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Küppersbusch: Es gibt eine alte Branchen-Bauernregel: Die Besetzung einer Panel-Talkshow erfolgt nach den Grundregeln des Kasperletheaters: Du brauchst Hänsel, du brauchst Gretel, den Zauberer und das böse Krokodil.
Wer ist da wer?
Küppersbusch: Früher waren Hänsel und Gretel die Volksparteien, das sind zwei Geschmacksrichtungen von "Ja, okay". Der Wissenschaftler kommt gerne etwa von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, ein radikaler Lobbyist in der Camouflage des weißen Ärztekittels, der seine Weisheiten als Naturwissenschaften verkauft. Und das Krokodil war immer Alice Schwarzer oder der Berliner CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer.
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Was macht das Krokodil in diesem Kasperletheater?
Küppersbusch: Es wird losgelassen und sagt: Ihr seid alles Schweine, weil ihr alle Männer seid - oder was eben gerade los ist. Dann schreien alle sich ein bisschen an. Und dann rollt dat Ding erst mal. Damit ist es komplett emanzipiert von der Frage: Welcher Inhalt wird da besprochen? Die Sendung hat funktioniert, wenn diese Chargen funktionieren, wie in einem Volkstheaterstück. Auch wenn ich nachher kein bisschen schlauer bin als vorher.
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Die Redaktionen bereiten sich detailliert vor, um die Talkshow zu strukturieren. Mit dem Leitgedanken: Wenn wir Gast A diese Einstiegsfrage stellen, wird Gast B mit hoher Wahrscheinlichkeit so reagieren?
Bosbach: So isses.
Es gibt also eine konkrete Idee, wie das Gespräch ablaufen soll, eine Art Drehbuch?
Bosbach: Eine Dramaturgie!
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Küppersbusch: Eine Talkshow ist im Grunde eine Vereinbarung: Wir entertainen hier das Publikum, das ist unsere Bringschuld. Als Belohnung kriegen wir dafür Medienreichweite. Insofern ist jeder Politiker, jede Politikerin, auch jeder Wissenschaftler, jeder Typ, der ein Buch verkaufen möchte, eine CD, einen Kinofilm, alle sind so was wie Werbekunden innerhalb der Talkshow. Die haben nicht die Agenda, zur Vergrößerung des Wissens in der Welt beizutragen oder zur Versachlichung des Diskurses oder zu erklären, wie die dritte Angleichungsnovelle zur Rentenreform funktioniert.
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Küppersbusch: Das ist der springende Punkt. Aus Untersuchungen wissen wir, die Leute schauen zum Beispiel "Stern-TV" und sagen dann: Einmal die Woche so etwas Politisches schaue ich schon gerne an. Wir wollen ja wissen, was los ist! Man muss ehrlich sagen: Für viele Menschen ist politisch, wenn es bei Saturn keine Flachbildschirme gibt. Oder wenn der Reiseveranstalter bescheißt. Oder wenn in der Shampooflasche nicht genug drin ist.
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Herr Bosbach, wie oft dachten Sie nach einer Sendung: Hätte ich mir auch sparen können?
Bosbach: Jedes zweite Mal. Ich ging oft raus und dachte: Gab es jetzt wirklich einen Erkenntnisgewinn? Manchmal wird sich auch in einer absoluten Nebensächlichkeit verhakt. Ich habe zu oft gedacht: Die wichtigen Fragen sind nicht oder nicht so intensiv behandelt worden, wie es eigentlich hätte sein müssen.
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Hütt: Es gibt eine bestürzende Voraussagbarkeit dessen, was in den Talkshows abläuft. Ich müsste mal den Versuch unternehmen, eine Talkshow-Kritik zu schreiben, ohne die Sendung gesehen zu haben - nur auf Grundlage der Vorab-PR und der Informationen, die man zu den Gästen hat.
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Lobo: Wenn ich in eine Talkshow gehe, bereite ich mich vergleichsweise präzise vor. Ich denke mir zum Beispiel Punchlines aus, also kurze, interessant klingende Zitate, die darauf zugeschnitten sind, in die zweitwichtigste Währung der Talkshows reinzukommen, nämlich die Rezensionen. Diese Artikel haben aus Sicht der Redaktionen oft eine sehr kleine Zielgruppe, nämlich die Programmverantwortlichen. Das ist ein wichtiges Kriterium, an dem Erfolg gemessen wird. Für die Zuschauer mag das zweitrangig sein, aber für die Verantwortlichen ist das immer noch relevant, ob in der "FAZ" stand, das war eine gute Talkshow oder nicht. Das andere Kriterium ist die Quote.
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Küppersbusch: Es gibt tatsächlich Minutenquoten und eine Kurve. Das heißt, ich kann feststellen: An der Stelle, als der junge Mann mit dem Bart den Mund aufgemacht hat, ging die Quote rauf! Den laden wir wieder ein!
Wird das so gemacht?
Küppersbusch: Ich kann nur sagen: Ich mach's so.
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Herr Küppersbusch, lassen Sie uns nochmals zu einem Punkt zurückkommen, den Sie ganz am Anfang erwähnt haben. Nämlich: dass Talkshows letztlich eine Boxbude seien, verbales Wrestling. Brutal, aber inszeniert. Dem Publikum wird das aber nicht transparent gemacht, oder?
Küppersbusch: Nein, wird es genau nicht. Das Publikum in seiner Mehrheit denkt ja: Puh, die haben sich aber in den Haaren gehabt. Dabei klopfen sich alle hinterher bei einem Glas Weißwein auf die Schulter. Hat ja wieder Spaß gemacht! Heute haben wir's wieder krachen lassen! Es gibt schon eine gewisse Professionalität, die Professionalität der Comedians, die von der Bühne gehen.
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