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Volksseuche Smartphonezombie
Beschreibung des Phänomens
Neulich am Wiener Schwedenplatz im Durchgang zur U-Bahn. Eine Frau Mitte Dreißig, das mittellange, brünette Haar offen tragend und modern angezogen, schreitet gesenkten Hauptes, ihr Smartphone in der Linken und mit den Fingern der rechten Hand auf dem Display hantierend, den Blick starr auf das Gerät gerichtet, Richtung Rolltreppe. Zwei Meter vor ihr ist ein kurzhaariger junger Mann mit Baseballkappe, der in die gleiche Richtung geht, eifrig damit beschäftigt auf seinem Tablet etwas zu beobachten, das er links und rechts fest in seinen Händen hält. Später wird sich herausstellen, dass es ein Fußballspiel war, welchem er seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmete. Plötzlich beugt er sich vornüber und bleibt unvermittelt stehen, wobei er eine Lautäußerung der Freude von sich gibt, die sich am besten mit „jäääaaahh“ beschreiben lässt. Gleichzeitig marschiert die Frau mit gleichbleibend hohem Tempo, ganz in ihre Tätigkeit versunken, geradewegs auf das menschliche Hindernis zu. Ein Mann mittleren Alters mit langem, leicht ergrautem, dunklem Haar, der die Szene aus kurzer Entfernung beobachtet, versucht die Frau durch Zurufe zu warnen, vergeblich. Es kommt wie es kommen muss, die Frau läuft ungebremst auf das Hinterteil des hinabgebeugten Mannes, wodurch dieser das Gleichgewicht verliert und vornüber fällt. Durch die Wucht des Aufpralls zieht es der Frau die Beine weg, sie fällt nahezu gleichzeitig mit dem Mann und landet schlussendlich auf seinem Rücken. Beide klammern sich wortlos an die während des gesamten Unfallablaufes reflexartig zur Seite gehaltenen Lieblingsspielzeuge und kontrollieren im Wiederaufstehen, ob diese schaden nahmen. Noch ehe sie sich über ihre eigenen Verletzungen oder die des Unfallbeteiligten Gedanken machen, versteht sich. Eine alltägliche Szene, die sich hundertfach zuträgt. Doch Verlust der Umweltwahrnehmung und die Mechanisierung alltäglicher Handlungen ist nur eines von vielen Symptomen, die solcherart erkrankte Mitmenschen plagen. Ging man früher von einem ganz gewöhnlichen Modetrend aus, der bald wieder verschwinden würde, weiß man heute aus verschiedenen Studien, dass es sich um schwere und ansteckende Krankheit handelt, deren Opfer sukzessive in kleinen Schritten die Wahrnehmung ihrer Umwelt schwerer fällt.
Krankheitsbild
Stets auf das Display seines Smartphones konzentriert, ohne seine Umwelt zu beachten oder auch nur wahrzunehmen, wandelt der Smartphonezombie unter den Lebenden. In jeder Stadt rund um den Globus bestimmt er in tagtäglich steigender Zahl das Bild der urbanen Straße. Es handelt sich dabei offensichtlich um eine hochinfektiöse Pandemie, die vor keinem Kulturkreis halt macht, und in allen Gesellschaftskreisen Verbreitung findet, woraus die Gruppe um Dr. Larry Widged vom MIT schließt, dass die Erkrankung durch ein Memvirus verursacht werden könnte, welches sich weiterverbreitet, wenn gesunde Menschen oft und lange mit dem Smartphonevirus Infizierte betrachten. Studien zeigten zudem, dass sich der Verlauf der Erkrankung in den meisten Fällen ähnelt, ungeachtet von Alter, Geschlecht oder gesellschaftlicher Stellung. In vielen Fällen ist die Erkrankung des Smartphonezombies bereits so weit fortgeschritten, dass es ihm nicht möglich ist länger als fünf Minuten auszuhalten, ohne zumindest eine kurzen Blick auf seine Smartphoneoberfläche geworfen zu haben. In besonders schlimmen Fällen muss der Touchscreen zusätzlich berührt werden. Dieses manische Verhalten wirkt sich vor allem beim Lenken von Fahrzeugen in hohem Maße zerstörerisch aus, führt zu schweren Unfällen und oftmals auch zum Tod. Dies wird vom Erkrankten selbst meist nicht wahrgenommen, seine Sucht verhindert dies. Am schlimmsten trifft den Smartphonezombie der kalte Entzug, welcher aus verschiedenen Gründen resultieren kann. Die häufigsten Auslöser dafür sind Verlust des Gerätes, technische Defekte, leere Akkus und vergessene Ladegeräte. Mildere Symptome sind bei Netzverlust infolge Aufenthaltes in einem Funkloch, Problemen des Providers oder defekten SIM-Karten zu erwarten.
Therapiemöglichkeiten
Die Therapie des Smartphonezombies gestaltet sich im Allgemeinen äußerst schwierig, ist langwierig und sollte stets unter fachkundiger Aufsicht durchgeführt werden. Abzuraten ist von plötzlicher Abstinenz, da diese meist schwierige Komplikationen impliziert, welche bis zum völligen Kommunikationsverlust führen können. In seltenen Fällen kommt es dabei zum sogenannten Smartphonewahn, der sich durch plötzlich auftretenden, heftigen Drang äußert sofort den nächstgelegenen Handyshop zu besuchen und das neueste Gerätemodell durch Abschluss eines Flat-Rate-Bindungsvertrages auf Jahre zu kaufen, welches über dermaßen fortgeschrittene Funktionen verfügt, dass sie der durchschnittliche Smartphonezombie niemals verwenden wird. Um derart heftige Entzugserscheinungen zu vermeiden hat sich die Anschaffung eines Tablets bestens bewährt. Dieses weist ein Betriebssystem auf, welches in all seiner Unzulänglichkeit, schlechten Performance und unlogischen Benutzeroberfläche auch auf den Smartphones Verwendung findet. Aufgrund dieser Eigenschaften ist das Tablet hervorragend geeignet dem Erkrankten die stärksten Symptome des Smartphoneentzugs zu mildern. Auch das im Vergleich zum Smartphone größere Display des Touchscreens kann dabei hilfreich sein, die Smartphoneerkrankung überwinden zu helfen.
Prävention
Da die Durchseuchungsrate der Gesellschaft mit dem Virus bereits weit fortgeschritten ist, man nimmt an diese liegt bei über 80% der Gesamtbevölkerung, ist die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung äußerst hoch. Sollten sie bei ihren Liebsten die ersten Symptome einer Infektion bemerken, so scheuen sie sich nicht sofort mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen und ihnen einen Besuch des nächstgelegenen Therapiezentrums ans Herz zu legen. Gleiches gilt, wenn sie bei sich die ersten Anzeichen der Erkrankung zu erkennen glauben. Denken immer daran: Je früher die Krankheit behandelt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit auf vollständige Genesung.
Im nächsten Teil der Serie behandeln wir das Thema „Soziale Medienabhängigkeit: Zwang zur belanglosen Konnektivität“.
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