ZEIT-ONLINE / 10.02.2020 / von Steffi Hentschke / Tel Aviv
Durch den im Nahostplan festgelegten Landtausch könnten 250.000 arabische Israelis ihre Staatsbürgerschaft verlieren. Doch freiwillig werden sie dem nicht zustimmen.
Sie wollen israelische Bürger bleiben
Adel Badir will bleiben.
"Hier wurde ich geboren, hier bin ich zuhause", sagt der Bürgermeister von Kfar Kassem am Telefon. In Kfar Kassem leben rund 23.000 Einwohner, die Stadt liegt östlich von Tel Aviv und mitten im sogenannten Dreieck. In diesem Gebiet an der
Grenze zum Westjordanland leben überwiegend arabische Israelis. Wie die meisten von ihnen besitzt Badir die israelische Staatsbürgerschaft, und wie die meisten von ihnen ist er nicht bereit, diese aufzugeben.
"Wir können gern darüber sprechen, wenn es Frieden und einen Staat Palästina gibt. Aber bis dahin werden wir bleiben."
Zwei Wochen nachdem US-Präsident Donald Trump seinen Nahostplan vorgelegt hat, arbeitet Israels Regierung an der Umsetzung. Der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bereitet die Annexion des Jordantals vor und kündigte an, neue Landkarten würden bereits angefertigt. Wie es in dem Plan heißt, sollen auch mehrere arabische Orte in der Negev-Wüste und in dem sogenannten Dreieck an den künftigen palästinensischen Staat übertragen und quasi gegen die Gebiete im Westjordanland ausgetauscht werden. Rund
250.000 arabische Israelis wären davon betroffen. Allerdings:
Freiwillig werden sie sich nicht auf den Handel einlassen.
Insgesamt leben
1,9 Millionen arabische Staatsbürger in Israel, sie stellen die größte nichtjüdische Minderheit in dem jüdischen Staat dar. Die meisten von ihnen sind Nachkommen der rund 160.000 Palästinenser, die nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 ihre Dörfer nicht verlassen wollten und sich stattdessen mit dem neuen Staat arrangierten. Das Citizenship Law von 1952 garantiert ihnen und ihren Kindern das Recht auf eine Staatsbürgerschaft. Das Rückkehrrecht dagegen, auf dessen Basis Juden in der Diaspora nach Israel einwandern können, gilt für die Palästinenser nicht.
Obwohl ihr Verhältnis zur israelischen Identität kompliziert ist, wollen die wenigsten auf ihre Staatsbürgerschaft verzichten. "Die arabischen Israelis verstehen sich als Palästinenser, wollen aber zu 90 bis 100 Prozent ihren israelischen Pass behalten, einfach weil es der einzige ist, den sie bekommen können", sagt der Menschenrechtsanwalt Hassan Jabareen. Der Chef der Nichtregierungsorganisation Adalah stammt selbst aus dem Dreiecksgebiet. Er glaubt, ohne die Zustimmung der Bevölkerung ist der Plan vom Landaustausch nicht umsetzbar. "Im Moment ist das eine komplett theoretische Diskussion."
Tatsächlich ist es rechtlich mehr als unwahrscheinlich, dass die betroffenen Bewohner durch den Landtransfer ihre Staatsbürgerschaft verlieren würden. Bereits vor mehr als einem Jahrzehnt zum Beispiel versuchte Avigdor Lieberman, Chef der rechtsnationalistischen Partei Jisra’el Beitenu, das Dreiecksgebiet rund um Kfar Kassem loszuwerden. 2004 stellte er zum ersten Mal seinen "Bevölkerungsaustauschplan" vor – und wurde umgehend von Rechtsexperten zurechtgewiesen.
Denn Bürgern kollektiv die Staatsbürgerschaft zu entziehen verstößt gegen internationales und auch gegen israelisches Recht. "Der Staat kann entscheiden, dass das hauptsächlich von israelischen Arabern bewohnte Dreiecksgebiet nicht mehr zu Israel gehört", sagte damals ein Anwalt von Benjamin Netanjahus Likud-Partei der Jerusalem Post. "Die Menschen, die dort bleiben, werden immer noch israelische Bürger sein."
Araber mit israelischem Pass können nicht zum Umzug gezwungen werden
Der Wunsch der israelischen Rechten, die arabische Bevölkerung im Land auszuweisen, wird sich mit Trumps Nahostplan also kaum erfüllen lassen. Wie der US-Präsident bei der Vorstellung des Plans betonte, werde niemand gezwungen, sein Zuhause zu verlassen. Seine Berater scheinen zumindest erkannt zu haben, was für ein massiver Rechtsbruch es wäre, den Land- mit einem Bevölkerungsaustausch zu verbinden.
Ganz anders sieht das Israels Premier Netanjahu. Wie die Haaretz in der vergangenen Woche berichtete, hatte der Ministerpräsident bis zuletzt die US-Regierung überzeugen wollen, die Grenzverschiebung mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft zu verknüpfen. Nach dem Motto: legal, illegal, mittlerweile auch egal.
Die arabische Minderheit mobilisiert sich
Nach zwei Parlamentswahlen ohne klare Mehrheit und laufenden Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht scheut Netanjahu kaum noch Tabus und schreckt auch nicht vor rassistischen Attacken gegen die arabische Minderheit zurück. "Die Araber wollen uns alle vernichten – Frauen, Kinder und Männer", ließ er etwa im vergangenen Wahlkampf über seinen Facebook-Account verbreiten. Die antiarabische Kampagne erreicht bisher aber das Gegenteil: Anstatt neue Wähler für Likud zu gewinnen, sorgt der plumpe Hass für eine stärkere Politisierung innerhalb der arabischen Bevölkerung.
Bei den vergangenen Wahlen im Herbst stieg die Wahlbeteiligung unter palästinensischen Israelis von 49 auf 59, im Dreiecksgebiet sogar auf über 60 Prozent. "Das war zum großen Teil eine Reaktion auf die Wahlpropaganda der Likud-Partei", sagt Arik Rudnitzky, der am Israel Democracy Institute zum Wahlverhalten der arabischen Minderheit forscht. Nachdem es auch bei diesen Wahlen zu keinem klaren Ergebnis kam und die Israelis im März zum dritten Mal an die Urnen gebeten werden, rechnet Rudnitzky mit einem weiteren Anstieg der Wahlbeteiligung.
"Der Trump-Plan hat für die arabischen Israelis erst einmal nur einen realen Effekt. Er sorgt dafür, dass sie sich die stärker politisch beteiligen werden."
Die jüngsten Wahlumfragen bestätigen Rudnitzkys Vermutung. Während Benjamin Netanjahu an Zustimmung verliert, steigen die Werte für seinen Herausforderer Benny Gantz von der Mitte-links-Partei Kachol Lavan. Und auch die arabische Joint List würde einen weiteren Sitz in der Knesset bekommen. Und das, obwohl sie bisher nicht einmal mit ihrem Wahlkampf begonnen hat. Wie es aussieht, werden die arabischen Israelis ihr Recht als Staatsbürger nutzen und deutlich zeigen, was sie von dem geplanten Landaustausch halten.
[Links nur für registrierte Nutzer]