Weiberworte trennen Fleisch und Bein
Es waren einmal zwei Brueder, die wohnten in demselben Hause. Der Grosse hoerte auf die Worte seines Weibes und kam darob mit seinem Bruder auseinander. Der Sommer hatte angefangen, und es war Zeit, die hohe Hirse zu saeen. Der Kleine hatte kein Korn und bat den Grossen, ihm zu leihen. Der Grosse befahl seinem Weib, es ihm zu geben. Die nahm das Korn, tat es in einen großen Topf und kochte es gar. Dann gab sie es dem Kleinen. Der Kleine wusste nichts davon, ging hin und saeete es auf seinem Felde. Da aber das Korn gekocht war, kamen die Halme nicht hervor. Nur ein einziger Samen war noch nicht gar gewesen; so wuchs ein einziger Halm in die Hoehe. Der Kleine war arbeitsam und fleissig von Natur, darum begoss und behackte er ihn den ganzen Tag. Da wuchs der Halm maechtig wie ein Baum, und eine Aehre brach hervor wie ein Baldachin, so gross, daß sie einen halben Morgen Landes beschattete. Im Herbste ward sie reif. Da nahm der Kleine eine Axt und hieb damit die Aehre ab. Kaum war die Aehre auf den Boden gefallen, da kam ploetzlich ein grosser Vogel Pong rauschend heran, nahm die Aehre in den Schnabel und flog davon. Der Kleine lief ihm nach bis an den Strand des Meeres.
Der grosse Vogel Pong wandte sich nach ihm und redete auf Menschenweise also: " Ihr muesst mir nichts zuleide tun. Was ist die eine Aehre Euch denn wert? Oestlich vom Meer, da ist die Gold- und Silberinsel. Ich will Euch hinuebertragen. Da koennt Ihr nehmen, soviel Ihr wollt, und sehr reich werden. "
Der Kleine war zufrieden und stieg dem Vogel Pon auf den Ruecken. Der hiess ihn die Augen schliessen. So hoerte er nur die Luft an seinen Ohren sausen, als fuehre er durch einen starken Wind, und unter sich hoerte er das Rauschen und Toben von Flut und Wellen. Im Nu liess sich der Vogel Pong auf einer Insel nieder. " Nun sind wir da ", sagte er. Da machte der Kleine die Augen auf und blickte um sich; da sah er allenthalben Glanz und Glimmer, lauter gelbe und weisse Sachen. Er nahm von den kleinen Stuecken etwa ein Dutzend und barg sie in seinem Busen. " Ist es genug? " fragte der Vogel Pong.
" Ja, ich habe genug ", antwortete er. " Gut so ", sagte der Vogel Pong, " Genuegsamkeit schuetzt vor Schaden. "
Dann nahm er ihn wieder auf den Ruecken und trug ihn uebers Meer zurueck. Als der Kleine nach Hause kam, da kaufte er sich mit der Zeit ein gut Stueck Land und ward recht wohlhabend.
Sein Bruder aber ward neidisch auf ihn und fuhr ihn an: " Wo hast du denn das Geld gestohlen? " Der Kleine sagte ihm alles der Wahrheit gemaess. Da ging der Grosse heim und hielt mit seinem Weibe Rat. " Nichts leichter als das ", sagte das Weib. " Ich koche einfach wieder Getreide und behalte ein Korn zurueck, dass es nicht gar wird. Das saeest du aus, und wir wollen sehen, was geschieht. "
Gesagt, getan. Und richtig kam ein einzelner Halm hervor, und richtig trug der Halm eine einzelne Aehre, und als es Zeit zur Ernte war, kam wieder der Vogel Pong und trug sie in seinem Schnabel davon. Der Grossee freute sich und lief ihm nach, und der Vogel Pong sprach wieder dieselben Worte wie das vorige Mal und trug den Grossen nach der Insel. Dort sah der Grosse das Gold und Silber ringsum angeheuft. Die groessten Stuecke waren wie Berge, die kleinen waren wie Ziegelsteine und die ganz kleinen wie Sandkoerner. Es blendete ihn ganz in den Augen. Er bedauerte nur, daß er kein Mittel wusste, Berge zu versetzen. So bueckte er sich denn und hob an Stuecken auf, was er konnte.
Der Vogel Pong sprach: " Nun ist es genug! Es geht Dir ueber die Kraft. "
" Gedulde dich noch eine kleine Weile ", sagte der Grosse. " Sei nicht so eilig! Ich muss noch ein paar Stuecke haben. " Darueber verging die Zeit. Der Vogel Pong trieb ihn abermals zur Eile an: " Die Sonne wird gleich kommen ", sagte er, " und die ist so heiss, daß sie die Menschen verbrennt. "
" Wart noch ein bisschen ", sagte der Grosse.
Im Augenblick aber kam ein
rotes Rad mit Sonnenmacht hervor. Der Vogel Pong flog in das Meer, breitete seine beiden Fluegel aus und schlug damit in das Wasser, um der Hitze zu entrinnen.
Der Grosse aber ward von der Sonne aufgezehrt.
Quelle:
Die Geister des gelben Flusses - Chinesische Maerchen
Autor: Josef Guter / Nachwort von Dshu Bai-Lan ( Klara Blum)
1955