»Nichts über Hitler gelernt«
Eine Gruppe von Ex-Charedim verklagt den Staat wegen verpasster Bildungschancen
Yossi Klar verklagt seinen Staat. Er fühlt sich betrogen um Zeit, Geld und Chancen. Und es ist die israelische Regierung, die er dafür verantwortlich macht. Klar ist 24 Jahre alt, er spricht Englisch mit amerikanischem Akzent, studiert Medien- und Politikwissenschaft in Jerusalem: ein selbstbewusster junger Mann, dem viele Wege offenstehen.
Doch um an diesen Punkt zu gelangen, musste er härter arbeiten als die meisten seiner Altersgenossen. Denn auch wenn man es ihm nicht mehr ansieht: Yossi Klar wuchs als eines von fünf Kindern in einer chassidischen Familie in Jerusalem auf, wo er eine ultraorthodoxe Schule besuchte.
Israels Ultraorthodoxe, auch Charedim genannt, haben ihr eigenes, nach Geschlechtern getrenntes Schulsystem, dessen Schwerpunkt auf dem Studium der heiligen Schriften liegt. Während Mädchen zumindest eine Grundbildung in Fächern wie Mathe, Englisch und Technik erhalten, werden säkulare Stoffe in Jungenschulen nur marginal behandelt.
GEOGRAFIE »Von acht Uhr morgens bis drei oder vier Uhr nachmittags haben wir die Tora studiert«, erinnert sich Klar. »Danach hatten wir nur zwei Stunden für Geschichte, Geografie oder Mathe – und alles musste vom Rabbiner abgesegnet sein.« Moderne jüdische Geschichte etwa kam kaum vor:
»Wir haben gelernt, dass es den Holocaust gab, weil Gott auf die Juden wütend war – aber nichts über Hitler.«
Wissensdurst Als Yossi Klar zehn Jahre alt war, zog seine Familie für zwei Jahre nach New York; dieser Zeit verdankt er sein gutes Englisch. Zurück in Israel, wuchs sein Frust über Lehrer, die seine kritischen Fragen nicht beantworten und seinen Durst nach weltlichem Wissen nicht stillen konnten.
Mit 17 Jahren traf er eine drastische Entscheidung: Er gab den ultraorthodoxen Lebensstil auf, legte die Kippa ab und stutzte seinen Bart. Seine Eltern, wenn auch nicht begeistert, akzeptierten seine Entscheidung. Er absolvierte den Wehrdienst und wollte anschließend studieren. Doch ohne säkulare Schulbildung hatte er keine Chance, den Eingangstest zu bestehen, den israelische Hochschulen ihren Bewerbern abverlangen. In einem einjährigen Crashkurs, den er aus eigener Tasche bezahlte, holte er mühsam nach, was die meisten seiner Altersgenossen in mehreren Schuljahren gelernt hatten.
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