Linke in Israel (Auszug)
Es geht nur noch nach rechts
Unter Netanjahu verharrt Israel in einem religiös verbrämten Populismus. Aber die Tragödie der Linken ist viel älter, sie begann mit der Staatsgründung.
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Israels Staatsgründung aus dem Geist der Arbeiterbewegung
Wie ist es gekommen, dass der israelischen Rechten keine Linke gegenübersteht? Auf den ersten Blick erscheint das paradox. Der legendäre Gründer des Staates, David Ben Gurion, stand nicht nur der Jewish Agency vor, die die jüdischen Interessen im Palästina der Mandatszeit vertrat, er war auch der Vorsitzende der Mapai, der Arbeiterpartei des Landes Israel, die sich schon 1930 gebildet hatte. Nach der Staatsgründung im Jahr 1948 verfügte sie über ein Machtmonopol, wie es der Likud niemals gekannt hat. Sie stellte die gesamte politische Führungsschicht der Gründerjahre, rekrutierte sich aus der osteuropäischen Arbeiterbewegung und vertrat Prinzipien, die sie dieser Bewegung entlehnt hatte.
Gerade ihr Machtmonopol aber zeigt Ben Gurions Mapai als ein merkwürdiges Zwitterwesen. Bis zum Jahr 1948 war sie eigentlich gar keine Partei, denn es gab noch keinen Staat, in dessen Parlament sie hätte gewählt werden können. Sie war Teil eines politischen Systems, das einer heterogenen und amorphen Einwanderergesellschaft mehr oder weniger konkurrenzlos ihre Ordnung vorgeben konnte, und aufs Engste war sie mit der Histadrut verbunden. So hieß die allmächtige Gewerkschaft, die Ben Gurion schon im Jahr 1920 gegründet hatte. In ihr vereinigte sich die Arbeiterschaft, sie verstand sich daher als "sozialistisch".
Beweist dieses Selbstverständnis aber auch schon, dass Ben Gurions umfassendes Machtgefüge politisch links stand? Der ironische Zufall will es, dass 1897 – im gleichen Jahr wie Theodor Herzls Zionistische Weltorganisation – auch der Allgemeine jüdische Arbeiterbund von Litauen, Polen und Russland gegründet wurde; oder kürzer: der Bund, wie sich die jüdische Partei nannte, die aus der osteuropäischen Arbeiterbewegung hervorgegangen war. Vergleicht man sie mit der Mapai, so springt der Unterschied ins Auge. Die Bundisten lehnten den Zionismus ab, weil sie keinen nationalen Kampf führten, sondern einen Klassenkampf; und wenn sie sich dennoch als "Juden" bezeichneten, so nicht, um sich damit abzugrenzen, sondern um sich neben den Litauern, den Polen und den Russen als eine gleichberechtigte Nationalität in die internationale Arbeiterbewegung einzubringen.
Vom Klassenkampf zum Kampf zwischen Nationen
Ganz anders sah das politische Programm der Mapai aus. Dem Anschein nach übertrug sie die Prinzipien des Sozialismus in den Nahen Osten und setzte sie hier in die Tat um, im Gegensatz zum Bund aber ging es ihr nicht um den Klassenkampf, sondern um einen Kampf zwischen Nationen. Ob Ben Gurion von Anfang an eine Staatsgründung im Sinn hatte, ist eine komplizierte Frage und braucht uns hier nicht zu interessieren. Als die Schoa ihm jedoch keine Wahl mehr ließ und im Jahr 1948 die Würfel gefallen waren, erwies sich die seit Jahrzehnten geleistete Vorarbeit als tragfähig: Das Wagnis des Judenstaates konnte eingegangen werden.
Diese Vorarbeit trug ihr Ziel bereits im Namen der Jewish Agency, und auch im Namen der Partei. Mapai war ein Akronym der Worte Mifleget Poalei (Arbeiterpartei) Eretz Israel (des Landes Israel), und damit war alles gesagt. Die Worte waren Neuhebräisch – die Sprache, die das zionistische Projekt von Anfang an begleitete –, und sie richteten sich ausschließlich an die Juden, denn sie waren auch jüdisch kodiert. Eretz Israel ist das verheißene Land der jüdischen Tradition; die Zionisten setzten diesen Namen bewusst gegen Palästina ab, den anderen Namen, den das Land im allgemeinen Sprachgebrauch trägt; und deutlich sagten sie damit, dass Mapai nur die Juden, nicht die palästinensischen Arbeiter des Landes vertrat.
Hier wirft die Zukunft schon ihre Schatten voraus. Der israelische Unabhängigkeitskrieg endete 1949 in einem Waffenstillstand, der Staat gab sich provisorische Grenzen, aber kaum achtzehn Jahre später, 1967, riss der Sechstagekrieg diese Grenzen wieder auf. Eretz Israel wurde zum Schlagwort der Siedlerbewegung, die das Provisorium der Medinat Israel, des Staates Israel, nie anerkannt hatte, und seit einem halben Jahrhundert nun, wie in einer Endlosschleife, zwingt sie diesem Staat die Fortsetzung seines Unabhängigkeitskriegs auf.
Sie mussten einen Staat gründen – und rückten nach rechts
War es der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären? Wen es überrascht, dass die "sozialistischen" Gründerväter Israels eine ethnozentrische Landnahme forcierten, die aller Klassensolidarität zuwiderlief, der werfe einen Blick in die Historie. Schon bald nach der Oktoberrevolution wurde die Sowjetunion, Hochburg der Linken, zu einer Diktatur, die nach dem Zweiten Weltkrieg genau jenen Imperialismus betrieb, den sie den Kapitalisten vorwarf. Und nicht erst in der Sowjetunion ist der Umschwung von "links" nach "rechts" zu beobachten, sondern schon in der Geburtsstunde dieser Begriffe: Auch die Französische Revolution wurde schnell zur Diktatur, und um sie zu "retten", nahmen die Franzosen sich einen Kaiser, der dann fast zwanzig Jahre lang den ersten vorindustriellen Weltkrieg führte.
Es ist die Dialektik der Geschichte, der wir nicht entkommen können, und nicht zufällig war es Hegel, ein Augenzeuge der Französischen Revolution, der diesen Begriff geprägt hat. Die Tragödie der Linken spielt sich in vielen Varianten ab, auch dem Zionismus blieb sie nicht erspart. Unweigerlich rief die Nationalbewegung der Juden eine Nationalbewegung der Palästinenser hervor, denn jede These stößt auf eine Gegenthese, und als Hitler alle Juden ermordet hatte, die ihm in die Hände gefallen waren, blieb der zionistischen "Linken" vermutlich keine Wahl: Sie musste ihren Staat gründen.
Die Linke wurde früh ausgeschlossen
Das lässt sich heute freilich nur noch vermuten. Zur Tragödie der israelischen Linken gehört es auch, dass wir die Optionen vergessen haben, denen damals niemand eine Chance gab. Man muss die Dokumente jener Zeit lesen, um Alternativen in Erinnerung zu rufen, die sich gegen Ben Gurions Machtmonopol nicht haben durchsetzen können.
Von New York aus verfolgte Hannah Arendt die Entwicklungen mit besorgter Aufmerksamkeit. Das Schicksal der Juden lag ihr zutiefst am Herzen, und in der Errichtung der Kibbuzim sah sie eine Sternstunde der zionistischen Bewegung. Sie würden, so schrieb sie gegen Ende des Jahres 1948, "den Zionismus in der besten Tradition des Judentums fortsetzen", indem sie eine Gesellschaft anstrebten, die auf "Gerechtigkeit und Barmherzigkeit" gründete; und sie fuhr fort: "Die einzigen größeren Gruppen, die sich jemals aktiv für eine jüdisch-arabische Freundschaft einsetzten und diese propagierten, kamen aus dieser Kollektivsiedlungsbewegung. Es war eine der größten Tragödien für den neuen Staat Israel, daß diese sozialistischen Elemente, vor allem der Haschomer Hatza’ir, ihr binationales Programm dem fait accompli des UN-Teilungsbeschlusses geopfert haben."
Während der Unabhängigkeitskrieg bereits im Gange ist, gibt uns Hannah Arendt ihre Momentaufnahme einer politischen Entscheidung. Vor der Staatsgründung hatte es auch andere Stimmen gegeben. In den Kibbuzim des Haschomer Hatza’ir, des Jungen Wächters – ursprünglich eine Jugendbewegung, die die Völkerfreundschaft auf ihr Banner schrieb – hatte man gehofft, dass Juden und Palästinenser ihren Staat gemeinsam aufbauen würden. Im November 1947 aber hatte die UNO beschlossen, das Land zwischen den beiden Bevölkerungen aufzuteilen. Die Araber hatten das kategorisch abgelehnt, Ben Gurion hingegen hatte den Teilungsbeschluss akzeptiert und den Staat ausgerufen, er hatte den Kampf riskiert, der auch sofort ausgebrochen war – und vor dieser Realpolitik kapitulierten die Friedenskräfte.
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