Heute ist das imo vor allem (aber nicht nur) ein Problem der Amerikaner mit ihrer hauseigenen starken Israellobby.
Ich meine: Das Problem der doppelten Loyalität gibt es praktisch seit der Entstehung moderner Nationalstaaten und der sukzessiven Gleichstellung und hatte sich mit dem Aufkommen des Zionismus noch einmal drastisch verschärft, so daß es in Deutschland sogar zu heftigen Anfeindungen zwischen den deutschen Juden (Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens) und den Zionisten selbst kam; ein innerjüdischer Kulturkampf, der sich bis in die 30er Jahre zog.
Im sogenannten "Antisemitismusstreit" (um 1880 herum) zwischen Heinrich von Treitschke, Mommsen und anderen wurde diese doppelte Loyalität bereits in aller Schärfe formuliert und diskutiert; das wäre heute in der Form völlig undenkbar. Ich kann diesen öffentlichen Streit, der über Zeitungsbeiträge ausgetragen wurde, nur wärmstens zur Lektüre empfehlen, um das Dilemma zu verstehen, in dem sich die Deutschen zwischen Assimilierungsforderungen, friderizianischem "jedem nach seiner Fasson" und der Sorge vor zu großem jüdischen Einfluß auf die deutsche Kulturnation befanden, aber andererseits auch das Dilemma der Juden selbst zwischen Loyalität und selbstgewählter Fremdheit und Distanz.
Die deutschen Juden waren damals eine stark aufstrebende Gruppe in einem aufstrebenden deutschen Staat, die sich überwiegend versuchten zu integrieren und dem nachfolgenden Migrationsdruck von Ostjuden vielfach ablehnend gegenüberstanden, der Zionismus wirkte da als Katalysator der Konflikte. Und wie alle Bewegungen, die Kontinentaleuropa destabilisierten, kam er aus London (Herzl).
Letztlich blieb der sog. Antisemitismusstreit auch in den folgenden Jahrzehnten ungelöst und hat zum judenpolitischen Irrweg der 30er Jahre beigetragen; Treitschke wurde für das liberale Bildungsbürgertum sozusagen der bad guy. Die zunächst durchaus nicht judenfeindlichen Bedenken blieben ungehört und schlugen später vielfach in pauschale Ablehnung um. Die schon damals durch Unterstellungen vergiftete Debatte erinnert übrigens stark an heutige Islam-Diskussionen, vor allem nach dem Sommermärchen 2015.
(Mir liegt die Herausgabe von Walter Boehlich aus dem Inselverlag vor, andere Ausgaben kann ich nicht beurteilen.)