Stuttgart, 07.11.2017

Sehr geehrter Herr .....

geschätzte Mitglieder und Förderer unserer Alternative für Deutschland,
liebe Parteifreunde,

man muss im Leben, privat wie im Beruf, so auch in der Politik, die eigenen Schritte stets wohlüberlegt und mit Bedacht setzen. Das fällt an Weggabelungen manchmal ganz leicht, manchmal aber auch ziemlich schwer. Ich stand in den vergangenen Wochen vor einer solchen Weggabelung, und es fiel mir schwer wie selten, eine Entscheidung zu treffen, welchen Weg ich für mich und meine Partei einschlage. Diese Entscheidung ist nun gefallen und ich möchte Sie mit diesem Mitgliederrundschreiben aus erster Hand über meinen Entschluss und die Beweggründe informieren.

Wie Sie wissen, bin ich derzeit Fraktionsvorsitzender der Alternative für Deutschland im baden-württembergischen Landtag. In den zurückliegenden anderthalb Jahren habe ich unsere Fraktion in einem der größten Landesparlamente Deutschlands nach anfänglichen Schwierigkeiten erfolgreich durch bewegte Zeiten geführt. Meine weitere Planung für die nähere Zukunft sah vor, diese wichtige Funktion möglichst bis 2021, also die gesamte Legislaturperiode hindurch, weiter wahrzunehmen.

Bereits im Januar 2014 – noch vor unserem Einzug in den Stuttgarter Landtag – hatte ich für einen Listenplatz bei der Wahl zum Europäischen Parlament (EP) kandidiert. Als Hochschullehrer lag fast zwei Jahrzehnte lang einer meiner zentralen Arbeitsschwerpunkte im Bereich der Europäischen Union.

Seit Anfang der 90er Jahre habe ich mich durchgängig mit politischen wie ökonomischen Fragen der Europäischen Union befasst und klare Vorstellungen davon entwickelt, was sich am und im Brüsseler Politbetrieb unbedingt ändern muss.

Anderthalb Jahre vor der nächsten Europawahl stellt sich die Situation im Europäischen Parlament nun wie folgt dar: Die AfD ist, gemessen an ihrer immensen nationalen Bedeutung - mit großen Fraktionen sowohl im Bundestag als auch in mittlerweile 14 Landtagen -, auf europäischer Ebene derzeit noch massiv unterrepräsentiert. Fünf der sieben AfD-Mandate im Europaparlament gingen verloren, als Bernd Lucke sowie seine Gefolgsleute im Sommer 2015 unsere Partei verließen und dabei ihre von der AfD errungenen Mandate mitnahmen. Ein weiteres Mandat ging unmittelbar nach der Bundestagswahl vor wenigen Wochen verloren, als Marcus Pretzell der Partei den Rücken kehrte. Das somit letzte verbleibende Mandat im Europaparlament hatte - bis zu ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag - Beatrix von Storch inne. Gemeinsam mit der von Nigel Farage geführten EFDD-Fraktion (Europe of Freedom and Direct Democracy) leistete sie über drei Jahre exzellente Arbeit im Europäischen Parlament.

Nachdem die nächsten Nachrücker wegen ihres Einzuges in den Bundestag nicht nach Brüssel gehen konnten, erreichte nun mich die Anfrage des Präsidenten des Europäischen Parlaments, ob ich als nächster potentieller Nachrücker das Mandat übernehmen werde.

Ich mache es kurz: Ich habe mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, dieses Mandat anzunehmen. Es handelt sich um eine langfristig strategische und nicht etwa eine kurzfristig taktische Entscheidung. EU-Entscheidungen werden in den kommenden Jahren die Geschicke der Bürger Europas schicksalhaft beeinflussen. Dort, wo viele dieser Entscheidungen getroffen werden, müssen wir die demokratische Kontrolle entschieden verstärken.

Darum betrachte ich es als eine zentrale strategische Aufgabe, unserer Alternative für Deutschland eine starke und maximal wirkmächtige Stimme im Europaparlament zu verleihen. Insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Europawahl 2019 gilt es schon jetzt alle Vorkehrungen zu treffen, um eine starke, dann maßgeblich von der AfD geprägte neue Fraktion im Europaparlament zu bilden.

Ich gebe damit den von mir sehr gern wahrgenommenen und gut dotierten Fraktionsvorsitz im Stuttgarter Landtag auf, aber meine persönlichen Befindlichkeiten sind hier zweitrangig.

Nachdem es in längerer Pionierarbeit und unter nicht immer ganz einfachen Bedingungen inzwischen gelungen ist, eine gute, starke, arbeitsfähige Fraktion im Stuttgarter Landtag zu etablieren, möchte ich nun als nächstes diese Herausforderung im Dienste unserer Partei und zum Wohle unseres Landes im Europäischen Parlament angehen. Um das sorgsam vorzubereiten, bedarf es einer angemessenen Vorlaufzeit und einiger Vorbereitungen.

Nach dem grandiosen Erfolg unserer Partei bei der Bundestagswahl ist das der nächste logische Schritt zur Veränderung der politischen Landschaft in Deutschland und der Europäischen Union. Es ist unsere Pflicht, auch in Brüssel so stark wie möglich vertreten zu sein, gerade auch weil wir die EU-Institutionen mit Recht äußerst skeptisch beäugen. Dieser Pflicht muss und kann ich mich mit meiner Vorgeschichte und in meiner Funktion als Bundessprecher stellen. Ich gehe die neue Aufgabe als Europaabgeordneter – das will ich nicht verhehlen – wegen meiner Verankerung in Baden-Württemberg auch mit einem weinenden Auge an, zugleich aber voller Tatendrang.

Ich werde wegen der derzeit anlaufenden Haushaltsberatungen im Plenum des Landtags, und um einen geordneten Übergang zu gewährleisten, den Fraktionsvorsitz erst zum Ende dieses Monats aufgeben, also zum 30. November 2017.

Eine weitaus schwierigere Frage als die durch die neue Aufgabe meines Erachtens unumgänglich werdende Niederlegung des Fraktionsvorsitzes ist der Umgang mit meinem Landtagsmandat. Anders als manche Medien voreilig verbreiteten, beabsichtige ich keineswegs, ein Doppelmandat dauerhaft aufrechtzuerhalten. Auch im Einklang mit den Bedürfnissen und Wünschen meiner Fraktionskollegen stehe ich nur für den unabdingbaren Zeitraum eines geordneten Übergangs weiterhin als einfacher Abgeordneter zur Verfügung.

Ich möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich für mich auch in dieser Übergangszeit gegenüber meinem derzeitigen Status als Fraktionsvorsitzender keinerlei finanzielle Vorteile ergeben, sondern ich ganz im Gegenteil und für jedermann problemlos überprüfbar eindeutig finanzielle Einbußen haben werde.

Meine Entlohnung als Landtagsabgeordneter, die sogenannte Abgeordnetenentschädigung, entfällt mit der Annahme des Europamandats sofort zu 100 Prozent. Die Bezüge als Europaabgeordneter sind deutlich niedriger als die eines Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag. Auch entfallen mit der Funktion des Fraktionsvorsitzenden eine Reihe weiterer damit verbundener Vorteile u.a. im logistischen Bereich. Doch geht es mir allein darum, unserer gemeinsamen Sache zu dienen.

Vor dem Hintergrund dieser zentralen Überlegung und aus den aufgeführten Gründen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich dies in der nächsten Zeit am besten können werde, wenn ich
1) das angetragene Mandat als Europaabgeordneter annehme und unsere Partei auf Ebene der Europäischen Union mit allen Kräften voranbringe,
2) zugleich meinen Fraktionsvorsitz im Landtag von Baden-Württemberg aufgebe,
3) mein einfaches Landtagsmandat aber für eine notwendige Übergangszeit aufrechterhalte.


Ich bitte Sie um Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung bei diesem politisch gebotenen, mir aber nicht leicht fallenden Schritt.

Es grüßt Sie ganz herzlich
Ihr Jörg Meuthen
Bundessprecher der Alternative für Deutschland