Für eine wissenschaftliche Gedenkkultur, die vor Krieg und Faschismus mahntDas Student*innenparlament hat in seiner
10. ordentlichen Sitzung des 12. Student*innenparlaments am 17. Januar 2018 folgende Stellungnahme zur Gedenkkultur in der Stadt Lüneburg sowie zur Angelegenheit des stellvertretenden Bürgermeister Dr. Gerhard Scharf beschlossen:
1 BeschlussDas Student*innenparlament veröffentlicht die Stellungnahme und die Hintergrundinformationen über die üblichen Kommunikationswege (facebook, Webseite etc.) und wendet sich mit dieser an die Presse sowie die Stadtverwaltung.
2 StellungnahmeDas Student*innenparlament steht hinter dem Wirken des Arbeitskreises „Gedenkkultur an der Leuphana Universität Lüneburg“ (im folgenden AK Gedenkkultur), welcher einen Wandel der Lüneburger Erinnerungskultur von einer ideologisch geprägten Glorifizierung von Wehrmachtssoldaten hin auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte anstrebt. Die schonungslose und wahrheitsgetreue Aufarbeitung der Geschichte auf dem Campus und in der Stadt, ist die Voraussetzung dafür, dass Lehren aus Krieg sowie Faschismus gezogen werden. Nur so kann auch den Opfern angemessen gedacht werden. In diesem Sinne unterstützt das Student*innenparlament das Engagement aller Studierenden, sowie insbesondere des AStAs sowie des Ausschusses Antifaschismus innerhalb des Arbeitskreises Gedenkkultur.
In einem Video-Interview, das am 6. Januar auf einem rechtsradikalen YouTube-Kanal veröffentlicht wurde,
greift der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Lüneburg, Dr. Gerhard Scharf, die Beteiligten des Arbeitskreises an. Scharfs Worten zufolge
beruhe das Wirken des AK Gedenkkultur auf „Dummheit“. Weiter wird das Engagement des AK Gedenkkultur mit dem Satz kommentiert: „Da geht einem das Messer in der Tasche auf.“ Diese Aussagen weist das Student*innenparlament in aller Schärfe zurück: Das Verhalten ist für einen Bürgermeister absolut unwürdig, da es die demokratisch geführte Auseinandersetzung um die Erinnerungskultur durch
Hate Speech ersetzt und somit zu einem gefährlichen Klima der Auseinandersetzung beiträgt. Argumente und Fakten müssen eine Auseinandersetzung bestimmen, nicht Drohungen und Beleidigungen.
Weiter äußert sich Scharf zur 110. Infanteriedivision der Wehrmacht, welche in Lüneburg aufgestellt wurde und nachweislich an Kriegsverbrechen in Ozarichi (auch Osaritschi) im heutigen Weißrussland beteiligt war. Diese 110. Infanteriedivision wird in Lüneburg durch ein „Ehrenmal“ am Wallring geehrt; die Opfer finden nur am Rande Erwähnung. In diesem Zusammenhang kommt Dr. Scharf kontrafaktisch und wider besseren Wissens zu der Feststellung, dass die Kriegsverbrechen von „freiwilligen Spezialkommandos“ als Randerscheinung der sonst sauberen Wehrmacht getätigt wurden. Das Student*innenparlament weist diese sachlich unhaltbare Feststellung als geschichtsrevisionistisch und Wehrmachtsverharmlosend zurück. Es teilt die wissenschaftliche Einschätzung des an der Universität Osnabrück tätigen Mitglieds der Historischen Kommission Niedersachsen und Bremen, Prof. Dr. Rass (Gutachten zur 110. Infanteriedivision vom 10.03.2017). In dem Gutachten des namhaften Militärhistorikers heißt es, dass es sich beim Agieren der Soldaten um „völkerrechtswidrige Kriegspraktiken“ handelte, welche zu „alltäglichen und systematisch praktizierten Handlungsmustern“ der Wehrmacht wurden.
Das Student*innenparlament fordert von der Stadt Lüneburg:
- Eine Distanzierung von Bürgermeister Dr. Scharf sowie seinen Aussagen
- Eine Entschuldigung gegenüber den im AK Gedenkkultur Engagierten
- Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte Lüneburgs in der NS-Zeit, zusammen mit der Universität Lüneburg.
- Einen Wandel in der Gedenkkultur, so dass diese vor Krieg und Faschismus mahnt und dem Stand der Forschung angemessene Lehren aus der Vergangenheit zieht
3 HintergrundinformationenAm 6. Januar 2018 tauchte auf Youtube ein Video mit eindeutig extrem rechten Inhalten auf, welches von Nikolai Nerling aus Berlin stammt. Dieser Holocaustleugner veröffentlicht regelmäßig Filme mit rassistischen und geschichtsrevisionistischen Inhalten, die von einem verschwörungsideologischen Wahn durchzogen sind.
Lüneburgs Bürgermeister Dr. Scharf taucht in einem dieser Videos auf und äußert sich zur Gedenkkultur Lüneburgs mit geschichtsrevisionistischen Aussagen sowie antidemokratischen Drohungen gegenüber Mitgliedern der Universität.
Hintergrund ist das schon länger andauernde Bestreben des Arbeitskreises Gedenkkultur, an welchen sich neben AStA sowie weiteren Teilen der Studierendenschaft, der VVN-BdA, die Geschichtswerkstatt sowie die Fakultät Kultur beteiligt. Ein Ziel dieses Arbeitskreises ist es die Gedenkkultur von ihrer ideologisch geprägten Glorifizierung der Wehrmachtssoldaten hin auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte zu ändern, so dass sie Lehren aus dem Krieg zieht, den Opfern gedenkt sowie vor Krieg und Faschismus mahnt. Im Zentrum steht hierbei der Gedenkstein der 110. Infanteriedivision, welche nachweislich an schweren Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung in Weißrussland beteiligt war. Dort werden vor allem die Täter mit zum Teil falschen historischen Fakten geehrt, die Opfer finden hingegen nur am Rande Erwähnung. Das Agieren der Soldaten aus „völkerrechtswidrige Kriegspraktiken“ welche zu „alltäglichen und systematisch praktizierten Handlungsmustern“ der Wehrmacht wurden, so die wissenschaftliche Stellungnahme von Dr. Rass (10.3.2017, Universität Oldenburg). Eine Stellungnahme die Herrn Scharf zu diesem Zeitpunkt bekannt war. Trotzdem spricht dieser von „freiwilligen Spezialkommandos“ als Randerscheinung der sonst sauberen Wehrmacht. Weiter heißt bei Dr. Rass: „Jenseits der Rolle der 110. Infanteriedivision bei den hier angesprochenen Deportationen verbietet sich jedes heroisierende und unkritische Gedenken an Verbände der Wehrmacht bzw. an Kriegstote in deren Namen.“ Diese Einschätzung, welche von dem AK Gedenkkultur geteilt wird, bezeichnet der Bürgermeister Scharf im Namen der Stadt als „Dummheit“ und fügt gegenüber diesen nicht ohne Hass und in antidemokratischer Manier hinzu: „Da geht einem das Messer in der Tasche auf.“ Weiter romantisiert er in dem Video die Zwangsarbeit, in der Gefangene und Deportie innerhalb der NS-Zeit versklavt, misshandelt und zum Teil ermordet wurden.
Auf der Facebookseite der Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus Lüneburg“ finden sich weitere Informationen und Hintergründe dazu:
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