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[Links nur für registrierte Nutzer]WM-Aus der deutschen Fußballnationalmannschaft: Danke, Mesut! – ein Kommentar
Von „Untergang“ und „Katastrophe“ ist jetzt aller Orten die Rede, als Hauptverantwortlichen hat das Land seinen mit Abstand besten Fußballspieler ausgemacht.
Höchste Zeit - bevor er abtritt und manche ihm dann noch spöttisch nachrufen - für eine Verneigung vor Mesut Özil. Warum nicht auch mit einem Superlativ: Mesut Özil ist für mich der begabteste und kreativste Mittelfeldspieler, den die deutsche Nationalelf je hatte. Wenn es dereinst eine deutsche Mannschaft des Jahrhunderts gibt, wird Özil darin bei mir immer spielen. Weil keiner mehr Künstler war als er, weil keiner mehr mit dem Ball anzufangen wusste.
An seiner Begabung entzündet sich seit Jahren jähe Kritik: Özil sei ein Genie, aber ein schlampiges, launisches, das in den entscheidenden Spielen „keine Leistung“ zeige, sich verstecke. Er verschwende sein Talent. Das ist eine sehr deutsche Kritik. In ihrer Härte ist sie nicht berechtigt.
Özil wurde nie ganz akzeptiert
Die Kritik speist sich zumindest in Teilen aus einem in diesen Tagen wieder grassierenden Alltagsrassismus. Sie existierte auch vor Özils Foto mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, das der Mannschaft vermutlich geschadet hat.
Viele deutsche Fans haben Mesut Özil nie ganz akzeptiert: Seine Leichtigkeit, die Tänze mit dem Ball, die Pirouetten, die Streicheleinheiten für sein geliebtes Leder, die sanften Chip-Bälle, das lockere Fußgelenk, die baumelnden, schmalen Schultern, der melancholische Blick.
Özil bewegte sich wie ein Panther durchs Gras, nie wie ein Schäferhund. Wenn er Beute gemacht hatte, einen genialen Pass gespielt, ein Tor erzielt, ruhte er sich schon mal aus und schaute zu, was die anderen so machen. Das alles blieb vielen Fans genauso fremd wie seine Pilgerfahrt nach Mekka oder die Tatsache, dass er die Hymne nicht mitsang.
Symbol einer neuen Mannschaft
Mesut Özil spielte nie so, wie deutsche Nationalspieler immer gespielt hatten, nie aggressiv, selten schnell und nur bei seinen genialen Pässen unerbittlich – er war das Symbol einer neuen, multikulturellen Mannschaft, die 2010 bis 2016 zwar geliebt wurde, in der Özil aber in schwächeren Spielen stets als Fremdkörper ausgemacht wurde.
Viele sagten, die deutsche Nationalmannschaft sei 2014 „trotz Özil“ Weltmeister geworden. Was für ein Schwachsinn. Im Endspiel hat er sogar enorm „deutsch“ gespielt, zumindest ist er gelaufen bis zum Umfallen. Er hieß bloß Özil und nicht Müller. Er spielte nicht 200 einfache Pässe wie Kroos, von denen 198 ankamen, sondern zehn messerscharfe in die Tiefe, von denen zwei oder drei ankamen.
Kreativer Kern der deutschen Mannschaft
Tatsächlich ließ sich in den vergangenen Jahren der Eindruck gewinnen, dass Mesut Özil mehr und mehr fremdelt: Mit der Nationalmannschaft, vielleicht auch mit dem Profifußball an sich. Er war mit Anfang 20 bei Real Madrid, er war Multimillionär, er war Nationalspieler. Aber er sollte bitteschön so gut wie Messi und Ronaldo sein. Das war er nur in seinen besten Momenten.
Kann sein, dass er nie besser war als bei der WM 2010. Sein Tor gegen Ghana, seine Vorlagen, seine Sprints. Özil war der kreative Kern einer deutschen Mannschaft, die schöner spielte als alle anderen. In die Mikros nuschelte er etwas von der Mannschaftsleistung und dem nächsten Spiel, für die Lacher und Kopfnicker sorgten die Müllers und Hummels‘.
Löw erkannte Özils Talent
Özil ist immer ein Künstler geblieben, der umhegt und umsorgt werden musste – Joachim Löw hat das erkannt und getan. Seine Karriere hätte mit einem härteren, „deutscheren“ Trainer weit weniger geglänzt, ähnlich übrigens wie beim ebenfalls eher einfachen, aber sensiblen Lukas Podolski.
Kann sein, dass der Künstler Mesut Özil sein Genie mit 29 großen Teils versprüht hat. Es wäre keine Überraschung, träte er jetzt aus der Nationalelf zurück und guckte zu, ob es die Goretzkas und Rudys besser machen.
Es hätte dann immerhin für 23 Tore und 39 Vorlagen in der Nationalelf gereicht. Es wären 40 geworden, wenn Hummels seine Flanke in der 87. Minute verwertet hätte. Was hätten „Bild“ und Basler dann gesagt? Warum schreibt kaum einer, dass er gegen Südkorea 62 Prozent seiner Zweikämpfe gewann und sieben Torschussvorlagen gab? Warum regt sich niemand darüber auf, dass ein Volltrottel wie Mario Basler beim windelweichen Markus Lanz stundenlang erklären darf, warum er Özil mit einem „toten Frosch“ verglichen hat, während der im Exil lebende Journalist Can Dündar erst in den letzten Sendeminuten etwas zu den Wahlen in der Türkei sagen darf? Man darf annehmen, dass Künstler wie Mesut Özil auf Kritik empfindlich reagieren – mit Rückzug zum Beispiel. Oder mit Rücktritt.
Trotz oder Einsamkeit
Den Künstler Mesut Özil gab es immer nur auf dem Platz, da geht es ihm wie Maradona, Messi, Möller und so vielen anderen. Abseits des Spielfelds irren dies Fußballgötter durch die Welt, weggesperrt in Villenvierteln, ausgesogen von Beraterzecken, unsicher, fremdelnd, manchmal wirr. Mesut Özil hat sich sicher auch zurückgezogen, weil er jahrelang von der deutschen Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit mit Spott und Häme übergossen wurde. Wer weiß, vielleicht hat er sich auch aus Trotz mit Erdogan fotografieren lassen, oder aus Einsamkeit.
>>> DEM DEUTSCHEN VOLKE <<<
Das gibt feine Spiele, dieses WE. Und Alles so ruhig ringsum...ein Traum!
"Lieber entdeckte ich einen Satz der Geometrie, als daß ich den Thron von Persien gewänne!"
Thales von Milet (Philosoph, Staatsmann und Mathematiker 624 v.u.Z. - 546 v.u.Z.)
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