nicht die ersten gehörten Meinungen zu glauben, sich selbst ein vielseitiges Bild über verschiedene Fakten zu schaffen und die Sozialen Medien nicht als Hauptinformationsquelle zu nutzen, dann kann unsere Gesellschaft in meinen Augen einer Kommunikationsstrategie, wie sie durch die AfD verfolgt wird, entschieden gegenübertreten. Vielleicht gelingt es uns dann auch das Phänomen der Fake News einzudämmen, die breite Masse zu überzeugen und viele Forderungen, die populistische Parteien haben, als unwahr, unrealistisch und überzogen aufzudecken.
AfD Berlin: Schweden: Es gilt eine massive Reisewahrnung gültig seit 1. März.. Heraus gegeben vom Auswärtige Amt, also die... [Links nur für registrierte Nutzer]. 04.03.2017; 23:51. [Links nur für registrierte Nutzer]; Aufruf: 24.06.2017
Bender, Justus: Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland. München 2017
Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Fake-News. Definition und Rechtslage. Sachstand WD 10 – 3000 – 003/17. [Links nur für registrierte Nutzer]; letzter Aufruf: 24.06.2017
Facebook-Auftritt der AfD : Alternative für Deutschland. [Links nur für registrierte Nutzer]; Aufruf: 04.07.2017
Facebook-Auftritt Die Linke: Hier ist DIE LINKE. [Links nur für registrierte Nutzer]; letzter Aufruf: 04.07.2017
Fiedler, Maria; Kreil, Michael; Lehmann, Hendrik; Reuter, Markus; Rost, Lisa Charlotte: So twitter die AfD. In: DIGITALPRESENT/ DER TAGESSPIEGEL vom 18.04.2017. [Links nur für registrierte Nutzer]; letzter Aufruf: 24.06.2017
Heine, Hannes; Maroldt, Lorenz; Ide, Robert: „Sie wollen Spaltung!“ – „Und Sie wollen Experimente!“ Streitgespräch zwischen Linke und AfD in Berlin. In: DER TAGESSPIEGEL vom 12.06.2016. [Links nur für registrierte Nutzer]; Aufruf: 24.06.2017
Klein, David O.; Wueller, Joshua R.: Fake News: A Legal Perspective: In: Journal of Internet Law. Vol. 20; No. 10 (2017); S. 1, 6-13
Kohrs, Camilla: Die Medien der Neuen Rechten. In: Correctiv.org; Bensmann, Marcus; Daniels, Justus von; Grill, Markus; Hauptmeier, Ariel; Kohrs, Camilla; Orosz, Marta; Röttger, Tania: Schwarzbuch AfD. Fakten Figuren Hintergründe. Essen 2017; S.166-194
Steffen, Tilman: Provozieren, relativieren, dementieren. AfD. In: ZEIT ONLINE vom 31.05.2016. [Links nur für registrierte Nutzer]; Aufruf 24.06.2017
Twitter-Auftritt Frauke Petry: Bürger an die Macht! [Links nur für registrierte Nutzer]; Aufruf: 04.07.2017
Weber, Daniela: Die AfD sagt, Flüchtlinge seien in der Mehrzahl Analphabeten. Stimmt das? In: Correctiv.org; Bensmann, Marcus; Daniels, Justus von; Grill, Markus; Hauptmeier, Ariel; Kohrs, Camilla; Orosz, Marta; Röttger, Tania: Schwarzbuch AfD. Fakten Figuren Hintergründe. Essen 2017; S.210-211
Weiland, Severin: AfD hält an Fake News fest. Erfundene Reisewarnung für Schweden. In SPIEGEL ONLINE vom 07.03.2017; [Links nur für registrierte Nutzer]; Aufruf: 24.06.2017